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Zur Not hilft Fußball

Nicht einmal die Wiener SPÖ kann diesen Sommer ruinieren.

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Guten Morgen!

Früher war es einfach nur heiß. Wir haben geschwitzt und gestöhnt und hatten eine Ausrede, warum Sport gerade überhaupt nicht geht. Jetzt verschickt die Wetter-App des Handys Hitzewarnungen (mit Rufzeichen), sobald sich die Temperatur der 30-Grad-Marke nähert. Das macht das Schwitzen, Stöhnen und faul Herumliegen gleich viel dramatischer.

Bevor es kühler wird, kracht es ordentlich, das war schon immer so. In meiner Kindheit nannte man dieses Phänomen Gewitter – und es trat in allen Größen auf, von kaum der Rede wert bis zum Murenabgang. Heute heißt das Gewitter meistens Unwetter, was sowohl meteorologisch als auch sprachlich irreführend ist, aber irgendwie mehr hermacht. Vom Handy kommen Warnhinweise (diesfalls mit dekorativen Blitzen, die über den Bildschirm flackern). Jedes größere Hagelkorn wird fotografiert und im Internet berühmt. Experten warnen, dass solche Wetterextreme schlimmer und häufiger würden, wenn wir nicht endlich aufhören, uns zu benehmen, wie wir das immer schon getan haben.

Ich würde gerne wieder einmal über die Hitze jammern dürfen, ohne gleich im Anschluss die drohende Apokalypse zu verhandeln. Ist das zu viel verlangt?

So furchterregend das Wetter auch geworden sein mag, eines muss man dem Sommer lassen: Er hat mit Corona aufgeräumt. Keine Maßnahme der Virusbekämpfung funktionierte jemals auch nur annähernd so gut wie der Sommer 2021. Von einem „starken saisonalen Effekt“ sprechen mittlerweile auch jene Virologen, die noch im April behauptet hatten, dass wir auf eine derart billige Lösung des Problems keinesfalls hoffen sollten. Von den täglich rund 400.000 Corona-Tests waren im Österreich-Schnitt zuletzt nur noch 0,03 Prozent positiv. Das Risiko, einem tatsächlich infektiösen Infizierten zu begegnen, dürfte sich allmählich der Chance auf einen Lottogewinn nähern. Vielleicht ein Mathematiker im Publikum, der dazu ein paar formschöne Berechnungen durchführen könnte?

„Das Virus macht keine Ferien“

In Wien liegt die sogenannte Positivitätsrate bei 0,05 – also etwas höher, aber immer noch sehr niedrig. Das ändert nichts an den tiefen Sorgenfalten, mit denen Vertreter der Rathaus-SPÖ seit Wochen durch die Gegend laufen. Bei den ersten Lockdowns waren die Wiener noch störrisch. Jetzt kriegen sie von Einschränkungen nicht mehr genug. Bürgermeister Michael Ludwig hat den Spaß an Corona-Maßnahmen in dem Moment entdeckt, als Bundeskanzler Sebastian Kurz selbigen verlor. Seit die Regierung aufsperren will, wollen die Wiener nicht mehr.

Weil heute weitere von der Bundesregierung beschlossene Lockerungen in Kraft treten, musste die Wiener Stadtregierung gestern noch schnell dazwischen funken. „Das Virus macht keine Ferien“, erklärte der Bürgermeister pathetisch, bevor er verkündete, dass ab sofort schon Kinder ab sechs Jahren unter die 3-G-Regel fallen. Wohnzimmertests werden in Wien nicht mehr anerkannt. Dafür bleibt die Registrierungspflicht in der Gastronomie. Das alles gelte jetzt einmal bis Ende August, dann werde evaluiert, so der Bürgermeister. Bis dahin wird es auch schon etwas herbsteln, weswegen man die Maßnahmen dann gleich wieder verschärfen kann.

Wenn ich eine Pause vom permanenten Weltuntergang brauche, schaue ich mir ein Spiel der Fußball-Europameisterschaft an. Egal, wie viele Leute im Stadion sitzen dürfen: Sie führen sich auf wie früher. Es wird geschrien, gejubelt, gesungen, man fällt einander um den Hals und in die Arme, und wer weint, wird getröstet. Fußballfans haben nicht verlernt, sich wie Menschen zu benehmen. Das ist vielleicht nicht vernünftig, aber beruhigend. „Liebe ist… sowas Ähnliches wie Fußball“, schreibt Sebastian Hofer in seinem dieswöchigen Euro-Tagebuch. Er meint damit nicht die Fans, aber der Analyse kann man jedenfalls zustimmen. Außerdem kam Österreich in diesem Turnier genauso weit wie Deutschland. Wir können also sagen, es steht unentschieden.

Der Sommer ist wunderbar. Lassen Sie sich bloß nichts anderes einreden!

Rosemarie Schwaiger

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