2023 meldete sie sich bei der Rot-Kreuz-Ortsstelle Leibnitz als ehrenamtliche Sanitäterin. Zur Prüfung erschien sie zunächst nicht, fiel später durch, erst im dritten Anlauf, im Jänner 2024, bestand sie. Während dieser Zeit kam es innerhalb der Ausbildungsgruppe immer wieder zu Spannungen, die nach Aussage eines Beteiligten von Sanela G. ausgingen. Sie habe sich daraufhin in den Mittelpunkt gedrängt und sich als „Opfer“ inszeniert: „Die Frau konnte auf Knopfdruck weinen und auf Knopfdruck erbrechen. So etwas habe ich noch nie gesehen.“ Sanela G. ging offenbar sehr weit, um ihre Handlungen und Worte glaubhaft erscheinen zu lassen. Sie kaschierte fachliche Mängel, die sie für den Job eigentlich ungeeignet machten, und versuchte, diesen Eindruck mit Charme und gezielter Inszenierung zu überdecken. Diese Masche zog sich offenbar über Jahre durch ihr Verhalten. Die Recherchen von profil und „Datum“ bestätigen, dass Sanela G. bis 31. Juli 2025 als Sanitäterin beim Roten Kreuz eingetragen war. Dann schied sie aus, offenbar, weil sie unentschuldigt von einem Dienst fernblieb und später keine Dienste mehr leisten wollte. Später soll sie versucht haben, in den Ortsstellen Wildon, Heiligenkreuz am Waasen und Arnfels eine Stelle zu finden. Ihre Uniform und den Dienstausweis dürfte sie die ganze Zeit über behalten haben. Beides nutzte sie, um ihre falschen Geschichten zu untermauern – etwa gegenüber den Familien der Amokopfer, in diesen Fällen gab sie sich unter anderem als Sanitäterin aus.
Die Opferrolle als Masche
Erstmals erhalten profil und „Datum“ auch Hinweise von Personen aus dem privaten Umfeld von Sanela G. Menschen, die sie kannten oder zumindest glaubten, sie zu kennen. Einige der Geschichten gehen zurück auf die Jahre 2019 bis 2021, als Sanela G. untergetaucht war und bei einer Familie in einem kleinen Ort in der Steiermark lebte. „Sie hatte eine gewinnende Art“, erzählt ein Mann, bei dessen Familie sie gewohnt hat. Dort ging sie eine Beziehung mit einem Mann ein, und auch hier zeigt sich ein wiederkehrendes Muster: Sie inszenierte sich konsequent als Leidtragende, berichtete mehrfach von Schwangerschaften mit Zwillingen, Fehlgeburten und schweren Schicksalsschlägen. Ihre Erzählungen untermauerte sie mit gefälschten Fotos, die angeblich in einem Krankenhaus in Leoben aufgenommen wurden. Darauf zu sehen ist Sanela G. mit einem toten Baby im Arm. profil und „Datum“ liegen die Aufnahmen vor. Wenig später verschwand sie spurlos. Erst jetzt lassen sich ihre Spuren aus dieser Zeit systematisch rekonstruieren.
Über viele Jahre erschlich sich Sanela G. auf diese Weise das Mitleid ihrer Mitmenschen, wandelte es in Vertrauen um – und nutzte dieses am Ende für finanzielle oder persönliche Vorteile. Genauso zeigte sich ihr Vorgehen im Fall des Spendenbetrugs rund um den Grazer Amoklauf. 37.262 Euro an Spenden sammelte Sanela G. angeblich für die Hinterbliebenen. Was mit dem Geld passiert ist, bleibt unklar. Auf dem Bankkonto von Sanela G. fanden sich zuletzt rund 20.000 Euro, deren Herkunft bislang ungeklärt ist. Da gegen sie ein Schuldenregulierungsverfahren läuft, liegt die Vermutung nahe, dass sie Zuwendungen bar bezogen oder am Finanzamt vorbeigeschleust hat. Ermittler konnten inzwischen auch feststellen, dass Sanela G. offenbar Sozialleistungsbetrug begangen haben soll. Sie soll vorgegeben haben, eine Ausbildung zur Pflegeassistentin beginnen zu wollen, und dafür mehrfach Aufnahmebestätigungen gefälscht haben. Beim ersten Mal soll sie sich tatsächlich beworben haben, anschließend soll sie begonnen haben, die Bestätigungen zu manipulieren. Das Arbeitsmarktservice überwies ihr daraufhin 23.000 Euro, eine weitere Tranche von 14.000 Euro stand kurz bevor.
Rückerstattung der Spenden
Die Plattform „GoFundMe“ erstattete den Spenderinnen und Spendern für Graz inzwischen die Beträge, allerdings nicht aus den ursprünglichen Geldern, sondern aus eigener Tasche. „Aufgrund aktueller Ermittlungen wurden alle Spenden der Spendenaktion ,Amoklauf Graz – Hilfe für die Hinterbliebenen Familien‘ von Sanela G. im Rahmen der GoFundMe-Spenden-Garantie an die Spender zurückerstattet“, heißt es. Ob es eine weitere Aktion geben wird, um die Hinterbliebenen des Amoklaufs tatsächlich zu unterstützen, ist derzeit offen. So sehr sich das Bild einer mutmaßlichen Betrügerin verdichtet, so viele Fragen bleiben offen. Wie gelang es Sanela G. über Jahre hinweg, Bekannte, Institutionen, Behörden und Hilfsorganisationen zu täuschen? Und vor allem: War sie eine gewiefte Einzelgängerin oder gibt es noch Komplizen in ihrem Umfeld, die ihr geholfen haben? Nach ihrer Festnahme bei ihrer Wohnung in Leibnitz wurde Sanela G. einvernommen. Zunächst bestritt sie die Vorwürfe, legte beim zweiten Verhör jedoch ein Geständnis ab. Nun sitzt sie in Untersuchungshaft in der Justizanstalt Graz-Jakomini.