Die sogenannte Schamanin Mariana M. alias „Amela“
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Luxus, Lügen und Millionen: Was hinter dem Fall der „Schamanin“ Mariana M. steckt

Heute beginnt in Wien einer der größten Okkultbetrugsprozesse in der Geschichte Österreichs. Schaden: bis zu 12,7 Millionen Euro. Es geht um leere Versprechungen, mysteriöse Rituale, männliche Strippenzieher und ein Vermögen aus Gold, Perlen, Bargeld und Luxusimmobilien.

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Wenn es in Wien so etwas wie eine Ärztemeile gibt, dann ist das die Döblinger Hauptstraße. Der Korso mitten im noblen 19. Gemeindebezirk ist gesäumt von zweigeschoßigen Vorstadthäusern und eleganten Gründerzeitbauten, von denen kaum eines ohne messing- und goldfarbene Doktorentafeln auskommt. Hier sind die Praxen diverser Spezialisten angesiedelt: Onkologen, Gynäkologen, Kardiologen, Neurologen, Pädiater, Psychiater. Wer diese Adressen ansteuert, dem steht oft das Wasser schon bis zum Hals. Genau hier war eines der bevorzugten Reviere, in denen Mariana M. nach ihren mutmaßlichen Opfern fischte. Genau hier, wo hilfesuchende Menschen, bevorzugt reifere, betuchtere Damen, nach schweren Diagnosen die mitunter dunkelsten Momente ihres Lebens durchlebten, tauchte die 44-Jährige wie aus dem Nichts vor Ordinationseingängen und Apothekentüren auf. Dann erzählte sie von leuchtenden Auren, von Flüchen und davon, wie sie mit ihren besonderen Fähigkeiten helfen könnte.

So wie Mariana M. erschienen war, so ist sie auch wieder verschwunden. Per Interpol läuft eine weltweite Fahndung nach ihr, seit heute steht sie auf der Liste der meistgesuchten Verbrecherinnen und Verbrecher Europas. Mariana M. soll sich als Schamanin ausgegeben haben, die gegen Geld „Flüche“, „böse Energien" und gar den Tod abwenden kann – und sich auf diese Weise einen zweistelligen Millionenbetrag in Form von Goldbarren, Feinsilber, Luxusuhren, Waffen, Munition, Gold- und Perlenketten, Anhänger und Eheringen von zumindest 24 Opfern – die Dunkelziffer dürfte weitaus höher sein – erschlichen haben soll, sowie auch Bargeld in diversen Währungen: Euro, Schweizer Franken, US-Dollar und mitunter sogar D-Mark-Scheine, die im Jahr 1999 vom Euro abgelöst wurden.

Das Landeskriminalamt Niederösterreich fand diese Beute in einer Neubau-Villa auf einer Anhöhe in Maria Enzersdorf, wo die Reichen wohnen und einen imposanten Blick auf Wien genießen. In diesem schicken Haus südlich der Hauptstadt fanden Ermittler auch ein betoniertes Schwimmbecken, das als Depot für die Beute diente, eine Garage mit mehreren erschlichenen Autos und einen Tresor, randvoll mit Gold, Schmuck und Stapeln von Bargeld.

Bündel voller Bargeld in diversen Währungen wurden im Tresor gefunden.
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Dutzende Golddukaten waren versteckt in Socken.
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Hotels & Immobilien 

An einem finsteren Dezembernachmittag brennt Licht hinter den Fassadenfenstern dieses schicken Domizils, dort und da sind Kleiderkästen mit fein säuberlich gestapelten, weißen Stoffen von der Straße aus zu sehen; dort und da huschen auch Schatten über die Wand – doch das Klingeln ist vergebens. Niemand macht die Türe auf.

Von diesem Haus aus spannt sich ein ganzes Geflecht an Firmen und Immobilien, ebenfalls in Millionenhöhe: Zinshäuser von zentralen Wiener Lagen bis hin an den Stadtrand; Bruchbuden inmitten der Cottages, die als Pseudofirmen registriert sind, Adressen in müffelnden Zinshäusern oder einem Hotel in Meidling, das jedermann über Plattformen wie „Booking.com“ buchen kann. Aber nicht nur Österreich galt als Einsatzgebiet von Mariana M., auch in Deutschland und der Schweiz war sie den Behörden schon aufgefallen.

