Pop und Fest am Wiener Karlsplatz: das Popfest

10 Jahre Popfest: Fresse blutig

Stephan Wabl schaut zurück und meint: Das Wiener Popfest hat die Welt zu einem besseren Ort gemacht.

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Manchmal werden Dinge zu selbstverständlich, fast langweilig, wiederholen sich schon wieder. Dann tut man gut daran, mal zurückzuschauen. Sich bewusst zu machen, was so passiert ist in den letzten Jahren. Welchen Einfluss manche Menschen, Erlebnisse und Konzerte auf einen hatten. Man darf dabei auch pathetisch die Frage stellen: Wäre die Welt, wäre meine Welt, schlechter, wenn ich diesen Menschen nicht getroffen oder jene Band nicht gesehen hätte? Diese Frage darf man sich auch beim Popfest stellen. Die Antwort ist: Ja, die Welt wäre ohne Popfest eine schlechtere. Das kann ich zum 10. Jubiläum beruhigt sagen. Und am Anfang stand ein großer Bang.

Eyjafjallajökull? Kann sich noch jemand daran erinnern? So heißt ein Vulkan auf Island. Am 20. März 2010 ist er ausgebrochen, hat ordentlich Asche in der Luft verstreut und wurde zum Aktivisten in Sachen Klimaschutz. Denn nach seinem Wutausbruch stand für einige Zeit der Flugverkehr in Nord- und Mitteleuropa still. So auch in Österreich in der Nacht von 9. auf den 10. Mai. Niemand konnte per Flugzeug die Stadt verlassen. Die Stimmung? Wie ein unkontrollierter Schulausflug unter einer Käseglocke.

Ähnlich war es im Wien-Museum, als in der selben Nacht der letzte Tag der ersten Popfest-Ausgabe zu Ende ging. Die amerikanische Band „Hunx and His Punks“, die tags zuvor beim Donaufestival aufgetreten war, spielte eine Extrashow, weil sie die Stadt nicht verlassen konnte. Doch eigentlich war es der Showcaseabend der beiden Wiener Labels „Seayou Records“ und „Fettkakao Records“. Ich kann mich an den Abend kaum erinnern. Im Kopf habe ich noch, wie Fettkakao-Gründer Andi Dvorak an einem kleinen Merchstand sitzt und Platten anbietet. Zehn Jahre später spielt er heuer mit seiner Band „Lime Crush“ selbst im Wien Museum. Eine Empfehlung. Denn Bands wie „Lime Crush“ bilden für mich immer noch das Rückgrat des Popfests. Eine Band, ein Raum und 1,2,3,4!

Wie wichtig die kleinen Wiener Labels für die Entwicklung des Popfests waren, sieht man auch daran, dass es noch keine Popfestausgabe ohne Bands aus ihrem Hause gab. Über die Rolle der Indie-Labels für die Wiener Musiklandschaft habe ich mich mit Andi Dvorak vor kurzem in einem Podcast unterhalten. Seayou-Records-Gründer Ilias Dahimène habe ich im Zuge des Popfests 2014 zum Labelstandort Wien befragt. Seine Antwort: „Vorteile: Es ist gmiatlich. Nachteile: Es is gmiatlich.“ Das trifft wohl auch auf das Popfest zu.

Spannend ist auch zu sehen, was auch manchen Bands geworden ist, die ich beim Popfest zum ersten Mal gesehen habe. 2012 habe ich mir irgendwann nach Mitternacht im TU Prechtlsaal „Die Eternias“ angeschaut. Die Clownkostüme und Luftballons haben derart Spaß gemacht, dass ich ein Jahr später mit der Band unterwegs Richtung Sofia war und diese Geschichte entstanden ist. Der Sänger der „Eternias“ tritt heute übrigens unter dem Namen „Voodoo Jürgens“ auf.

2013 hat mir die Band „Scarabeus Dream“ vor ihrem Popfest-Auftritt erzählt, dass sie ihre Show wie eine „Wiedergeburt angemessen zelebrieren“ wird. Dieser Akt hallt bis heute nach. Denn Anfang dieses Jahres hat das Duo mit „Crescendo“ ein vielbeachtetes Album veröffentlicht.

Ebenfalls 2013 spielte das Elektro-Pop-Duo „Fijuka“ beim Popfest eines ihrer ersten Konzerte. Meine Frage an Judith Filimónova und Ankathie Koi: Was ist von euch auf der Bühne zu erwarten? Fijukas Antwort: absolute innerliche Ekstase. Sechs Jahre später wird es nicht anders sein, wenn Ankathie Koi „in private“ am Samstag im TU Kuppelsaal auftritt.

Dabei war das Popfest von Beginn an nicht nur „in private“, sondern auch ein Ort für gesellschaftliche Diskurse. „Es gibt keinen Vertragspunkt in dem steht, Sie werden gebeten, politische Statements zu unterlassen. Jeder kann diese Stunde auf der Bühne nach seinem Ermessen nützen“, sagte der damalige Popfestkurator Patrick Pulsinger im Jahr 2013 mir und meinem Kollegen Philip Dulle. Das wurde vor allem letztes Jahr deutlich, als die Band „Schapka“ politische Äußerungen von Red-Bull-Gründer Dietrich Mateschitz kritisierte – auf der Red-Bull-Bühne.

Oder Lukas Lauermann, der als Cellist das Kunststück geschafft hat, bei allen zehn Popfestausgaben zu spielen. Bei seinem Auftritt im vergangenen Jahr in der Karlskirche beeindruckte er allerdings nicht nur mit seiner Musik, sondern sprach auch über gesellschaftspolitische Themen. Eine Tradition, die der Pop nicht vergessen sollte.

Klar, das Popfest hat sich in diesen zehn Jahren verändert. Es gibt mittlerweile Zählkarten, der Karlsplatz wird in dieser Zeit zum Eventort und bei manchen Besuchern rücken die Bands in den Hintergrund. Aber der Kern ist seit dem Ausbruch des Eyjafjallajökull bestehen geblieben. Gerade dank der Bands, Musikerinnen und Labelbetreiber, die einmal im Jahr mitten in Wien auf der Bühne stehen und so wichtig sind für die Stadt: 365 Tage im Jahr. Auf sie trifft besonders zu, was der deutsche Autor Benjamin von Stuckrad-Barre einmal geschrieben hat: "Ich sehe da auch eine Qualität drin, dass Leute einfach weiter machen. Fresse blutig, aber weitergemacht."

Bis zum nächsten Vulkanausbruch!

10. Popfest (25.7. bis 28.7.) 70 Live-Acts auf zehn Bühnen am und um den Wiener Karlsplatz

Buchpräsentation: 26.7., 18 Uhr, Wien Museum Karlsplatz. "Ein Deka Pop" von Robert Rotifer, Journalist und erster Kurator, stellt alle 400 Acts vor, die seit 2010 beim Popfest gespielt haben. Das Buch erscheint im Wiener Falter Verlag, 280 Seiten, € 34,90