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Matter: Smart Home wird erwachsen

Smarte Geräte, die zu Hause den Alltag erleichtern können, sind noch immer ein Nischenmarkt. Der neue Standard Matter soll das ändern.

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Seit Beginn des elektronischen Zeitalters gleichen viele Projekte und Technologien meist dem Turmbau zu Babel. Unzählige Hardwarestandards, Programmiersprachen und Schnittstellen machen die Vereinfachung von Geräten und Applikationen seit mittlerweile Jahrzehnten zu schier unlösbaren gordischen Knoten. Man denke nur an die zig verschiedenen Steckdosenadapter, die man als Weltreisender benötigt. Oder das Hin und Her bei Handy-Ladegeräten. Zumindest bei Letzterem konnte dank EU ein entsprechend scharfes Gesetz verabschiedet werden, das die Hersteller nun zu finaler Übereinstimmung auf USB-C zwingt. Aber nicht immer lässt sich ein Wirrwarr an Standards per Verordnung lösen.

Tim Berners-Lee begründete mit seiner Programmiersprache HTML den universellen Standard für das World Wide Web. Mit der zunehmenden Vernetzung von allerlei Geräten über das World Wide Web gewann auch das Internet of Things immer mehr an Bedeutung. Jedes vermeintlich simple Stück Technologie, vom Saugroboter bis zum Drucker, kann drahtlos Kontakt aufnehmen. Sogar Fahrzeuge, vor allem Elektroautos, sind per integriertem GSM-Chip praktisch ständig online. Aus dieser Dynamik und befeuert von Systemen wie Amazons Alexa hat sich ein riesiger Markt von vernetzten Technologien entwickelt, der das Leben daheim und unterwegs immens vereinfachen soll: Smart Home.

Viele Anbieter mit unterschiedlicher Technologie

Amazon zählt mit dem Speaker-System Alexa zu den Pionieren des vernetzten Heims. Mittels einfacher Sprachbefehle können so zum Beispiel Lichter an-und abgeschaltet oder Radiosender aktiviert werden. Auch Google liefert mit seinem System Nest eine umfangreiche Basis, um Haustechnik, Unterhaltung und vieles mehr zentral via Sprache oder Smartphone zu steuern. Ebenso Apple mit seiner Home App beziehungsweise dem HomeKit. Dazu kommen Dutzende weitere Anbieter, die vom smarten Garagentormotor bis zum smarten Katzenfutterspender unzählige Lösungen und Gadgets anbieten. Selbst kritische Bereiche wie das Türschloss oder Warmwasseraufbereitung können von Smart-Home-Systemen gesteuert werden. Das bringt unzählige Systeme, Protokolle und Schnittstellen mit sich. Denn praktisch jeder Hersteller hat seine eigene Plattform entwickelt. Der Smart-Home-Markt ist organisch an vielen Orten gleichzeitig gewachsen und nicht-wie die eingangs erwähnte Internetsprache HTML-von einem zentralen Ausgangspunkt weg. Für Vereinheitlichung sorgt der Connectivity Standards Alliance (CSA),ein lockerer Zusammenschluss von Hunderten Anbietern: Damit können unterschiedliche Hersteller zusammenwirken, etwa ein Smartphone von Samsung und ein smarter Heizkörperthermostat von Bosch. Von einem tatsächlichen Standard war die Branche bislang weit entfernt – bis jetzt.

Die CSA lieferte mit ihrem Standard ZigBee bisher Spezifikationen für Smart-Home-Lösungen: für drahtlose Netzwerke mit geringem Datenaufkommen und geringem Stromverbrauch wie beispielsweise Hausautomation, Sensornetzwerke oder Lichttechnik. Mit ZigBee sind derzeit Produkte von Google, IKEA oder Apple vernetzt. Dennoch befindet sich dieser Standard in Konkurrenzverhältnissen unter anderem zur Z-wave Alliance, die mit Danfoss, Sharp oder General Electric ebenfalls einige globale Technologie-Player im Bereich der Hausautomation zu ihren Mitgliedern zählt. Das Grundproblem: Unterschiedliche Arten der Kommunikation prallen aufeinander, mit umständlichen oder eingeschränkt funktionierenden Ergebnissen.

