Alexander Pröll spricht im Interview vor österreichischer und EU-Flagge über digitale Souveränität und Abhängigkeit von US-Konzernen
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Pröll: „Wenn Microsoft auf den Knopf drückt, stehen die Öffis“

ÖVP-Staatssekretär Alexander Pröll darüber, wie er die unheimliche Abhängigkeit von Digitalkonzernen reduzieren will, warum jede zweite Stelle im öffentlichen Dienst eingespart werden könnte und über negative Bewertungen der ID Austria.

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Herr Staatssekretär, wann war denn Ihr letzter Behördenweg?

Alexander Pröll

Gestern Nacht. Da habe ich digital das Parkpickerl beantragt. Es hat alles geklappt und heute um 3 Uhr in der Früh kam auch schon der Bescheid.

Erfreulich, wenn es so gut läuft. Aber haben Sie sich im Apple Store und im Google Play Store schon einmal die Bewertungen der ID Austria angesehen? Im Schnitt hat die App 1,7 von fünf Sternen. Ein User schreibt „Ein Scharfschützengewehr zu kaufen ist leichter als Zugriff zu dieser App zu bekommen.“ Was sagen Sie diesen Menschen?

Pröll

Mir ist vollkommen klar, dass wir weit weg von perfekt sind. Die ID Austria ist der zentrale Identifikationsschlüssel zwischen Bürgern und Unternehmern zum Staat – daher muss man sich einmalig bei einer Behörde identifizieren. Darauf zielt die von Ihnen genannte Kritik ab. Um den Zugang niederschwellig zu ermöglichen, haben wir erstmalig eine ID Austria Servicetour durch ganz Österreich ins Leben gerufen, bei der wir das Amt zu den Leuten bringen. Man schaltet sich damit extrem viele Behördenwege frei und darum ist es wichtig, dass die App sicher ist. Wir könnten alles extrem leicht zugänglich machen. Das ginge aber nur auf Kosten der Sicherheit. Mein Ziel ist, 2030 eine super App zu haben, auf der man alle Amtswege digital abhandeln kann. Wir machen Ende Oktober ein Bürgerforum zur ID Austria mit etwa 100 Bürgerinnen und Bürgern, die wir einladen, uns Feedback zu geben.

Noch ein Zitat aus dem App Store: Jede kleine Bank schafft es, ein Postfach in die App zu integrieren. Warum komme ich bei der ID Austria nur über den Webbrowser zu meinem Postkorb?

Pröll

Die ID Austria ist ein sehr schlankes Tool, ein Schlüssel. Damit springt man immer dorthin, wo man gerade etwas braucht. Immerhin sind hier circa 500 Behördenwege möglich. Würden wir alles in einer App integrieren, wäre das sehr fehleranfällig. Und es liegt auch nicht alles bei uns. Ein einfaches Beispiel: Es gibt die Kritik, dass es keine Notifications mehr bei iPhones gibt. Das liegt aber nicht an uns, sondern an Apple. Da sind wir relativ machtlos.

Wir nehmen jeden Euro, den wir kriegen können

Alexander Pröll

zu drei neuen Microsoft-Serverfarmen in Niederösterreich

Apple ist ein US-Konzern. Die EU ist auch stark von digitalen Diensten wie Microsoft abhängig. Sie wollen dem eine „Charta zur Digitalen Souveränität" entgegensetzen. Warum braucht es das?

Pröll

Ich nehme ein ganz konkretes Beispiel: Die ÖBB benutzt Microsoft. Das heißt, wenn Microsoft auf den Knopf drückt, dann steht der öffentliche Verkehr in Österreich. Wir haben die vergangenen Jahrzehnte gesehen, wie abhängig wir zum Beispiel von russischem Gas waren. Die Diversifizierung war dann extrem mühsam. Und dasselbe haben wir im digitalen Bereich mit US-Diensten. Da rauszukommen, wird noch viel, viel schwerer.

Was ist die Lösung, eigene Software aus Europa?

