Wie eine Altersgrenze auf Social Media aussehen könnte und was sie bringt
Von Nina Brnada und Max Miller
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Wenn man Niklas, Ecem, Franz und Estella zuhört, wie sie über Handys und Social Media reden, dann beschleicht einen zuweilen das Gefühl, dass junge Menschen in digitalen Welten leben, von denen Erwachsene keinen Schimmer haben. Sie erzählen von Sechsjährigen, die eigene Handys besitzen, von Neunjährigen, die auf TikTok surfen, von Sperren, die sich leicht umgehen lassen – und davon, was es braucht, um Kinder im Netz besser zu schützen. Dabei sind sie durchaus streng: Handy langsam einführen,
Beschränkungen für gewisse Apps, Beschränkung der Funktionsweisen – und zwar unter Aufsicht der Eltern. Von einem Social-Media-Verbot halten die Jugendlichen nichts. „Wie soll man Umgang mit Social Media lernen, wenn man keinen Zugang dazu hat?“, fragt Niklas, 14 Jahre.
Es ist Mittwochabend, die vier sitzen in einem Zoom Call, einberufen von der Organisation Safer Internet. Seit 20 Jahren berät die Plattform Schulen zur Frage, wie man sich sicher durchs Netz bewegt. Trainerinnen Barbara Buchegger und Marietheres van Veen räumen gleich zu Beginn mit Mythen auf: Es gehe nicht unbedingt um die Zeit am Schirm, sondern um die Inhalte. Es bräuchte eine Einweisung in die Verhaltensregeln im Netz. „Das nennt man Erziehung“, sagt van Veen.
Beschränkungen gibt es bereits
Es ist eine differenzierte Sicht auf die Diskussion rund um die Beschränkung der sozialen Medien, die fast schon populistisch erscheint, wenn man den Jugendlichen und Expertinnen zuhört. „Altersbeschränkungen gibt es ohnehin“, sagt Barbara Buchegger, „nur nützen sie nichts.“
Auf Restriktionen hatte sich die Regierung bereits Ende Februar geeinigt. Es war auch eine Reaktion auf Gewalt, die ihren Ursprung im Internet fand: acht vereitelte Terroranschläge in eineinhalb Jahren, der Messerangriff in Villach am 15. Februar, vor dem sich der Täter online blitzradikalisiert hatte. Nach dem Amoklauf von Graz forderte SPÖ-Vizekanzler Andreas Babler ein Social-Media-Verbot bis zum Alter von 15 Jahren. Neos und ÖVP schlossen sich dem Appell an, die oppositionellen Grünen befürworten ohnehin schon länger ein Mindestalter von 16 Jahren. Selbst vier von fünf 16- bis 17-Jährige sind laut Ö3 Jugendstudie für ein strenger kontrolliertes Mindestalter.
Einzig die FPÖ ist gegen ein Verbot. Sie befürchtet eine Einschränkung der Meinungsfreiheit und bezeichnet das Vorhaben mit Blick auf das Wahlrecht ab 16 auch als „undemokratisch“. Mit einem Social-Media-Verbot bis 16 verhindere man, „dass sich Erstwähler aus einem breiten Informationsangebot selbst ein Bild machen können“. In gewisser Weise deckt sich die blaue Position durchaus mit der der Jugendlichen – greift aber zu kurz.
„Langfristig braucht es einen Ausbau der Vermittlung von Medienkompetenz – sowohl in Schulen als auch bei Erziehungspersonen –, damit Kinder und Jugendliche lernen, Social Media sicher, reflektiert und kritisch zu nutzen“, sagt Sebastian Stark, Vorsitzender der Bundesjugendvertretung.
Dennoch werden rechtliche Möglichkeiten eines Verbots bereits ausgelotet, heißt es auf Nachfrage aus dem Kabinett Babler. Der erste Schritt wäre, auf europäischer Ebene Allianzen zu suchen, etwa mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron, der ebenfalls für ein Verbot eintritt; oder mit der dänischen Ministerpräsidentin Mette Frederiksen, deren Land am 1. Juli die EU-Ratspräsidentschaft übernimmt. Die EU-Kommission arbeitet derzeit an neuen Guidelines für die Plattformen, inklusive strengerer Altersverifizierung. Sollte nichts zustande kommen, würde man nationale Maßnahmen in Erwägung ziehen, heißt es aus dem Büro des Vizekanzlers.
Es gibt international keine Erfahrungen mit Social-Media-Verboten für unter 18-Jährige.
