Schlapphut-Epizentrum: Red-Carpet mit Egisto Ott
Die Gegend um den Schwarzenbergplatz, die wäre ein Agenten-Hotspot in Wien, erläuterte kürzlich der Historiker und Spionage-Experte Thomas Riegler bei einer hochrangigen profil-Diskussionsrunde. Normalerweise hat er da sicher Recht. Am vergangenen Freitag hat sich das Epizentrum der heimischen Schlapphut-Community aber kurzzeitig mitten in die Innenstadt hinein verschoben.
Im Artis International Kino feierte der mit Spannung erwartete Film „Spy Capital 2“ seine VIP-Premiere. In einem Gesellschaftssegment, in dem man sonst eher darauf setzt, eine „Very Incognito Person“ zu sein, ist allein das schon bemerkenswert. Das Passwort für die Anmeldung zum Event verrate ich an dieser Stelle nicht – nur so viel: durchaus einschlägig für eine gewisse Gemengelage aus Leinwand und Lizenz zum Töten.
Roter Teppich statt Roter Platz
Pünktlich für zwölf Uhr mittags war der Beginn der „Red Carpet Show“ angesetzt – High-Noon also. Und tatsächlich spazierte da der eine oder andere über den roten Teppich, der in den vergangenen Jahren abseits der Kameras für Aufsehen gesorgt hat. Mit besonderer Hochspannung erwartet: Egisto Ott, einst Beamter des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), jedoch seit geraumer Zeit verdächtig, für Russland spioniert zu haben und – zumindest indirekt – ein Zuträger des mutmaßlichen Kreml-Agenten und Ex-Wirecard-Vorstands Jan Marsalek gewesen zu sein.
Ott selbst hat sämtliche Vorwürfe immer bestritten. „My name is Ott, Egisto Ott“, sagt er im Film ganz in 007-Manier. Und legt kamerawirksam nach: „I am a spy. I was a spy. And I will be a spy until I die.“ Eine markige Aussage – sogar noch mit einem kleinen Reim am Schluss. Dann der entscheidende Nachsatz: „But I am an Austrian spy.“ Er habe für Österreich und gegen Russland gearbeitet.
Einen echten Reim darauf, für wen Egisto Ott Spion ist, war und immer sein wird, werden sich wohl die Ermittlungsbehörden machen müssen. In „Spy Capital 2“ legen sich einige zentrale Protagonisten aus dem durchaus bunten Cast jedoch schon einmal dahingehend fest, dass sie Ott für keinen russischen Agenten halten. Darunter ein weiteres – in der Vergangenheit nicht ganz unumstrittenes – BVT-Urgestein: Gert Polli, der das Amt von 2002 bis 2008 sogar geleitet hat.
Polli war im Umfeld der türkis-blauen Regierungsverhandlungen im Jahr 2017 übrigens als Berater für die FPÖ tätig. Dabei soll er den Freiheitlichen auch dahingehend ins Gewissen geredet haben, das zuvor ÖVP-dominierte Innenministerium zu übernehmen – nach dem Motto: Die Partei-Klientel würde sich selbstverständlich erwarten, dass so ein wichtiges Ministerium auch von der FPÖ geführt werde. So kam es dann tatsächlich – mit den bekannten Folgen insbesondere für das BVT, das es heute nicht mehr gibt.
Von Honey-Trap bis Kalaschnikow
Leider nicht auf dem roten Teppich: Jan Marsalek, das große Phantom des Reality-Spionagethrillers, der Österreich seit mehreren Jahren durcheinanderwirbelt. Möglicherweise haben profil-Chefredakteurin Anna Thalhammer und ich, die das Event mit großem Interesse verfolgt haben, ihn aber einfach auch nicht erkannt. Chat-Nachrichten zufolge dürfte der in Russland vermutete Kreml-Agent ja ein paar plastische Eingriffe hinter sich haben, um sein Aussehen zu verändern.
Im Film ist Marsalek jedenfalls die Hauptfigur – auch in nachgespielten Szenen: von der Rekrutierung durch den russischen Geheimdienst im Wege einer klassischen „Honey-Trap“ (also durch einen attraktiven, weiblichen Lockvogel) bis hin zu einem Kurz-Trip ins syrische Kriegsgebiet mit seinem Agentenführer (eine Reise, die es grundsätzlich wirklich gegeben hat). Dort darf der Leinwand-Marsalek dann auch mit der Kalaschnikow ballern. Dass der Film unter anderem von einem Nahrungsergänzungsmittel gesponsert wird, das helfen soll, im zunehmenden Alter den Testosteronspiegel zu steigern, fügt sich jedenfalls nahtlos ins dargestellte Milieu.
