Razzia bei Küssel: Geheime Keller, Kader und Kampfausrüstung
Press- und Weinkeller sind in einer gepflasterten Gasse in der stillen Ortschaft Wetzelsdorf (Niederösterreich) aneinander gereiht. Rote Ziegeldächer zieren viele der kleinen Häuser, die meisten sind heruntergekommen – unverputzte, bröckelnde Hauswände, alte Holztüren. Doch zumindest zwei der Keller wurden in den letzten fünf Jahren renoviert: An der Fassade ist ein rundes, weißes Gerät angebracht. Eine Videokamera? Die Ziegel der Hauswand sind heute verputzt und weiß gestrichen. In Verbindung mit den idyllischen Weinkellern steht niemand geringerer als der bekannteste Neonazi Österreichs.
Gottfried Küssel selbst erwarb in seinem Namen zwei Keller – 2019 und 2021. Die Kaufverträge sowie die exakten Adressen der Presskeller liegen profil vor, insgesamt bezahlte Küssel 7000 Euro für seine Liegenschaften in der kleinen Gemeinde. Was er mit diesen Kellern vorhat, bleibt unklar. Wie Küssel die Keller nutzt, beantwortete Michael Dohr, der langjährige Anwalt Küssels, auf profil-Anfrage nicht.
In der Gasse könnte die Truppe rund um Küssel noch mehr Liegenschaften besitzen: Laut einem Eintrag auf der Plattform „Stoppt die Rechten“ soll Gottfried Küssel im Herbst 2019 über eine Mittelsperson Keller in der Ortschaft Wetzelsdorf der Gemeinde Poysdorf gekauft haben. Ob jener Mann die Keller wirklich gekauft hat, konnte die Gemeinde Poysdorf aufgrund fehlender Informationen auf profil-Anfrage nicht beantworten.
Der Zusammenhang zwischen den beiden Keller Küssels und den Hausdurchsuchungen am 9. September, ist zunächst nicht klar.
Doch dann erhält profil exklusive Informationen: Im Zuge von Ermittlungen durchsuchten Beamt:innen neun Keller in Wetzelsdorf, vier davon stehen in Verbindung zu Gottfried Küssel – der Zeitpunkt der Hausdurchsungen wird trotz Nachfrage nicht bekannt gegeben. Die Behörden vermuten also ein Neonazi-Nest in der Kleingemeinde nördlich von Wien.
Demgegenüber steht die Angabe Dohrs, Küssels Anwalt: Der Erwerb der Keller sei die ausschließliche Privatsache seines Mandanten und stehe nicht mit dem gegenständlichen Verfahren zu den jüngsten Hausdurchsuchungen vergangene Woche in Zusammenhang.
Das Netz
So oder so: Die rechtsextreme Szene wächst – und sie breitet sich nicht nur im Grundbuch aus. Die Rechtsextremen sind in verschiedenen Gruppen organisiert. Einer der bekanntesten Player ist wohl Neonazi Küssel. Der heute 67-Jährige ist seit Jahrzehnten in der neonazistischen Szene aktiv – er ist, aus der Sicht von Beobachtern der Szene, nach wie vor ein einflussreicher Ideologe. Und war auch für jene prägend, die sich inzwischen von ihm abgewendet haben.
Küssel gründete die Volkstreue außerparlamentarische Opposition, kurz VAPO und werkte an der Website „Alpen-Donau.info“ mit, die rechtsextremes und neonazistisches Gedankengut verbreitete. Zufall oder nicht: Der Name der Website hatte die Initialen ADI – ein in rechtsextremen Kreisen häufig benutzter Spitzname für Adolf Hitler.
Die früheren Betreiber von „Alpen-Donau.Info“ sollen bis heute zu Küssels engstem Kreis gehören und sind teils Mitglieder der Ferialverbindung Imperia Wien.
