Österreich empfing Vertreter des radikal-islamischen Regimes, damit sie bei Abschiebungen helfen. Kommen bärtige Fundamentalisten bald als Diplomaten und verdrängen die weltweit letzte weibliche Botschafterin?
Die afghanische Botschaft in Wien liegt weit weg von den Diplomatenvillen in den Nobelbezirken der Stadt. Sie ist in Ottakring angesiedelt, zwischen AMS-Bezirksstelle, Mistplatz der MA 48 und U-Bahn-Station. Umstellt von grauen Wohnblöcken, wirkt das Häuschen mit der schwarz-rot-grünen Flagge im Vorgarten wie ein gallisches Dorf. Und ein Widerstandsnest ist es auch – gegen die Taliban, die 2021 Kabul einnahmen und die afghanische Botschaft in Ottakring seither nicht mehr anerkennen.
Hausherrin ist Manizha Bakhtari, die „letzte Botschafterin“, wie ein neuer Film über sie heißt. Weltweit gibt es noch 17 Botschaften aus der Zeit vor den Taliban und nur noch eine mit einer Frau an der Spitze – in Ottakring. In Medien prangerte Bakhtari – ohne Kopftuch – immer wieder die „Geschlechter-Apartheid“ der „Terrorgruppe“ an. Die Taliban fordern ihre Absetzung oder wollen zumindest eigenes Personal ins Konsulat entsenden – wie in Deutschland bereits gelungen.
Gibt Österreich nach? Als Preis für für die Abschiebe-Offensive?
Als wäre die Welt noch die alte
Für eine Botschaft ohne Kontakt zum Heimatland herrscht in Bakhtaris Haus reger Betrieb. Ein goldenes Schild, das auf einem Holzzaun hinter dem Haus montiert ist, weist den Weg zur „Konsularabteilung“. Im Wartezimmer wühlen sich Männer durch Kopien von Meldezetteln, Asylpapieren oder Reisepässen. Vor dem Schalter warten ihre verhüllten Frauen. Überall hängen Zetteln mit QR-Codes, um sich Geburtsurkunden oder Heiratsurkunden aus dem Netz zu laden. Österreichs Fremdenwesen braucht Papiere. Hier gibt es sie. Auch wenn sie in Afghanistan keine Gültigkeit mehr haben.
Doch an einem Punkt endet die Paralleldiplomatie. Bei Abschiebungen. Dafür braucht es die Mitwirkung der Taliban, denn sie müssen die Abgeschobenen in ihr Land lassen. Vergangenen Donnerstag statteten Vertreter des Regimes dem österreichischen Innenministerium einen Besuch ab. Einen „Identifizierungstermin mit 30 ausreisepflichtigen und straffälligen afghanischen Staatsangehörigen“, nennt es das Ministerium.
Die Taliban setzten die Wiener Botschafterin nach ihrer Machtübernahme ab. Doch Manizha Bakhtari blieb.
Auch Kleinkrimelle vor Abschiebung
Den Delegierten vom Hindukusch wurden afghanische Schubhäftlinge vorgeführt. Sie prüften in Gesprächen, ob es sich tatsächlich um Landsleute handelt – als Basis für sogenannte Heimreisezertifikate. Bei den betroffenen Afghanen handelt es sich nicht nur um Vergewaltiger oder Gewalttäter nach verbüßter Haft, sondern auch um Kleinkriminelle, die nach Diebstählen oder Drogendelikten ausgewiesen werden. Welche Gruppe überwiegt, sagt das Ministerium nicht.
Beamte des Asylamtes (BFA) reisten bereits zu Jahresbeginn zu den Taliban nach Kabul. Denn Österreich will Vorreiter bei Abschiebungen in Länder sein, die bisher tabu waren. Im Juli traf es einen Syrer. Es war die erste Abschiebung aus einem EU-Land seit 15 Jahren. Am Donnerstag folgte ein Mann, der wegen eines Sexualdelikts in Haft saß. Auch Richtung Somalia war Österreich vorn mit dabei.
Im nächsten Schritt Taliban-Beamte nach Wien zu laden, war aus Sicht von Innenminister Gerhard Karner (ÖVP) der logische nächste Schritt. Doch welche Gratwanderung das ist, zeigt die Reaktion des Koalitionspartners. SPÖ-Frauenministerin Eva-Maria Holzleitner kritisierte das Treffen „mit Vertretern eines Systems, in dem Menschenrechte mit Füßen getreten und Frauen systematisch diskriminiert werden“, scharf. Das von Beate Meinl-Reisinger (Neos) geführte Außenministerium war nach eigenen Angaben informiert und hielt sich raus. Wie geht es diplomatisch weiter?
