Auf dem roten Teppich vor der Filmpremiere: profil-Chefredakteurin Anna Thalhammer (mit Handy) recherchiert seit Jahren zu Egisto Ott (mit dunkler Brille).

Verletzt „Jup.“ die Menschenwürde von Egisto Ott?

Der ehemalige BVT-Beamte Egisto Ott soll für Russland spioniert haben, vermutet die Staatsanwaltschaft. Dass profil-Chefredakteurin Anna Thalhammer ein entsprechendes Posting auf „X“ teilte, verletze ihn in seiner Menschenwürde, findet Ott – und klagt.

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Leserinnen und Lesern von profil ist Egisto Ott bekannt: Der Kärntner war Chefinspektor beim österreichischen Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) und soll in dieser Zeit für Russland spioniert haben. Das vermutet die Staatsanwaltschaft (StA) Wien. Ott weist alle Vorwürfe zurück, es gilt die Unschuldsvermutung.

Nun klagt Ott profil-Chefredakteurin Anna Thalhammer auf Unterlassung. Nicht aufgrund ihrer ausführlichen Berichterstattung über die Vorwürfe gegen seine Person. Sondern wegen eines Postings auf der Plattform „X“ Ende Juni dieses Jahres. Der Investigativjournalist Christo Grozev hatte ein Foto von Ott am roten Teppich der Premiere des Films „Spy Capital Vienna 2“ geteilt und darüber auf Englisch geschrieben: „Egisto Ott (rechts), ein früherer österreichischer Sicherheitsbeamter, der mich und dutzende Andere für die Russen ausspioniert hat und einmal ein Empfehlungsmemo an den FSB geschrieben hat, wie man nicht erwischt wird, wenn sie das nächste Mal jemanden ermorden, darf auf den roten Teppich. Widerlich.“

Das Posting wurde auf „X“ 989 Mal geteilt. Unter anderem von Thalhammer, die dazu schrieb: „Jup.“ und: „@christogrozev, wissen Sie eigentlich, dass Sie mit einem Interview in dem Film vorkommen?“

Ott fordert Thalhammer nun per Klage auf, diese Formulierung zu unterlassen und 695,65 Euro an Kosten zu übernehmen, wie zuerst die „Kleine Zeitung“ noch vor der Klagszustellung an Thalhammer berichtet hatte. „Ich wurde durch diesen, gegen mich gerichteten Inhalt in meiner Menschenwürde verletzt“, erklärt Ott in seinem Unterlassungsauftrag. Dass der „verletzende Inhalt“ weiter auf „X“ abrufbar sei, „ist für mich unzumutbar“.

Attentats-„Spielereien“

Zur Erinnerung: Laut den Ermittlungen der StA Wien soll Ott über Registerabfragen aus Polizeicomputern und Unterlagen des Geheimdienstes Informationen über Kritiker Russlands gesammelt haben. Einer der Betroffenen dürfte Grozev gewesen sein. Auf Otts Handy fanden die Ermittler eine „Fehleranalyse und Verbesserungsvorschläge“ für die Abwicklung von Attentaten auf Kritiker des russischen Regimes – laut Ott „Spielereien“. Teil dieser Analysen war der „Tiergartenmord“, bei dem ein russischer Spion 2019 im Kleinen Tiergarten Berlin einen Regimegegner Moskaus erschoss.

Nach Otts Suspendierung sollen ihm andere BVT-Beamte bei dieser mutmaßlichen Spionage für Russland geholfen haben. Ein Vertrauter soll etwa Daten von Handys hochrangiger Mitarbeiter des Innenministeriums abgesaugt haben, die später dem russischen Geheimdienst FSB übergeben worden sein sollen. Ein speziell verschlüsselter Laptop, mit dem westliche Geheimdienste arbeiten, soll im August 2022 in der Wohnung des Schwiegersohnes von Egisto Ott übergeben und anschließend nach Russland transportiert worden sein. Die Details zur Übergabe an der Wiener Adresse sollen der in England wegen Russland-Spionage zu zehn Jahren Haft verurteilte Bulgare Orlin Roussev und der flüchtige Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek in Chats ausführlich besprochen haben. Am 12. August 2022 um 12 Uhr 38 schrieb Roussev demnach an Marsalek: „Delivered….“ – zugestellt.

Im Rahmen des BVT-U-Ausschusses soll der damals bereits suspendierte Ott den damaligen FPÖ-Abgeordneten Hans Jörg Jenewein 2018 mit Informationen aus dem BVT versorgt haben: Unter anderem soll er dem Politiker eine Liste mit Namen von BVT-Beamten weitergeleitet haben, die an einem Treffen des Geheimdienst-Bundes „Berner Club“ teilgenommen hatten. Ott wurde dafür im März 2025 nicht rechtskräftig freigesprochen, da das Gericht nicht nachweisen konnte, dass die Infos tatsächlich aus internen Quellen gestammt hatten. Auch dafür, dass Ott im Juni 2020 Informationen über zwei BVT-Beamte und einen verdeckten Ermittler weitergegeben haben soll, sprach ihn das Gericht im Zweifel frei. Ein Vorhabensbericht zu Otts Verbindungen zu Ex-Wirecard-Vorstand Jan Marsalek liegt derzeit im Justizministerium vor. 