Die Plattform „Alpen-Donau.info“ ist nach Einschreiten der Behörden seit 2014 offline. Ein Jahr später entstand eine neue Website namens „Unwiderstehlich“, die laut Medienberichten von früheren Weggefährten Küssels unterstützt werden soll und immer noch online ist. Texte über Widerstand, das Verbotsgesetz oder Buchrezensionen rechtsextremer Publikationen zieren die Plattform, auf der hauptsächlich Ideologisierung stattfindet.
Der Nachwuchs
Der Nachwuchs der Szene ist hochaktiv und ideologisch ähnlich gefestigt wie Küssel. Auf den ersten Blick wirkt die „Tanzbrigade“ wie ein Musik-Kollektiv – ihren Techno veröffentlichen sie unter anderem auf Youtube. Doch die Gruppe ist neofaschistisch, ihr wird eine hohe Gewaltbereitschaft nachgesagt. Auch hier ist die Verbindung zwischen der neonazistischen und Hooligan-Szene erkennbar: Der Telegram-Kanal „Regel 17: Auswärts ist man asozial“ ist eine Hooligan-Gruppe, dennoch wird sie von der „Tanzbrigade“ geführt. Auch die Inhalte des Kanals sind von neonazistischem Gedankengut durchzogen.
Noch jünger in der neonazistischen Szene ist die „Division Wien“, eine weitere faschistische Gruppierung. Die Mitglieder sind überwiegend junge Männer und Buben, die jüngsten gerade 13 Jahre alt: Sie betreiben Kampfsport, filmen ihr Training oder das Sprayen von Grafitti. Die Gewaltbereitschaft ist laut Szenekennern in der „Division Wien“ sehr hoch, was vor allem mit dem jungen Alter der Mitglieder zusammenhängt, die sich beweisen wollen.
Größer und jünger
Diese Verjüngung der Szene hängt auch mit der Corona-Pandemie zusammen, die für die rechtsextreme Szene wie ein Brandbeschleuniger wirkte. In dieser Zeit trat auch die altbekannte Figur Küssel wieder auf den Plan. Noch vor der Pandemie hatte er im Gespräch mit der Zeitschrift „Nationaler Sozialismus Heute“ erklärt, sich künftig eher im Hintergrund halten und vor allem organisatorische Aufgaben übernehmen zu wollen. Die Corona-Krise katapultierte ihn jedoch zurück ins Zentrum der Bewegung: Küssel trat mehrfach bei Querdenker-Protesten und -Kundgebungen in Erscheinung und dürfte diese Plattformen genutzt haben, um die Szene zu mobilisieren.
Gerade in diesen Protest-Milieus wuchs die Offenheit für rechtsextreme Propaganda. Medienberichte dokumentierten, wie Rechtsextreme die Corona-Demonstrationen gezielt für ihre Zwecke instrumentalisierten.
Die Pandemie traf besonders eine vulnerable Gruppe: Kinder und Jugendliche. Soziale Isolation und intensive Internetnutzung machten sie anfälliger für extremes Gedankengut und Gewaltbereitschaft, wie eine Studie der Universität Köln zeigt. Ursachen für die Radikalisierung sind sowohl persönliche Belastungen wie Frustration oder Identitätskrisen als auch die Anziehungskraft extremistischer Gruppen, die Gemeinschaft, Anerkennung und Status versprechen.
Jugendliche sind besonders gefährdet, weil sie sich in einer Phase der Orientierung und Identitätssuche befinden. Kein Wunder also, dass die Szene während und nach der Pandemie vor allem jungen Zuwachs erhielt. So sind bereits 13- bis 14-Jährige Mitglieder der rechtsextremen Gruppe „Division Wien“.
Bedeutungslosigkeit
Selbst der langjährige Leiter der Identitären Bewegung Österreichs (IBÖ), Martin Sellner, gehörte in seiner Jugend dem Kreis Küssels an. Bei einem Gerichtsprozess 2018 distanzierte Sellner sich jedoch von Küssel und der Neonaziszene und betonte, dass seine Kontakte aus der Jugend stammten und er sich vor der Gründung der IBÖ von diesen gelöst habe.