„Österreich erkennt die De-facto-Regierung der Taliban nicht als rechtmäßige Regierung Afghanistans an. Der Status der afghanischen Botschaft bleibt unverändert. Botschafterin Manizha Bakhtari ist weiterhin in Wien akkreditiert“, heißt es aus dem Ministerium. Bakhtari kündigte jedoch bereits an, aufzuhören, sollte Österreich Taliban-Vertreter zulassen. Ob sie nun ernst macht, wollte sie profil nicht verraten.
Die Briefe der Taliban
In der Vergangenheit hatten die Taliban in Briefen an die österreichische Regierung Bakhtaris Absetzung oder zumindest eigenes Personal im Wiener Konsulat gefordert. Unter anderem war das die Bedingung für die Freilassung eines Österreichers, der auf eigene Faust nach Afghanistan gereist war. Er kam schließlich über andere diplomatische Wege frei.
Wie schnell es gehen kann, zeigt der deutsche Nachbar, mit dem Karner im engen Austausch steht. Seit Juli sind an der Botschaft in Berlin und im Konsulat in Bonn zwei von den Taliban entsandte Diplomaten tätig, bestätigt das deutsche Innenministerium. Die Regierung in Kabul werde aber weiterhin nicht anerkannt, sagt eine Sprecherin.
Wien als Zentrum von Exil-Afghanen
„Auch wenn die rein technische Ebene der Gespräche betont wird, handelt es sich um eine Art indirekte Anerkennung. Weil alle Welt sieht, dass die Taliban nicht mehr isoliert sind“, sagt Wolfgang Petritsch zum Taliban-Besuch in Wien. Der Spitzendiplomat, dessen Karriere als Sekretär des SPÖ-Bundeskanzlers Bruno Kreisky begann, war zeit seines Lebens auch in der Friedensvermittlung tätig – vom Kosovo bis nach Bosnien-Herzegowina.
2022 startete er mit Mitstreitern den „Wiener Prozess“ für ein demokratisches Afghanistan. Mehrfach trafen Exil-Afghanen, Oppositionelle, Vertreter von Minderheiten und Frauenaktivistinnen zusammen – zuletzt im Februar. Die „letzte Botschafterin“ und Frauenrechtlerin Manizha Bakhtari spielt in diesem Prozess nicht nur symbolisch eine wichtige Rolle.
„Die Taliban dürfen Wien nicht haben“
Die Taliban verfolgen den „Wiener Prozess“ mit Argusaugen, er ist für sie ein rotes Tuch. Sie fordern ein Ende der Wiener Treffen afghanischer Oppositioneller.
Bei allem Verständnis für den politischen Druck, afghanische Straftäter abzuschieben, warnt Petritsch davor, auf die Forderungen der Taliban einzugehen und ihnen das Konsulat oder gar die Botschaft zu öffnen: „Die Taliban dürfen Wien nicht haben.“ Als einer der vier Hauptsitze der Vereinten Nationen und Begegnungsort für Exil-Afghanen komme der Stadt eine besondere Rolle für das Land zu.
Beim „Wiener Prozess“ gehe es darum, dass die Taliban das Doha-Abkommen aus dem Jahr 2020 einhalten, erinnert Petritsch. Es regelte den Abzug der amerikanischen Truppen und verpflichtete die Taliban unter anderem dazu, einen Dialog zwischen den verschiedenen Volksgruppen zu starten, unter Einschluss von Exil-Afghanen und Flüchtlingen.
Der Preis der Abschiebungen
„Wenn man die Taliban nun de facto anerkennt, um mehr Afghanen abschieben zu können, brauchen sie keinen Dialog mehr zu suchen. Und sie können weiterhin alle Frauen – also die Hälfte der Bevölkerung – vom öffentlichen Leben ausschließen“, sagt Petritsch, der sich derzeit mit EU-Politikern über Afghanistan austauscht.
Wie viele Ottakringer wohl wissen, welche Fäden weltpolitisch in dem kleinen Häuschen gegenüber dem AMS zusammenlaufen?
Seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor Wiener Zeitung, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.