Männliche Strippenzieher

Die sogenannte Schamanin Mariana M. mag vielleicht das Gesicht der Causa sein. Doch angeklagt ist sie nicht. Sie befindet sich nach wie vor auf der Flucht. Vor Gericht stehen stattdessen drei weitere Personen, die sich wegen schweren Betrugs, krimineller Vereinigung und Geldwäscherei verantworten müssen. Beschuldigt werden M.s Schwiegertochter Dona D. alias „Anna“, die genauso wie Mariana M. vorgegangen sein soll, sowie Dejan M. und Francesco M. – Ex-Mann und Sohn von Mariana M. – alle drei befinden sich derzeit in Untersuchungshaft, die Verhandlung am Wiener Landesgericht beginnt heute. 

Die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) hat eine umfangreiche Anklageschrift gegen die drei Beschuldigten eingebracht. Es geht um eine Schadensumme von 1,77 Millionen Euro. Weitere 12,6 Millionen Euro Vermögenswerte wurden eingefroren.

Laut profil-Recherchen haben zumindest die männlichen Mitangeklagten ein beträchtliches Vermögen angehäuft: Mariana M.s Sohn Francesco ist Eigentümer der Villa in Maria Enzersdorf, ihrem Ex-Mann Dejan M. gehört ein 31-Parteien-Wohnhaus in Wien-Meidling samt Geschäftslokal sowie mehrere Wohnungen an der Wiener Zweierlinie, erworben im Jahr 2021, damals für mehr als eine Million Euro, wie aus dem Grundbuch hervorgeht. Zwar waren es die Frauen Mariana M. und Dona D., die die Beute herangeschafft hatten; laut ersten Ermittlungen dürften es aber die Männer gewesen sein, die die Hoheit über das Geld hatten: Auf dem sichergestellten Tresor in der Maria Enzersdorfer Nobelbehausung fand die Polizei vornehmlich die Fingerabdrücke der Männer.

Unter den Geschädigten ist auch eine 60-jährige Wiener Lehrerin. Aus Gründen des Opferschutzes sollen hier weder Details zur Person noch zum Tatort genannt werden. Wie sie geschädigt wurde, ist nahezu prototypisch für die Vorgehensweise: Die 60-Jährige spazierte in ihrer Mittagspause entlang einer belebten Wiener Hauptstraße. Es ist zwei Jahre her, dass ihr das passiert ist, wenn sie davon erzählt, dann klingt noch immer Fassungslosigkeit mit. Sie könne bis heute nicht glauben, dass sie der Betrügerin auf den Leim gegangen ist.

Zum ersten Mal traf sie die Frau, die sich später als Mariana M. entpuppen sollte, am 21. Februar 2023. Die Pädagogin erinnert sich an eine elegant gekleidete Fremde: hochwertige Hose, makellose Bluse, auffallend gepflegt. Die Fremde lehnte an einer Wand: „Ich hatte das Gefühl, dass sie auf mich gewartet hat“, sagt die 60-Jährige heute. „Darf ich Ihnen aus der Hand lesen?“ Mit diesem Satz sprach Mariana M. sie an und stellte sich später als „Amela“ vor.

Es war der Beginn einer Spirale, an deren Ende die Lehrerin um mehrere zehntausend Euro ärmer war. Die Wienerin hatte, wie sie selbst sagt, immer ein Faible für Esoterik. Vielleicht war das der Grund, weshalb sie Mariana M. nicht sofort abwies. War die Wiener Lehrerin besonders ungeschickt – oder kann es jedem passieren, dass er Opfer von derlei Betrug wird? „Jeder kann in diese Situation geraten, in der er derart verzweifelt und empfänglich ist für Heilsversprechen“, sagt Georg Wels, der leitende Ermittler in der Causa.

„Cold reading“

Dasselbe bestätigt auch Ulrike Schiesser von der Bundesstelle für Sektenfragen: „Es kann jedem passieren, es müssen aber auch die Bedingungen stimmen: Es muss der Glaube daran vorhanden sein, dass es Menschen gibt, die höhere Kräfte haben können, gepaart mit Einsamkeit und Verzweiflung.“

Der wunde Punkt der Lehrerin war ihre Sorge um ein Familienmitglied – ihr Bruder leidet an Schizophrenie. Und Mariana M. schien davon zu wissen oder zumindest schaffte sie es, die 60-Jährige davon zu überzeugen, sie wüsste, wovon sie spricht. Um nicht auf offener Straße aufzufallen, führte die Lehrerin die damals noch fremde Frau in die nahegelegene Schule, in der sie unterrichtete. Dort suchten die beiden Frauen einen kleinen Nebenraum auf und Mariana M. begann der Frau die Zukunft zu deuten – und sie schrittweise in ein Netz aus Angst, Schuld und angeblich spiritueller Hilfe zu verstricken.

