
Niederösterreichs Kliniken: Ein Vollzeitbonus für Teilzeitkräfte
Die Bundesregierung möchte, dass hierzulande mehr gearbeitet wird. Doch wie genau steht noch nicht fest. Viermal kommt das Wort Vollzeit im Regierungsprogramm von ÖVP, SPÖ und Neos vor, das erste Mal auf Seite 104. Dort ist folgende Maßnahme festgeschrieben: „Verstärkte Möglichkeiten schaffen für den Wechsel von Teilzeit in Richtung Vollzeit“. Wie das gelingen soll, wird allerdings nicht näher ausgeführt. Und auch in der vom Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmanndorfer (ÖVP) Mitte Juli losgetretenen Debatte rund um Voll- beziehungsweise Teilzeitarbeit zeichnet sich keine klare Maßnahme ab. Eine Maßnahme, die die ÖVP vor der Nationalratswahl 2024 propagierte und auch ÖVP-Generalsekretär Nico Marchetti zuletzt nicht ausgeschlossen hat, findet sich seit 1. Jänner 2025 im Gehaltsschema der Niederösterreichischen Kliniken wieder: ein Vollzeitbonus.
„Jeder Arzt und jede Ärztin, die in einem Vollzeit-Angestelltenverhältnis stehen, bekommen pro Monat 1000 Euro mehr ausbezahlt. All jene, die gesetzlich in einer Teilzeitbeschäftigung arbeiten erhalten anteilig Anspruch auf die Prämie. Ziel ist es, die Verfügbarkeit der Ärztinnen und Ärzte und die Attraktivität einer Vollzeitanstellung zu erhöhen,“ steht in einer Aussendung des Landes Niederösterreichs. 25 Millionen Euro sind für diese Prämie budgetiert. Auch Teilzeitkräfte haben aliquot Anspruch auf den Bonus, wenn sie aufgrund von Kinderbetreuungspflichten Stunden reduziert haben, sich in Pflegeteilzeit oder in einer Wiedereingliederungszeit befinden.
„Ich habe ehrlich gesagt Zweifel, ob diese Regelung einer allfälligen Gleichbehandlungs-Klage vor einem Höchstgericht standhalten würde.“
Chef des Arbeitsmarktservice (AMS)
Was also bringt so ein Vollzeitbonus? Und ist es zulässig, dass ihn manche Teilzeitkräfte anteilsmäßig bekommen und andere nicht?
Nachgefragt beim Chef des Arbeitsmarktservice (AMS) Johannes Kopf. Seine grundsätzliche Haltung zu einem solchen Vollzeitbonus hat er vor kurzem in einem Interview mit der „Kleinen Zeitung“ ausgeführt. Kopf sagte dort, dass er von einem Vollzeitbonus nicht viel halte, da er vor allem Männern zugutekommt. „Mir schwebt eine gerechtere Verteilung zwischen den Geschlechtern vor, wenn Kinder da sind. Es kann nicht sein, dass dann der Mann seine Arbeitszeit erhöht und die Frau zu arbeiten aufhört.“
Teilzeit-/Vollzeitdebatte
- Mitte Juli erklärte Wirtschaftsminister Wolfgang Hattmannsdorfer (ÖVP), dass es Maßnahmen brauche, um mehr Menschen in Vollzeitbeschäftigung zu bringen. Im Fokus stünden vor allem jene, die freiwillig nicht Vollzeit arbeiten – rund ein Viertel aller Teilzeitbeschäftigten. Diese Gruppe bezeichnete er als „Lifestyle-Teilzeit“.
- AMS-Chef Johannes Kopf widersprach in der ZIB2 Anfang August: Mit Moralisierung könne er nichts anfangen. Der wirksamste Hebel sei ein flächendeckender Ausbau der Kinderbetreuung, um die Teilzeitquote zu senken.
- Etwa eine Woche später erklärte ÖVP-Generalsekretär Nico Marchetti in der ZIB2, angesprochen auf die Teilzeitdebatte: „(...) Wir müssen einfach schauen, dass wir einerseits die Progression abflachen, damit es sich auszahlt, dass man Vollzeit arbeitet – ob das ein Vollzeitbonus ist oder andere Regelungen, werden wir auch in der Bundesregierung diskutieren.“
- Einen solchen Vollzeitbonus propagierte die ÖVP bereits im Programm zur Nationalratswahl 2024. Finanzminister Markus Marterbauer (SPÖ) stellte jedoch klar, dass Steuererleichterungen aus budgetären Gründen derzeit nicht denkbar seien.
