Küche, Kultur und Koran

Mitten in Wien-Favoriten betreibt ein Verein unter Einfluss des türkischen Staates einen Kindergarten – gefördert von der Stadt Wien mit 227.000 Euro.

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Die Website des Kindergartens Marienkäfer verspricht ein pädagogisches Paradies: "Als eine multikulturelle Kinderbetreuungseinrichtung legen wir großen Wert auf Toleranz, Respekt und Ordnung." Aus den Kindern sollten "eines Tages anständige, aufrichtige und selbstbewusste Jugendliche und Erwachsene werden". Das "Personal" spreche "überwiegend Deutsch". Der Speiseplan ist "abwechslungsreich und den Bedürfnissen des wachsenden Körpers der Kinder angepasst". Das Marienkäfer-Motto: "Ein kleines Kind braucht Wurzeln. Zum Heranwachsen gib ihm Flügel."

Bleibt die Frage, welche Wurzeln die Marienkäfer-Betreiber tatsächlich im Sinn haben. Laut profil vorliegenden Dokumenten unterwirft sich der Trägerverein des Kindergartens freiwillig der türkischen Religionsbehörde in Ankara. Und im pädagogischen Konzept des Kindergartens werden Türkentum und Islam hervorgehoben – offiziell beaufsichtigt und gefördert von der Stadt Wien.

Die Gudrunstraße im 10. Wiener Gemeindebezirk (Favoriten) ist eine jener Zonen, wo Migration in den Vordergrund rückt. Auf der Straße sieht man mehr Frauen mit Kopftuch als anderswo. Die Geschäftsleute – Schneider, Handyzubehör-Händler, Imbissbetreiber – sind in der Mehrzahl Türken. Und je näher man dem Haus mit der Nummer 189 kommt, desto häufiger sieht man auch Männer mit längeren Bärten und Kopfbedeckung. Nummer 189 ist ein fünfstöckiges Gebäude: im Erdgeschoss eine Filiale der türkischen Vakif-Bank, ein türkisches Restaurant, ein türkischer Friseur. Das Haus gehört dem Moscheeverband ATIB ("Türkisch-Islamische Union für kulturelle und soziale Zusammenarbeit in Österreich"), dem größten islamischen Dachverband Österreichs, zu dem 60 Vereine mit 100.000 Mitgliedern gehören. ATIB steht der AKP-Partei des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdoğan nahe.

Ibrahim Olgun: Der Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft bestreitet Zugriffsmöglichkeiten aus Ankara.

Eine ATIB-Moschee im 20. Wiener Gemeindebezirk (Brigittenau) löste unlängst gehörigen Wirbel aus. Auf Facebook-Bildern waren als Soldaten verkleidete Kleinkinder zu sehen, die eine türkische Heldenschlacht nachstellten. Neben dem Gebäude in der Brigittenau zählt auch das Haus in der Gudrunstraße in Favoriten zu einem der ATIB-Zentren. Geboten wird dort ein Rundum-Service für die türkische Community: Kantine, Veranstaltungssaal, Reisebüro, Organisation von Bestattungen und Pilgerfahrten, eine Arztpraxis, Gästezimmer – und im vierten Stock der Kindergarten Marienkäfer mit 40 zu betreuenden Kleinkindern.

Träger bekennt sich zu türkischer Religionsbehörde

Träger des Kindergartens ist nicht ATIB selbst, sondern der im selben Gebäude untergebrachte Verein NOKTA, der sich als "Bildungs- und Forschungsinstitut" bezeichnet. Der Obmann des Vereins ist bei ATIB tätig. In den vergangenen Jahren hatten ATIB-Vertreter (darunter Ibrahim Olgun, der Präsident der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich) Vorwürfe stets zurückgewiesen, unter Einfluss des türkischen Staates zu stehen. In einer profil vorliegenden Version der Statuten von NOKTA heißt es allerdings: "In seiner Ausrichtung folgt das Institut der islamisch Theologischen Auslegung sowie im Zusammenhang stehenden Angelegenheiten des Präsidiums für religiöse Angelegenheiten der Türkei (Diyanet İşleri Başkanlığı)."

Diyanet ist die staatliche Religionsbehörde der Türkei mit 117.000 Mitarbeitern, 87.000 Moscheen und einem Budget von umgerechnet einer Milliarde Euro. Bis zum Inkrafttreten des österreichischen Islamgesetzes 2015 hatte Diyanet die in ATIB-Moscheen tätigen Imame bezahlt. Nun ist die ausländische Finanzierung von Moscheen und Geistlichen verboten. Doch über den Verein NOKTA kann Diyanet zumindest bei der Erziehung der kleinsten Austro-Türken mitbestimmen.