Neustart mit Matter

Die Einführung der Plattform Matter bedeutet deshalb für die Branche einen sanften Neustart. Matter gibt als neuer Standard ein Framework vor, das nicht über die Cloud, sondern lokal funktioniert. Es handelt sich dabei um ein Open-Source-Projekt, das auf dem bestehenden ZigBee-Protokoll aufsetzt und mit allen anderen Protokollen kommunizieren kann. Ein bildhafter Vergleich: Angenommen, die Protokolle sind wie Blutgruppen-dann ist Matter weder A positiv noch B negativ, sondern simpel gesagt 0 und AB gleichzeitig, also Universalspender und-empfänger zugleich. Das ermöglicht den Herstellern, ihre bisherigen Standards beizubehalten und trotzdem genormt mit allen anderen kommunizieren zu können. Das macht nicht nur den alltäglichen Betrieb unterschiedlichster Geräte und Apps, sondern vor allem das oft umständliche Setup deutlich einfacher.

Geringe Akzeptanz in Österreich

Warum kooperieren hier Konkurrenten wie Apple und Samsung auf einem Milliarden-Dollar-Markt harmonisch und machen Konsumenten damit das Leben einfacher? Branchenbeobachter sehen die Gründe darin, dass der Smart-Home-Markt sich bisher nur schleppend entwickelt hat. Zuverlässigkeit, Konnektivität, Einrichtung und das "Multiplattform-Problem" waren die Hauptprobleme. Das anfängliche Versprechen eines scheinbar grenzenlosen Wachstums ist angesichts der Komplexität und der Frustration der Nutzer abgeflaut. Die meisten Sprachbefehle beschränken sich auf einfache Dinge wie Wetterauskünfte oder Musikwiedergabe. Und die sind eben nicht oder nur schwer monetarisierbar. Außerdem ist das Konzept "Smart Home" in der breiten Wahrnehmung noch nicht über einfache Dienste wie Lichtsteuerung, Internetradio oder Alarmanlagen hinausgekommen, Sprachsteuerung wird oft nur als Gimmick empfunden.

Die Statistik Austria weist für das Jahr 2022 entsprechende Kennzahlen in Österreich aus: So gaben nur rund 22 Prozent aller Befragten zwischen 16 und 74 Jahren an, dass es in ihrem Haushalt Smart-Home-Geräte gibt, hauptsächlich für Strom und Beleuchtung. Damit liegen wir ungefähr gleichauf mit Ländern wie Deutschland oder Südkorea, jedoch hinter den USA. Dort ist bereits rund ein Drittel aller Haushalte mit Smart-Home-Geräten ausgestattet. Prognosen zeigen einen Aufwärtstrend: Laut dem Digital Market Outlook von Statista liegt die Haushaltspenetration für Smart Homes in Österreich im Jahr 2025 bereits bei rund 63 Prozent-zeitgleich wird sich auch der US-Markt bei ungefähr der gleichen Durchdringung einpendeln.

Verbesserte Konnektivität statt Inseln

Thomas Mach, Autor des Fachbuchs "Smart Home" aus dem Jahr 2020, bringt den Status quo auf den Punkt: "Einerseits ist die Palette an Smart-Homebezogenen Produkten sehr breit und damit unter anderem sehr komplex. Menschen, die Smart-Home-Lösungen einsetzen, verbringen meist viel Zeit damit, Produkte zu kombinieren, um eine durchgängig nutzbare Lösung zu bekommen. Andererseits ist es durchaus ein Kostenthema. Hier ist Matter ein Hoffnungsschimmer, da eines der momentan größten Hindernisse die Interoperabilität ist. Bislang war es so, dass viele Lösungen 'Insel-Systeme' waren, wo Produkte, wenn überhaupt, nur innerhalb des eigenen Systems funktionieren und auf Standards beruhende Produkte verschiedener Hersteller nur bedingt gemeinsam genutzt werden konnten. Matter wird nun quasi ein Dach, weil viele Hersteller den Standard unterstützen und damit Interoperabilität verschiedener Produktwelten ermöglichen."

Anstatt also weiterhin Verluste einzufahren und den Konsumenten mit viel zu komplexen Setups zu vergrämen, einigte man sich ganz im Sinne von John F. Kennedy auf den Ansatz: "Eine steigende Flut hebt alle Boote." Man lässt dem Smart-Home-Interessierten freie Wahl, ob er zum Beispiel mittels Siri dem Google-Thermostat einen Sprachbefehl erteilt, anstatt ihn vor die Wahl einer proprietären Lösung des einen oder anderen Anbieters zu stellen. Mit Matter soll also nicht nur die Technologie für Hersteller und Endkunden gleichermaßen verständlicher und flexibler werden, sondern auch der Markt allgemein belebt werden und die Durchdringung der Haushalte mit Smart-Home-Technologie erhöht werden.

