Rechnungshof: ÖGK fehlt Überblick über Leistungen von Vertragsärzten

Rechnen Kassenärzte zuviele Leistungen ab?

Die e-Card sollte das Gesundheitssystem transparenter machen. Laut Rechnungshof bleiben Datenlücken, auffallend häufige Steckungen – und damit viele Fragen.

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Der Krankenschein (offiziell: Krankenkassenscheck) war der Vorgänger der heutigen e-Card. Wer vor 2005 zum Kassenarzt wollte, musste das A5-große Formular in die Ordination mitbringen. Dort wurde es abgestempelt und anschließend mit der Gebietskrankenkasse abgerechnet. Krankenscheine waren damit bares Geld wert – Kritiker monierten, dass mit gesammelten Scheinen mehr Leistungen abrechneten werden könnten, als tatsächlich erbracht wurden.

Heute ist vieles anders: Kassenärzte heißen „Vertragsärzte“, anstelle der neun Gebietskrankenkassen trat die Österreichische Gesundheitskasse (ÖGK), und statt des Krankenscheins gibt es die e-Card, eine hellgrüne Plastikkarte, die eine digitale Erfassung jedes abgerechneten Arztbesuchs ermöglicht. Krankenkassen können so nachvollziehen, welche Leistungen Versicherte in Anspruch nehmen – und ob Vertragsärzte korrekt abrechnen. Ein Meilenstein in der Digitalisierung des Gesundheitswesens – soweit die Theorie.

Die Realität sieht ernüchternd aus. Österreich leistet sich das zweitteuerste Gesundheitssystem Europas, gleichzeitig sinkt die Zahl der gesunden Lebensjahre. Das System ist teuer, ineffizient und von Machtinteressen zersplittert, urteilt der Rechnungshof (RH) in einem bislang unveröffentlichten Rohbericht, der profil und ORF exklusiv vorliegt. Auf 121 Seiten kritisieren die Prüfer unter anderem, dass es bis heute keinen bundesweiten Tarifvertrag zwischen Ärztekammer und Gesundheitskasse gibt – verhindert durch das Vetorecht der neun Landesärztekammern, profil berichtete.

Auch der finanzielle Zustand der ÖGK wird durchleuchtet. Einer der größten Kostentreiber: die Ausgaben für Vertragsärzte, die von 2018 bis 2023 deutlich stärker stiegen als die Beitragseinnahmen. Nicht nur wurden die Leistungen teurer, sie wurden auch öfter in Anspruch genommen, zeigt ein Blick in die e-Card-Statistik: 

Von 2010 bis 2019 lag der Zuwachs an e-Card-Steckungen leicht über dem Bevölkerungswachstum (plus 0,4 Prozent). Mit Beginn der Covid-19-Pandemie kam es 2020 und 2021 zu einem erwartbaren Rückgang – auch in Ordinationen galten Kontaktbeschränkungen. Auffällig ist für die Prüfer jedoch der Anstieg der Konsultationen nach 2022, der deutlich über dem Bevölkerungswachstum lag. Das heißt: Pro Kopf wurden mehr Leistungen in Anspruch genommen. Der Rechnungshof bezweifelt, dass dies allein an der wachsenden Zahl älterer Menschen liegt. Denn mit 10,4 Prozent verzeichnete die Altersgruppe der 20- bis 49-Jährigen den höchsten Zuwachs.

Abrechnung ohne e-Card

Seit der Pandemie wurden hingegen vermehrt Leistungen ohne e-Card (sogenannte o-Card-Steckungen) abgerechnet. Das war angesichts der Kontaktbeschränkungen nachvollziehbar. Auffällig ist jedoch, dass dieser Trend auch nach der Pandemie auf hohem Niveau anhielt. „Dies könnte – insbesondere in der Allgemeinmedizin – auf eine verstärkte Verrechnung von Konsultationen ohne physische Präsenz der Patientinnen und Patienten hindeuten“, heißt es im Rohbericht. Zudem gebe es Hinweise auf unnötige oder mehrfache Untersuchungen, vor allem im niedergelassenen Bereich.

Fest steht: In der jüngeren Vergangenheit zeigte sich die Gesundheitskasse großzügig. Viele Bewilligungspflichten – etwa für MRT oder CT – wurden ausgesetzt, Physiotherapie und Logopädie als flächendeckende Kassenleistung eingeführt. Das schlägt sich in den Bilanzen nieder.

Warum genau die Kostenstelle „Vertragsärzte“ so stark gestiegen ist, konnte der Rechnungshof nicht abschließend klären. Laut RH sei die Datenlage über verrechnete Leistungen unzureichend. So heißt es im Rohbericht, der ÖGK würden „wesentliche Grundlagen zum Controlling der verrechneten Leistung“ fehlen.  

Kevin Yang

Kevin Yang

seit November 2024 im Digitalteam und faktiv Faktenchecker. Davor bei der Wiener Zeitung und ORF.