Staatsoper: Gesundheitskasse prüft Vorwurf der Scheinselbstständigkeit

Ein Schlagwerker pocht auf faire Entlohnung im Staatsopern-Orchester. Denn bei seinem Gastspiel im Ensemble wurde er nicht angestellt. Die Gesundheitskasse prüft nun, ob es sich um Scheinselbstständigkeit handelte.

Drucken

Schriftgröße

Wenn junge Musiker die Chance bekommen, in einem renommierten Orchester wie jenem der Staatsoper auszuhelfen, dann hoffen sie darauf, dass sie einen Fuß in die Tür des Ensembles bekommen und sich das Gastspiel gut in ihrem Lebenslauf macht. An die Bezahlung denken Idealisten ganz zum Schluss.

So war es auch beim 28-jährigen Schlagwerker Wolfgang Nagl. Hätte er sich nicht den Konditionen der Staatsoper gefügt, hätte er dort nicht gespielt. Und die Konditionen lauteten, ein Instrument zu lernen, das extra für eine Uraufführung angefertigt wurde. Mehrere Probentermine zu absolvieren. Dafür keine Anstellung zu bekommen, sondern per Honorar bezahlt zu werden. Die Höhe der Bezahlung erst nach dem Engagement zu erfahren.

Hinterher fühlt sich Nagl ausgenutzt. Seinen Fall hat er der Gesundheitskasse (ÖGK) gemeldet, die nun prüft, ob die Konstruktion korrekt war-oder ob die Staatsoper Aushilfskräfte wie Nagl als Scheinselbstständige beschäftigte, um Sozialversicherungsabgaben zu sparen.


Ein Orchester entfaltet seine Wirkung nur, wenn alle Positionen mit Profis besetzt sind. Bei Dutzenden Musikern ist es ein kleines Kunststück, die Termine für Proben und Vorstellungen zu akkordieren. Und weil so gut wie nie alle Stammspieler eines Ensembles gleichzeitig verfügbar sind, helfen Springer aus, die Lücken zu füllen.

Nagl spielte laut seinen eigenen Aufzeichnungen Ende 2019 sieben Proben zu zweieinhalb Stunden für das Stück "Orlando", das in der Staatsoper uraufgeführt wurde. Dafür bekam er 450 Euro, seine Vorbereitungszeit zu Hause sei nicht entlohnt worden. Obwohl die Staatsoper als Teil der Bundestheater-Holding mit öffentlichen Geldern gefördert wird, erhalten Springer dort keine Anstellung - ganz im Gegensatz zu den Ensembles der Bundesländer.

"Substituten (so heißen die Springer in der Fachsprache, Anm.) sind ein unverzichtbarer Bestandteil des regulären Orchesterbetriebs. Kein Substitut wird mit einer Honorarnote beschäftigt. Wenn er weniger als sechs Tage am Stück spielt, dann wird er fallweise, ansonsten vollangemeldet", erklärt die Sprecherin des Orchesters Tonkünstler Niederösterreich. Beim Bruckner Orchester läuft es ähnlich.

Arbeitsrechtler Martin Gruber-Risak von der Uni Wien hält eine Anstellung für Substituten für die sauberste Lösung: "Es geht um das Kriterium der persönlichen Abhängigkeit. Wenn man an den Arbeitsort, an fixe Zeiten und Arbeitsabläufe gebunden ist, spricht das für ein Anstellungsverhältnis." Beim Orchestermusiker, meint Gruber-Risak, sei "der Ort vorbestimmt, an dem er arbeiten muss, auch die Zeit, wann er spielen muss". Und, so der Arbeitsrechtler: "Er muss das spielen, was der Dirigent vorgibt. Es gibt also so gut wie überhaupt keinen Spielraum zur selbstständigen Leistungserbringung. Auch wenn der nur für einen Tag angestellt ist, ist ziemlich klar, dass er ein Arbeitnehmer ist."


So ähnlich argumentiert auch Nagls Anwalt Dominik Leiter von der Kanzlei Weisenheimer Legal gegenüber der Gesundheitskasse. Die leitete eine Prüfung über eine mögliche Versicherungspflicht ein und forderte die Staatsoper zur Stellungnahme auf. Darin hielt die Oper dem Ansinnen Nagls entgegen, dass der Musiker Probentermine jederzeit und ohne Konsequenzen hätte ablehnen können und dass selbst unangekündigtes Nichterscheinen zu einer vereinbarten Probe ohne Konsequenzen geblieben wäre.

Nagls Anwalt erwidert wiederum, dass die pflichtbewusste Probenpräsenz ihres Mandanten essenziell für den Erfolg des Stückes war, ein professioneller Kulturbetrieb sei nicht mit unverbindlichen Zusagen zu führen. Und sie argumentieren, dass Nagl bei unbegründeten Absagen wohl kaum wieder beauftragt worden wäre.

Die Staatsoper betont auf profil-Anfrage, dass Orchestermusiker grundsätzlich festangestellt seien, auch längerfristige Vertretungen bekämen eine Anstellung. Nur kurzfristige Aushilfen würden "als freie Dienstnehmer beschäftigt". Eine Entscheidung der ÖGK im Fall Nagl steht freilich noch aus.

Warum tut sich der 28-jährige Nagl den Kampf gegen die Staatsoper überhaupt an, wo es doch vergleichsweise um wenig Geld geht? Nagl: "Auf die kleinen Künstler wird im großen Kulturland Österreich kein Licht geworfen." Hinter ihm stünde eine ganze Gruppe junger Musikstudenten.

Nagl kann es sich leisten: Er hat inzwischen eine Fixanstellung bei einem anderen Orchester in Wien.

Jakob   Winter

Jakob Winter

ist Digitalchef bei profil und leitet den Faktencheck faktiv.