Pröll

Es gibt drei Möglichkeiten: Die erste ist, wir machen uns weiterhin abhängig von den USA. Das will ich nicht. Der zweite Weg ist das andere Extrem: Wir werden komplett autark als Europa. Das ist aus meiner Sicht komplett illusorisch, das schaffen wir nicht und das wollen wir in einer globalisierten Welt auch nicht. Der Mittelweg, den ich für richtig halte: Digitale Selbstbestimmung. Wir arbeiten sehr wohl zusammen, aber wir ziehen eine Trennwand ein. Wir brauchen Datensouveränität, also Rechenzentren in Europa, wir brauchen technologische Souveränität und wir brauchen die Fachkräfte, das sind unsere drei Säulen. In besonders sensiblen Bereichen müssen wir mit Open Source Produkten arbeiten.

Gleichzeitig haben Sie im Sommer drei Serverfarmen von Microsoft in Niederösterreich miteröffnet. Wie passt das zusammen mit der Souveränität?

Pröll

Microsoft hat diese Farmen 2020 in Auftrag gegeben. Es hilft der Wirtschaft, wenn Microsoft nahezu eine Milliarde in Österreich investiert. Wir nehmen jeden Euro, den wir kriegen können, weil wir jetzt den Wirtschaftsaufschwung brauchen. Wir werden uns stückweise resilienter und unabhängiger machen. Aber wenn wir Microsoft jetzt sagen würden, wir wollen euch nicht mehr, ist das der falsche Weg.

Ich bin als ÖVPler prinzipiell ein Föderalist, aber im Bereich der Digitalisierung würde ich mich als Zentralist sehen.

Staatssekretär Alexander Pröll

darüber, wie Gemeinden, Bund und Länder bei der Digitalisierung arbeiten sollten

Wenn Gemeinden sagen würden, sie wollen die neue Cloud-Infrastruktur von Microsoft nutzen, was würden Sie ihnen raten. Das Bundesheer stellt gerade gleichzeitig auf offene Software um. Was ist die Devise?

Pröll

Bund, Länder und Gemeinden arbeiten viel zu wenig zusammen in puncto Digitalisierung, Deswegen wird der Gov-Tech-Campus ein großer Wurf. Der klingt sehr technisch, ist aber simpel: Es soll einen Verein geben, der mit der Privatwirtschaft Produkte entwickelt. Als Beispiel: Pinkafeld ist Mitglied bei diesem Verein, das Bundeskanzleramt ist Mitglied und das Land Salzburg ist Mitglied. Wir lassen ein Bürgerservice-Tool entwickeln und jede Kommune, die dort Mitglied ist, kann das abrufen. Momentan ist noch es so, dass jeder seine eigenen IT-Kräfte beschäftigt. Ich bin als ÖVPler prinzipiell ein Föderalist, aber im Bereich der Digitalisierung würde ich mich als Zentralist sehen.

Bleiben wir bei den Abhängigkeiten: Über Social-Media-Plattformen wird Propaganda betrieben, wird Spionage betrieben und dort findet auch Radikalisierung statt. Hat Europa zu lange zugeschaut?

Pröll

Social Media Plattformen haben unfassbare Reichweiten. Und damit einhergeht eine große gesellschaftliche Verantwortung. Es stimmt zu 100 Prozent, dass Radikalisierung dort stattfindet und, dass Menschen süchtig werden. Das ist ein Riesenproblem geworden und wir müssen es adressieren. Ich glaube, dass es sehr sinnvoll wäre, über ein Social Media-Verbot für unter 15-jährige nachzudenken.

Nachdenken oder umsetzen?

Pröll

Umsetzen – auf europäischer Ebene.

Mit der ID Austria?

Pröll

Es geht nicht darum, dass man mit der ID Austria das Social Media Nutzerverhalten trackt. Es geht rein um die Altersverifikation – unabhängig von der ID Austria. Wir sind da in intensiven Gesprächen mit Meta und Tiktok. Aber ich sage auch: Wir brauchen da eine europäische Lösung.

Beim Ruf nach europäischen Lösungen ist es oft so, dass sie nie umgesetzt werden.

Pröll

Nein, im Oktober wird weiter konkret auf nationaler Ebene diskutiert. Die Kommission will das, viele Mitgliedsländer wollen das. Ich gehe davon aus, dass wir das nächstes Jahr schaffen.

Alexander Pröll in blauem Sakko vor der Österreich und der EU-Fahne
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Digitalisierung soll der Regierung auch beim Sparen helfen. Was ist da an Potenzial drinnen?