Die IBÖ ist seit Ende 2012 die zentrale Gruppierung der Neuen Rechten in Österreich. Grundlegende Differenzen bestehen laut Rechtsextremismusforscher Andreas Peham vom DÖW jedoch nicht, da alte Neonazi-Kader stark an Nachwuchs interessiert sind. Selbst kritische Neonazikreise übernehmen identitäre Begriffe und treten bei IBÖ-Veranstaltungen in Erscheinung. Trotzdem betrachten neonazistische Kreise die IBÖ teils verächtlich, kritisieren etwa, dass sie österreichische Fahnen schwenken statt deutsche.
Aufrüstung
Zurück zu Küssel: Noch im Morgengrauen des Dienstags der Vorwoche durchbrechen schwer bewaffnete Polizist:innen die Stille in Wien-Leopoldstadt. Maskierte Einsatzkräfte des Staatsschutzes und der Cobra stürmen ein Haus, unterstützt vom Entschärfungsdienst. Ein rechtsextremer Verein – die Ferialverbindung Imperia Wien – ist dort gemeldet. Zeitgleich führten Einsatzkräfte in fünf Bundesländern Hausdurchsuchungen durch und stießen auf ein Arsenal an Waffen und NS-Devotionalien. Der Neonazi Gottfried Küssel, 15 Männer und eine Frau stehen unter Verdacht der NS-Wiederbetätigung – nach der Einvernahme sind alle wieder auf freiem Fuß. Laut Küssels Anwalt Michael Dohr habe der Vorwurf der NS-Wiederbetätigung gegen Küssel keine Grundlage und würde einer rechtlichen Überprüfung nicht standhalten. Zudem wäre die Hausdurchsuchung rechtswidrig.
Die Waffenfunde bei dieser Razzia sind kein Einzelfall. Die Plattform „Stoppt die Rechten” hat seit 2019 in Summe 53 Waffenfunde im rechtsextremen Milieu dokumentiert. Die rechtsextreme Szene ist militärisch gerüstet. Allein in Oberösterreich stießen Ermittler Ende Juni auf ein ganzes Arsenal – darunter vollautomatische Maschinenpistolen und -gewehre. Genaue Zahlen zu den Waffenfunden bei den Rechten gibt es nicht. Das Innenministerium erklärte in einer parlamentarischen Anfragebeantwortung im Mai, dass dazu keine Statistiken geführt werden. Eine profil-Auswertung der dokumentierten Funde zeigt, dass zumindest 2290 legale wie illegale Waffen, darunter diverse Schusswaffen, Messer, Schwerter und Dolche, gesichert wurden. Zudem fanden Beamt:innen knapp 1,2 Millionen Schuss Munition und mindestens 27 unterschiedliche Granaten und zahlreiche NS-Devotionalien. Zwei der größten Waffenfunde Österreichs stehen in direktem Zusammenhang mit Peter B., einem langjährigen Bekannten Küssels.
Fest steht auch: Die Gewaltbereitschaft der Rechtsextremen steigt. Die Anzahl der dokumentierten Straftaten stieg von 556 im ersten Halbjahr 2024 auf bereits 787 heuer – ein Plus von mehr als 40 Prozent. Auch der Ex-Grünen-Politiker und Gründer der Plattform „Stoppt die Rechten“, Karl Öllinger, nimmt diese Veränderung wahr: „Die Waffensammlungen in rechtsextremen Kreisen haben in den letzten Jahren deutlich zugenommen – und es geht dabei nicht um alte Souvenirs, sondern um funktionstüchtige Waffen.“
Diese Entwicklung zeigt, wie sehr sich das Gefahrenpotenzial in der Szene verschärft. Die Waffen wurden zum Teil illegal erworben. Wofür? Rechtsextremismusforscher Peham vom DÖW kann zwar nur spekulieren, doch es würde ihn nicht wundern, wenn einige der rechten Gruppen die Waffen und Munition als Vorbereitung für den „Tag X“ sammelten – jenen Tag, an dem das von ihnen gehasste System fällt.