Neuer Standard verspricht mehr Sicherheit

Ein offener Standard wirft aber auch Sicherheitsfragen auf: Was ist, wenn über ein Datenleck auf dem Smartphone plötzlich das smarte Türschloss oder die Alarmanlage kompromittiert werden? Thomas Mach hat dazu einen klaren Standpunkt: "Hier ist es wie in vielen Bereichen der Technologie, im Speziellen der Informationstechnologie: Die Palette ist recht breit, reicht von sehr sicheren, vorrangig geschlossenen Systemen, wie etwa von Loxone oder KNX, bis hin zu sehr unsicheren Systemen, vorwiegend im DYI-Bastelbereich, die oftmals auf chinesischen Billiglösungen beruhen." Die Sicherheit von Smart-Home-Systemen ist also eine berechtigte Sorge, die durch Matter gelöst werden soll. Denn mit der Einführung von Matter 1.0 wurden gleich ein paar Sicherheitsstandards implementiert, die das Smart Home gegen alle Arten von Cyberkriminalität oder Sicherheitslücken resistent machen und somit den Schutz der Privatsphäre gewährleisten sollen. Zum einen setzt man auf verschlüsselte Kommunikation, wie es heute schon bei Websites üblich ist. Zum anderen werden alle Geräte beim Setup so weit aufeinander abgestimmt, dass beim Beitritt zum Netzwerk jedes Gerät nicht nur ein Stammzertifikat, sondern auch einen individuellen Schlüssel erhält. Netzwerkfremde Geräte können so gar nicht in die Struktur daheim eingreifen. Darüber hinaus hat auch jeder Teilnehmer eine genaue Definition, was er darf oder nicht. Also darf zum Beispiel eine smarte Steckdose zwar ein-und ausschalten, aber nicht die Grundfarbe eines Lichts ändern.

Um Matter in puncto Sicherheit wirklich unangreifbar zu machen, setzen die Entwickler Blockchain-Technologie ein. In der Blockchain wird ein digitales Register mit dem Namen Distributed Compliance Ledger (DCL), frei übersetzt "Verteiltes Hauptbuch für Konformität", abgelegt. Jedes erfasste Produkt ist mit verschiedenen Daten gespeichert-Informationen über den Anbieter wie Name des Unternehmens, Marke und Internetadresse. Dies soll auch Updates und die Überprüfung, ob ein neu hinzuzufügendes Gerät geeignet und vertrauenswürdig ist, erleichtern.

Matter lässt mit seiner offenen Architektur nicht nur große Player, sondern auch kleine Hersteller partizipieren. Damit haben auch Start-ups und KMU die Chance, ein international gefragtes Produkt auf den Markt zu bringen. Zu den österreichischen Smart-Home-Anbietern zählt Loxone. Das Unternehmen erhielt durch seine Smart-Home-Lösungen im Frühling 2022 eine Bewertung von einer Milliarde Euro. Rüdiger Keinberger, CEO von Loxone, ortet angesichts der Verwerfungen auf dem Energiemarkt großes Potenzial für Smart Home-und Matter: "Der Kunde will eine Lösung, die stabil läuft und Sicherheit bietet und die Offenheit hat, um alle Gewerke miteinander, sprechen' zu lassen. Gerade das aktuelle Thema Kosteneinsparung durch optimales Energiemanagement zeigt, welche Möglichkeiten eine intelligente Automatisierung bietet. Dazu bedarf es eben einer übergreifenden, tiefen Einbindung der Gewerke wie Heizung, Lüftung, Beschattung sowie Anwesenheit und einer Intelligenz, die hier die Aufgaben selbst erledigt. Das heißt, das Haus weiß selbst, was zu tun ist. Wir finden daher den Vorstoß von Matter gut, dass die Geräte miteinander kommunizieren können." Die technologischen Weichen sind gestellt-am Ende wird über die nächsten Monate und Jahre der Konsument bestimmen, ob Smart-Home-Lösungen einen festen Platz in der Gesellschaft haben werden.