Allerdings ist es nicht so einfach, eine Bewilligung zum Betrieb eines Kindergartens zu erhalten. Das Wiener Kindergartengesetz verlangt etwa "ein die geltenden Bildungsstandards berücksichtigendes pädagogisches Konzept". In einer profil vorliegenden Version des Konzepts des Kindergartens Marienkäfer finden sich einerseits "Ziele" wie die "Förderung der freundlichen, zwischenmenschlichen Kommunikation" oder die "Stärkung der Selbstwahrnehmung und der Achtung vor Fremden". Allerdings heißt es darin auch: "Ein wichtiger Punkt in unserer Gruppe sind Kindern Türkische Wertvorstellungen sowie die Türkische Kultur altersgerecht zu vermitteln." Darunter fallen "Angebot Türkischer Küche", "Erzählungen türkischer Märchen und Sagen", "Singen von Kinderliedern in türkischer Sprache", "Feiern von türkischen Feiertagen". Neben dem Türkentum wird im Konzept der Islam betont: "Auch ist die religiöse Erziehung ein wichtiger Bestandteil unserer täglichen Arbeit. Unseren Kindern werden durch eine ausgebildete Seelsorgerin zweimal die Woche über die islamischen Werte vermittelt." Dazu zählen: "den Islam kennenzulernen"; "altersgerechte Erzählungen aus dem Koran für Kinder"; "gemeinsames singen von Lobgesang".

Das pädagogische Konzept mit Betonung von Türkentum und Islam wurde von NOKTA 2009 bei der zuständigen Wiener Magistratsabteilung 11 (Kinder- und Jugendhilfe) eingereicht. Damals hatte man im Rathaus keine Bedenken. Doch die Zeiten haben sich geändert. Auf Verlangen der MA 11 wurde das Konzept vergangenes Jahr geändert. Die religiösen und Türkei-Bezüge sind entfallen – auf dem Papier. Und in der Praxis?

227.000 Euro Förderung

Nüchtern betrachtet übernimmt hier eine private Organisationen wie NOKTA eine Dienstleistung, die von Stadt oder Staat mangels Ressourcen nicht ausreichend angeboten wird. Polemisch formuliert verzichtet Österreich auf die Ausbildung seiner jüngsten Bürger mit Migrationshintergrund und schaut zu, wie die Türkei einspringt – allerdings nicht kostenlos: Im Vorjahr erhielt NOKTA als Betreiber des Kindergartens 227.000 Euro Förderung aus der Gemeindekassa. Laut Auskunft des Büros des zuständigen Stadtrats Jürgen Czernohorszky liegt die Höhe der NOKTA-Förderung im Schnitt.

Dem Magistrat muss NOKTA sämtliche Ausgaben belegen. Zuletzt wurde der Kindergarten im Februar überprüft. Fraglich ist, ob die Kontrolleure die Details der Mietverträge kennen, die profil vorliegen. Laut dem mit 15. Juni 2009 datierten Mietvertrag zahlte NOKTA als Mieter an ATIB als Eigentümerin 1593 Euro für 117 Quadratmeter Gesamtnutzfläche. Ein Jahr später, am 7. Juni 2010, wurde die Miete allerdings auf mehr als das Doppelte, auf 3517,20 Euro, angehoben. Der Grund für die Preisexplosion (ob NOKTA etwa weitere Räume anmietete), bleibt offen. Der Obmann des Vereins wollte trotz Mail- und Telefonkontakts keine Fragen in Zusammenhang mit dem Kindergarten beantworten.

Gegenüber Reportern von Servus-TV war man auskunftsfreudiger. In einer Doku-Sendung über islamische Kindergärten sagte die österreichische Leiterin von Marienkäfer, ein Kindergarten könne "unabhängig von den ideologischen Ansichten seines Trägers gut geführt werden".

Auch im Büro von Stadtrat Czernohorszky sieht man keine Verstöße. Untätigkeit kann man der Stadt mittlerweile nicht mehr vorwerfen. Sogar beim Verfassungsschutz fragte man zweimal um eine Beurteilung von NOKTA an. Insgesamt wurde die Kontrollfrequenz erhöht, das Kindergartengesetz verschärft. Im Juli 2017 stellte die Stadt die Förderung des Kindergartens Wunderland ein, da die Abrechnungen der Kinderbetreuung nicht stimmten.

Der Kindergarten war in jener ATIB-Moschee in der Brigittenau untergebracht, in der auch die Kriegsinszenierungen mit Kindern stattfanden. Nach einer Vorladung der ATIB-Verantwortlichen ins Rathaus vorvergangene Woche forderte die Stadt Wien "Richtlinien für die Betreuung und den Umgang von Kindern und Jugendlichen in Einrichtungen von ATIB„. Der Historiker und Islamismus-Forscher Heiko Heinisch sieht die Angelegenheit kritisch: "ATIB vertritt eine nationalistische und zum Teil auch islamistische Ideologie. Ich halte es für prinzipiell bedenklich, dass in diesem Umfeld ein Kindergarten betrieben wird. Wir wissen trotz aller behördlicher Kontrollen letztlich nicht, was dort alles passiert."

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Gernot   Bauer

Gernot Bauer

ist Innenpolitik-Redakteur.