Otts mutmaßliches Netzwerk soll auch den Umbau des BVT mithilfe der FPÖ geplant haben: Die StA Wien fand bei ihren Ermittlungen unter anderem das Organigramm eines neuen Geheimdienstes im Außenministerium, laut dem Ott in einer Koordinierungsstelle beschäftigt werden sollte. Die Ermittler sehen darin einen Zusammenhang zu einer Nachricht von Jenewein aus dem Jänner 2019: „Wir werden für alle, die da mitgeholfen haben, eine gute Lösung finden!“

Härtefall Thalhammer

Nachdem Ott bereits die Kabarettistin Marina Lacković auf Unterlassung geklagt hatte, geht er nun auch gegen profil-Chefredakteurin Thalhammer vor. „Egisto Ott lässt sich nicht öffentlich als einer von Putins Top-Spionen verleumden und nachsagen, dass er beim Tiergartenmord Verbesserungsvorschläge für den FSB geschrieben hat“, erklärt Otts Anwalt Robert Kerschbaumer: Die Verbreitung dieses Vorwurfs sei „menschenverachtendste Existenzvernichtung“. 

Mit der „eindeutigen, affirmativen Zustimmung“ durch ihr „Jup.“ habe sich Thalhammer hinter den von Grozev geäußerten Vorwurf gestellt und so einen „massiven Verstoß gegen die Unschuldsvermutung“ begangen, sagt Kerschbaumer – aus seiner Sicht unüblich für die Journalistin: „Ihre Verdachtsberichterstattung in profil über die Causa macht sie gut. Bei ihrem Posting hat sie aber voll danebengegriffen.“

Egisto Ott lässt sich nicht öffentlich als einer von Putins Top-Spionen verleumden und nachsagen, dass er beim Tiergartenmord Verbesserungsvorschläge für den FSB geschrieben hat.

Robert Kerschbaumer

Anwalt von Egisto Ott

Die von Ott genutzte Unterlassungsmöglichkeit wurde 2021 durch das „Hass im Netz“-Gesetz eingeführt. Das zuständige Bezirksgericht Villach hat den Antrag daher, wie es selbst schreibt, nicht inhaltlich geprüft und Otts Unterlassungsaufforderung direkt an Thalhammer geschickt. Allerdings: Da dem Unterlassungsauftrag vorläufige Verstreckbarkeit zuerkannt wurde, musste Thalhammer ihr Posting löschen noch bevor sie gegen die Klage Einspruch erheben konnte. Dieser Aufforderung ist Thalhammer nachgekommen.

Unterlassungsauftrag Ott an Thalhammer: "Aufgrund der vom Gericht nicht überprüften Behauptungen der klagenden Parteien (in Folge nur klagende Partei) ergeht folgender UNTERLASSUNGSAUFTRAG AN DIE BEKLAGTE PARTEI"

„Ein derartiges Vorgehen ist im Hass-im-Netz-Gesetz normalerweise für Härtefälle vorgesehen“, sagt Thalhammer. „Ich bin doch überrascht, dass ein Retweet eines investigativen, Kreml-kritischen Journalisten als solcher angesehen wird.“ Thalhammer kündigt an, sich juristisch gegen die Unterlassungsklage zu wehren. 

Ein derartiges Vorgehen ist im Hass-im-Netz-Gesetz normalerweise für Härtefälle vorgesehen. Ich bin doch überrascht, dass ein Retweet eines investigativen, Kreml-kritischen Journalisten als solcher angesehen wird.

Anna Thalhammer

profil-Chefredakteurin

Thalhammers Anwalt Michael Borsky, der auch profil vertritt, hält es für „relativ chancenlos“, dass Otts Unterlassungsklage vor Gericht hält, denn: „Das Posting ist inhaltlich in Ordnung.“ Zudem glaube er nicht, dass die Vorwürfe überhaupt in Otts Menschenwürde eingreifen würden. Und: „Ott ist eine Person von öffentlichem Interesse. Da reicht bereits ein dünnes Tatsachensubstrat aus. Das ist hier ganz sicher gegeben.“

Weitere Klagen von Egisto Ott dürften folgen. Otts Anwalt Kerschbaumer hat bereits „einige Unterlassungsklagen“ eingebracht. Grozev, der das von Thalhammer geteilte Posting verfasst hatte, habe aber noch keine bekommen, sagt Kerschbaumer. Allgemein kündigt der Anwalt an: „Sobald ich etwas in der Kategorie Thalhammer finde, wird Klage eingebracht.“

Max Miller

Max Miller

ist seit Mai 2023 Innenpolitik-Redakteur bei profil. Schaut aufs große Ganze, kritzelt gerne und mag Grafiken. War zuvor bei der „Kleinen Zeitung“.