Stephan Dreyer
Wissenschafter und Experte für Medienrecht am Leibniz-Institut für Medienforschung
Nationale Maßnahmen unrealistisch
Diese seien jedoch schwierig umzusetzen, sagt Stephan Dreyer, Wissenschafter und Experte für Medienrecht am Leibniz-Institut für Medienforschung, im Rahmen eines Press Briefings des Science Media Centers Germany. Denn der Digital Services Act (DSA) der EU regle den Jugendmedienschutz auf Social-Media-Plattformen – und EU-Recht habe Vorrang. „Es gibt international keine Erfahrungen mit Social-Media-Verboten für unter 18-Jährige“, so Dreyer.
Bei Altersgrenzen für Porno-Sites habe man aber „massive Bewegung in Richtung von Umgehungsmaßnahmen“ gesehen. Mit einem Virtual Private Network (VPN) könne man etwa dem Anbieter vorgaukeln, dass man in einem anderen Land ohne Verbot sei. Dazu komme, dass nationale Regelungen nur für Plattformen gelten dürfen, die ihren Hauptsitz nicht in einem anderen EU-Land haben. Aufgrund der günstigen Gesetzeslage haben die meisten Digitalkonzerne ihren Sitz aber in Irland und müssen sich daher nur beschränkt an österreichisches Recht halten.
Dass Social Media ein Problem sein kann, ist nicht nur Niklas, Ecem, Franz und Estella klar. Flächendeckende Erhebungen, etwa eine Längsschnittuntersuchung der deutschen Versicherung DAK-Gesundheit und des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf, zeigen: Ein Viertel der Zehn- bis 17-Jährigen hat eine problematische Nutzung – mehr als doppelt so viele wie vor der Coronapandemie. In Österreich schaut fast ein Viertel der 16- bis 17-Jährigen mehr als fünf Stunden pro Tag aufs Handy, zeigt die Ö3-Jugendstudie.
Australien als Vorreiter
Am anderen Ende der Welt ist man einen Schritt voraus: 2024 hat Australien eine Altersgrenze für die Social-Media-Nutzung beschlossen. Wer jünger als 16 ist, soll sich ab Dezember nicht mehr auf Facebook, Instagram, TikTok und Co. einloggen können. Derzeit ist aber offen, ob die Altersüberprüfungen zum Start des Verbots auch funktionieren werden. Vor allem die getestete Gesichtserkennungs-Software scheitert regelmäßig daran, das genaue Alter der Nutzer festzustellen. Die sicherste Möglichkeit der Überprüfung wäre es, ein staatliches Dokument vorweisen zu müssen. Doch laut Gesetz dürfen User ihr Alter auch auf andere – weniger eindeutige – Arten wie eben Gesichtserkennungs-Software beweisen.
Kinder machen vieles nach, vielleicht sollte man mit gutem Beispiel vorangehen und einfach mal das Handy weglegen.
Marietheres van Veen
Trainerin bei Safer Internet
„Wir sollten das Bewusstsein für den richtigen Umgang fördern und nicht Social Media an sich tabuisieren“, sagt Anne-Linda Camerini, Dozentin an der Fakultät für Biomedizinische Wissenschaften in Lugano. Immerhin haben die sozialen Netzwerke für Kinder und Jugendliche auch viele positive Effekte. Zudem ist die Forschungslage derzeit nicht eindeutig. Zwar zeige wissenschaftliche Literatur, dass Social Media bei nahezu allen Formen von Extremisierung – von ideologischer Radikalisierung bis zum Hungerwahn – eine Rolle spielen, sagt Isabel Brandhorst, Leiterin der Forschungsgruppe Internet-Nutzungs-Störungen am Universitätsklinikum Tübingen. Der direkte Konnex von Social Media und Amokläufen erinnert Brandhorst aber an die Diskussion um gewalthaltige Videospiele vor 15 Jahren.
Die Trainerinnen von Safer Internet finden, dass die Diskussion einen wichtigen Aspekt auslässt: die Eltern. „Kinder machen vieles nach, vielleicht sollte man mit gutem Beispiel vorangehen und einfach mal das Handy weglegen.“

Nina Brnada
Redakteurin im Österreich-Ressort. Davor Falter Wochenzeitung.

Max Miller
ist seit Mai 2023 Innenpolitik-Redakteur bei profil. Schaut aufs große Ganze, kritzelt gerne und mag Grafiken. War zuvor bei der „Kleinen Zeitung“.