Woher konnte Mariana M. von der Krankheit des Bruders wissen? Nach Einschätzung der Ermittler arbeitet sie mit einer Mischung aus kalkulierten Suggestivfragen und dem Versuch-und-Irrtum-Prinzip, einer Methode, bei der sie erstaunlich oft genau die wunden Stellen ihrer Opfer trifft - „cold reading“ lautet der Fachbegriff, „das wenden alle sogenannten Wahrsager an“ sagt Schiesser von der Sektenstelle.

Gold, das Mariana M. ihren Opfern entlockte
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Diverse Ketten bestückt mit Edelsteinen
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Während die 60-Jährige das Geld abhob, blieb Mariana M. dicht neben ihr stehen und beobachtete jede ihrer Bewegungen. 1500 Euro – der Höchstbetrag, den die Frau an diesem Tag abheben konnte – wandert aus dem Automaten direkt in die Hände von Mariana M. 

Sie presste sich das Geld theatralisch an die Brust und drückte der 60-Jährigen im Gegenzug ein Sackerl mit getrockneten Wurzeln in die Hand. Sie solle die Knollen vor dem Schlafengehen unter ihr Kopfkissen legen, nur so könne sie dem Ritual Kraft verleihen.

Bei ihren Treffen verlangte Mariana M. nie einen festen Geldbetrag von der 60-Jährigen. Stattdessen setzte sie auf Schuldgefühle und moralische Verantwortung. Sie baute eine Dringlichkeit auf, die den Eindruck erwecken sollte, jede Entscheidung gegen weitere Geldtransaktionen wäre egoistisch, gar schädlich. „Geben Sie, was Ihnen die Gesundheit Ihres Bruders wert ist“ – Worte, die sich unauslöschlich in das Gedächtnis der Lehrerin eingebrannt haben.

Zwei Tage später meldete sich Mariana M. erneut. Sie habe „Neuigkeiten“ über den spirituellen Fortschritt, erklärte sie. Die Lehrerin lud sie diesmal zu sich in die Wohnung ein. Dort setzte Mariana M. ihr Vorgehen fort: mit scheinbarer Zurückhaltung und mit einer subtilen Mischung aus Drängen und vorsichtigem Abwarten. Diesmal gelang es ihr, der Lehrerin noch mehr zu entlocken: eine Münzrolle aus Golddukaten. Die Polizei wird deren Wert später auf rund 30.000 Euro schätzen. Nur wenn sie das Gold einschmelze, sagt Mariana M., könne das Ritual wirken. Nur so könne der Bruder genesen. 

Als die Frau über das Gold in ihrer Schublade nachdachte, zögerte sie kurz, und doch reichte dieses Gespür nicht aus, um die Masche der Betrügerin zu durchschauen; am Ende übergab sie ihr das Gold. Es war ihre letzte Begegnung mit Mariana M. Sie erstattete Anzeige, aber nichts passierte. Bis vor ein paar Monaten, im Februar 2025. Zwei Jahre nach ihrer ersten Begegnung mit Mariana M., fast auf den Tag genau, erhält die Lehrerin einen Anruf von der Polizei. Was folgt, wird sich als einer der größten Okkultbetrugsfälle Österreichs herausstellen. 

Die Verhandlung findet heute im Gerichtssaal 203, im zweiten Stock des Wiener Landesgerichts statt. Auf der Anlageklagebank sitzen Dona D., Dejan M. und Francesco M. Von Mariana M. fehlt nach wie vor jede Spur. 

Daniela Breščaković

Daniela Breščaković

ist seit April 2024 Innenpolitik-Redakteurin bei profil. War davor bei der „Kleinen Zeitung“.

Nina Brnada

Nina Brnada

ist Redakteurin im Österreich-Ressort. Davor Falter Wochenzeitung.