Das Marsalek-Orakel
Der große Moment des Films kommt jedoch im Nachspann: Die Aufzeichnung eines Telefonats in englischer Sprache, das die Filmemacher mit Marsalek persönlich geführt haben. Sofern es autentisch ist, ein echter Coup. Tatsächlich wollen die Macher von „Spy Capital 2“ den früheren Wirecard-Vorstand, der sich 2020 gen Moskau abgesetzt hat, an den Hörer bekommen haben. Was sagt Marsalek? Nun, er orakelt einigermaßen herum – wie man es von einem Agenten wohl auch nicht anders erwarten würde: Die Wirklichkeit sei viel komplizierter, sagt die Stimme zum Beispiel ziemlich kryptisch.
Dann geht es im Telefonat um ein aufsehenerregendes Spionage-Verfahren in Großbritannien, das heftig bis nach Wien ausstrahlt. Kürzlich wurden in London sechs Bulgaren zu langjährigen Haftstrafen verurteilt, weil sie quasi als Agentenring im Auftrag von Russland-Spion Marsalek tätig waren. Der Chef der Bande, ein gewisser Orlin R., hatte eifrigst mit dem Auftraggeber gechattet, dem das Pseudonym „Rupert Ticz“ zugewiesen war. Die britischen Behörden konnten diesen Decknamen letztlich Jan Marsalek zuordnen. Im Film wird aber durchaus mit der Möglichkeit kokettiert, dass „Rupert Ticz“ vielleicht doch nicht Marsalek gewesen sein könnte.
Ziemlich exotische Eigenschaften
Die Marsalek-Stimme am Telefon meint zur Londoner Causa zunächst, Geheimdienste – in dem Fall der britische – wären gut darin, eine Show abzuziehen. Auf Nachfrage, ob er tatsächlich involviert gewesen sei: „You never know about it.“ (sinngemäß: Das werden Sie nie erfahren.)
Nun ja, nicht nur im Film, sondern auch in der realen Welt sind Agenten durchaus dafür bekannt, Spuren in alle möglichen Richtungen zu legen. Obwohl der Chef der Bulgaren-Bande, Orlin R., abgestritten hat, dass „Ticz“ in Wahrheit Marsalek sei, kam das Londoner Gericht nach einem monatelangen Prozess doch zu dieser Auffassung. Dass ein Mitglied der Truppe einmal am Münchner Flughafen ausgerechnet ein Marsalek-Fahndungsplakat fotografiert hatte, dürfte diese Überzeugung eher noch untermauert haben.
profil liegen Tausende E-Mails aus dem Wirecard-Account Jan Marsaleks vor. Und siehe da: Sogar über diesen vergleichsweise offiziellen Kanal kommunizierte der damalige Spitzenmanager mit einem gewissen Orlin R. – und zwar bereits im Jahr 2015. Offenbar versuchte R. dem Wirecard-Vorstand damals ein sehr spezielles Mobil-Telefon schmackhaft zu machen – extrem robust („extremely rugged“) und mit ziemlich exotischen Eigenschaften („quite exotic features“). Das Beispielfoto im Mail-Anhang erinnert tatsächlich mehr an einen Taschen-Panzer als an ein elegantes Manager-Handy.
Ob es ein derartiges Gerät war, über das R. später von London aus mit Marsalek chattete, ist nicht überliefert. So viel ist aber klar: Es war nicht robust genug, um der forensischen Auswertung durch den britischen Geheimdienst MI5 zu widerstehen. Ein Thriller aus dem echten Leben, dessen Hauptdarsteller – nämlich die britischen Anti-Spionage-Ermittler – wohl nie auf einer Kinoleinwand zu sehen sein werden.
Ist in Wahrheit London die echte Spionage-Hauptstadt? Nicht im schmierigeren, gaunerhafteren, hemdsärmeligeren Segment der Nachrichtendienst-Halbwelt, in dem Fakt und Fiktion ganz gerne ineinander verschwimmen. Da ist Wien sicher immer noch einsame spitze: Die Macher von „Spy Capital 2“ beschrieben den Film im Vorfeld als „Dokudrama“ – eine „packende Mischung aus Fakten, Intrigen und dramatisch nachgestellten Szenen“. Österreich wurde selten besser auf den Punkt gebracht.
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