Im konkreten Fall, dem neuen Gehaltsschema der NÖ Kliniken, sagt Kopf auf profil-Nachfrage: „Besonders in Hinblick auf den Ärztemangel in Niederösterreich verstehe ich die Intention dieses Gehaltssystems und kann mir durchaus vorstellen, dass eine solche – merkbar höhere – Bezahlung auch Wirkung zeigen kann. Sowohl was den Wunsch auf Stundenaufstockung, als auch die Attraktivität der niederösterreichischen Spitalarbeitsplätze generell betrifft“, so der AMS-Chef.
480 Teilzeitbeschäftigte erhalten Vollzeitbonus
In Niederösterreich erhalten derzeit nicht nur rund 1400 der 2800 Vollzeitkräfte den angesprochenen Bonus. Auch circa 480 der insgesamt 1200 Teilzeitkräfte bekommen ihn aliquot. Aber nur dann, wenn bestimmte Gründe für die Teilzeitbeschäftigung vorliegen. Etwa die Herabsetzung des Beschäftigungsausmaßes wegen Kinderbetreuungspflichten, eine Pflegeteilzeit oder eine Wiedereingliederungsteilzeit, sagt eine Sprecherin der NÖ Landesgesundheitsagentur zu profil.
AMS-Chef Kopf skeptisch bei Vollzeitbonus
Johannes Kopf, Chef des Arbeitsmarktservice (AMS), hält nicht viel von einem Vollzeitbonus, weil vor allem Männer davon profitieren würden. Auch zur konkreten Ausgestaltung des Vollzeitbonus in Niederösterreichs Kliniken ortet Kopf Bedenken: Sie könnte gegen Gleichbehandlungsprinzipen einer EU-Richtlinie verstoßen.
„Ich habe ehrlich gesagt Zweifel, ob diese Regelung einer allfälligen Gleichbehandlungs-Klage vor einem Höchstgericht standhalten würde“, sagt Kopf. Denn für Teilzeitkräfte gilt europaweit eine EU-Richtlinie, die sicherstellen soll, dass Teilzeitbeschäftigte nicht benachteiligt werden. Ein Grundsatz besagt außerdem, dass Leistungen, die an Arbeitszeit gekoppelt sind (Gehalt, Prämien, Zulagen), anteilig gewährt werden müssen. Und: Der Umstand, dass jemand in Teilzeit arbeitet, darf nicht dazu führen, dass er oder sie bei Arbeitsbedingungen, Entgelt oder Weiterbildung diskriminiert wird.
EuGH strikt bei Ungleichbehandlung von Teilzeitbeschäftigten
„Der Europäische Gerichtshof (EuGH) war in der Vergangenheit in seiner Spruchpraxis zu dieser Richtlinie ziemlich strikt, was die Ungleichbehandlung von Teilzeitbeschäftigten betrifft“, sagt Kopf mit Verweis auf ein zentrales Urteil in Deutschland. Dort kippte das Bundesarbeitsgericht im Jahr 2023 eine Regelung, wonach Rettungssanitäter im Nebenjob für exakt dieselbe Tätigkeit deutlich weniger Stundenlohn erhielten als ihre hauptamtlichen Kolleginnen und Kollegen. Die Richter sahen darin eine unzulässige Benachteiligung von Teilzeitkräften – ein klarer Verstoß gegen die EU-Vorgabe zur Gleichbehandlung.
Noch komplexer ist die Situation in Niederösterreich, wo nur bestimmte Teilzeitkräfte den Bonus erhalten und andere nicht. Das könnte europarechtlich heikel sein, meint AMS-Chef Kopf. Eine Rechtssprechung diesbezüglich gebe es in Österreich noch nicht.
Bringt der Vollzeitbonus nun aber wirklich Vorteile für Niederösterreichs Spitäler?
Wie viele Personen bereits aufgrund des Bonus aufgestockt haben, könne man noch nicht sagen, sagt eine Sprecherin der NÖ Landesgesundheitsagentur. Denn die Auszahlung an die Ärztinnen und Ärzte habe erst mit März 2025 gestartet, „Anträge von Ärztinnen und Ärzten werden laufend gestellt und bearbeitet, weshalb ganz generell die Nennung konkreter Zahlen nicht möglich ist“, so die Sprecherin.
Auch die Nachfrage, wie viele Teilzeitbeschäftigte für diesen Bonus überhaupt infrage kommen und wie viele Teilzeitbeschäftigte ungefähr durch das neue Gehaltsschema zu einer Aufstockung bewegt werden sollen, wollte die NÖ Landesgesundheitsagentur nicht beantworten. Nur so viel: „Jeder Einzelne, der sich dafür entscheidet, trägt dazu bei, die Versorgungsstrukturen entsprechend abzusichern.“ Eine ernüchternde Antwort – mit Blick auf die insgesamt 25 Millionen Euro, die dafür in die Hand genommen werden.