Pröll

Wir haben 138.000 Bundesbedienstete und davon gehen in den nächsten 13 Jahren 44 Prozent in Pension. Selbst wenn wir wollten, wir könnten sie gar nicht nachbesetzen. Wir werden weniger nachbesetzen und dadurch wird der Staat automatisch schlanker werden. Wir werden zur Unterstützung der öffentlich Bediensteten den Einsatz von KI und Digitalisierung forcieren. Als Beispiel möchte ich den „Digitalen Verwaltungsassistenten”, der beispielsweise bei der Prüfung von Dokumenten unterstützen kann, nennen.

Wie viele Nachbesetzungen kann man sich aus Ihrer Sicht durch die Digitalisierung einsparen?

Pröll

Für mich wäre ein Zielwert 50 Prozent, also nur jede zweite Person nachzubesetzen.

Die Beamten stimmen nun doch Verhandlungen über den bereits beschlossenen Gehaltsabschluss für 2026 zu. Mit welchem Ziel gehen Sie in die Verhandlungen?

Pröll

Unser Ziel ist es, diese Lohn-Preis-Spirale irgendwie zu durchbrechen. Der erste Schritt war, die Pensionen erstmals unter der Inflationsrate anzupassen. Das nächste gute Signal waren die Metaller mit 1,4 Prozent Abschluss. Wir wollten als Politik auch ein Zeichen damit setzen, dass wir mit den Beamten über einen bereits gesetzlich bestehenden Abschluss erneut diskutieren. Sie haben die Einladung zu Verhandlungen angenommen. Erstmals in der zweiten Republik wird ein Abschluss wieder aufgeschnürt. Wir sind der Gewerkschaft öffentlichen Dienst auch dankbar, dass sie anerkennen, dass wir uns in einer schwierigen Situation befinden und bereit sind, neu zu verhandeln.

Vielleicht hat auch der Hinweis der Regierung geholfen, dass in den Folgejahren eine Nulllohnrunde drohen könnte.

Pröll

Das könnte geholfen haben.

Was wird denn die Verhandlungsposition der Regierung sein? Die 1,4 Prozent der Metaller?

Pröll

Ich glaube in Zeiten wie diesen muss man über alles sprechen, aber ich werde keine Verhandlungsposition vorab über die Medien ausrichten.

Sie haben ja viele Hüte auf, Sie sind nicht nur Staatssekretär, sondern auch Koordinator für diese Koalition. Jetzt machen schon Gerüchte die Runde, dass das Sparpaket nicht reichen könnte und weitere Sparmaßnahmen notwendig sind. Wie schlimm ist es?

Pröll

Ich bin nicht der Finanzminister. Ich glaube, dass wir auf Bundesebene prinzipiell auf einem guten Weg sind. Wir sind im Plan. Es finden ja parallel auch die Stabilitätspakt-Verhandlungen zwischen Finanzministerium und den Ländern statt. Es ist sehr wichtig, das als gesamtstaatliche Verantwortung zu sehen.

Sie sagen, der Bund sei im Plan. Die Länder und Kommunen nicht?

Pröll

Es ist auf allen Ebenen finanziell extrem herausfordernd. Und darauf schauen wir jetzt auch bei den Gehaltsverhandlungen. Die Löhne sind in den letzten Jahren stark gestiegen, mehr als in vielen anderen Bereichen. Und dadurch tut sich jede Kommune und jedes Land extrem schwer. Wie wir damit umgehen, besprechen wir jetzt in den Stabilitätspakt-Verhandlungen. Gestern gab es eine Runde, die noch ohne Ergebnis verlaufen ist. Aber es wird weitere Runden geben, und ich glaube, dass wir sehr zeitnah hier eine Einigung finden werden müssen.

Zum Schluss: Sie haben prominente Familienmitglieder, die schon höhere politische Ämter innehatten. Sind Sie am Ziel Ihrer Reise?

Pröll

Ich bin am Ziel meiner Reise, weil ich das liebe, was ich aktuell tue.

Maria Prchal

Maria Prchal

ist seit 2025 Redakteurin im Digitalteam. Sie ist seit über zehn Jahren im Journalismus engagiert und hat in verschiedenen Medien publiziert.

Jakob Winter

Jakob Winter

ist Digitalchef und seit 2025 Mitglied der Chefredaktion bei profil. Gründete und leitet den Faktencheck faktiv.