Woher kommt die hohe Fehlerquote bei Asylbescheiden?

Woher kommt die hohe Fehlerquote bei Asylbescheiden?

Ein IT-Consultant analysierte über 40.000 Asylbescheide. Das Ergebnis wirft brisante Fragen auf: Wie unabhängig arbeiten Richter?

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Es war ein Neujahrsvorsatz mit brisanten Folgen. Wolfgang Salm hatte Flüchtlingen ein Dach über dem Kopf, Fahrkarten, Nachhilfe und rechtlichen Beistand besorgt. Dabei waren ihm immer wieder Asylbescheide in die Hände gefallen, die „eines Rechtsstaats unwürdig waren“, wie er fand. Die schlimmsten Passagen sammelte er auf der Website fairness-asyl.at. Nun wollte der IT-Consultant sein Engagement auf eine systematische Ebene hieven.

Das Rechtsinformationssystem der Republik Österreich (RIS) erwies sich als Goldgrube: Salm holte 41.401 Asylbescheide vom amtlichen Webserver, die das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) – die zweite Instanz im Asylverfahren – zwischen 2014 und März 2018 publizierte, und nahm sie unter die Lupe. 13.013 davon betrafen Afghanen. Der IT-Mann leuchtet damit in eine dunkle Ecke der offiziellen Statistik: So ist bis heute nicht zu erfahren, wie viele Bescheide aufgehoben werden oder wie die rund 200 BVwG-Richter im Fall von Afghanen und anderen Asylwerbern entscheiden.

Asylentscheide alle Staaten

Gegenüber profil legt der Datenschürfer aus Niederösterreich seine Funde offen. Anhand der Paragrafen, die den Verfahren zugrunde liegen, zeichnet der IT-Mann jene Schwankungen nach, denen die Gewährung von Asyl, subsidiärem Schutz und die Verhängung von aufenthaltsbeendenden Maßnahmen unterliegen. Dublin-Fälle, in denen ein anderes EU-Land für das Verfahren zuständig ist, fielen aus seiner Analyse. Salms Kurven* zeigen Knicke, die sich zunächst nicht plausibel erklären lassen, auf den zweiten Blick jedoch einigen Sprengstoff bergen.

Beobachtung eins: Vor einem Jahr verschärft sich die Spruchpraxis bei Afghanen. Etwa zu dieser Zeit liefert der Afghanistan-Sachverständige Karl Mahringer – gegen den seit Monaten ein Überprüfungsverfahren läuft – ein Gutachten, demzufolge junge, männliche Rückkehrer in Städten wie Kabul problemlos leben können. Und: Im Herbst 2016 hatte Europa einen „Joint Way Forward“ ausgehandelt, der EU-Geld nach Afghanistan lenkt und das bürgerkriegsgeplagte Land umgekehrt verpflichtet, abgewiesene Asylwerber zurückzunehmen. Die Sicherheitslage vor Ort fällt als Begründung aus: Internationale Berichte und Beobachter konstatieren keinerlei Verbesserungen. Im Gegenteil: Die Statistik der Anschläge und zivilen Opfer bricht stets neue, traurige Rekorde.

Asylentscheide Afghanistan

Im Dezember 2017 knickt die Kurve erneut. Dieses Mal gibt es kein Gutachten und keine einschlägigen neuen Gesetze. Aber es tritt eine Regierung an, die möglichst viele abgewiesene Asylwerber außer Landes bringen will. Tatsächlich schnellen die aufenthaltsbeendenden Maßnahmen in die Höhe und die positiven Asylbescheide gehen rapide zurück. Lassen sich Richter von politischen Vorgaben leiten? NEOS-Abgeordnete Stephanie Krisper hegt genau diesen Verdacht: „Im vergangenen Jahr hat sich weder die Rechtslage noch die Sicherheitslage in den Herkunftsländern geändert. In einem Rechtsstaat dürften sich die Bescheide auch nicht ändern. Dass dies seit Herbert Kickls Amtsantritt geschehen ist, zeigt ein Problem mit der Rechtsstaatlichkeit. Offensichtlich kann ein Minister Einfluss auf Verfahren nehmen. Das ist untragbar. Behörden und Justiz müssen unabhängig von politischer Willkür sein.“

Vor wenigen Wochen sorgte eine Meldung, wonach 42 Prozent der Asylbescheide in der zweiten Instanz aufgehoben werden, für einen mittleren Eklat. Gegenüber dem ORF räumte BFA-Direktor Wolfgang Taucher „nur“ 35 Prozent ein. Auch hier steuert der IT-Experte Erhellendes bei. Salm zählte, wie oft eine Berufung zu Asyl, subsidiärem Schutz oder humanitärem Bleiberecht führte und wie viele Fälle zur Entscheidung an die erste Instanz zurückverwiesen wurden. Aus der Summe ergibt sich die Zahl der korrigierten BFA-Entscheidungen. In der Grafik des IT-Mannes deckt sich die Fehlerquote im Februar zwar mit Tauchers Angabe, Anfang des Jahres kratzte sie jedoch an der 50- Prozent-Marke. Vollends düster wird das Bild, betrachtet man Entscheidungen zu Afghanen: Anfang 2016 wurden 78 Prozent aufgehoben. Dagegen wirken die 38 Prozent vom vergangenen März fast wie ein Traumwert. Nicht für Salm: „Zeigen Sie mir ein Unternehmen mit so einer Fehlerquote, Sie werden keines finden.“

Fehlerquote Afghanistan und andere Länder

* Die Auswertungen zeigen Veränderungen im Zeitverlauf, liefern wegen der textbasierten Datenbasis aber keine absolute Exaktheit. Unvermeidliche Unschärfen – etwa durch unterschiedliche Schreibweisen oder Anonymisierungen – ändern nichts am Gesamtbild.

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Edith   Meinhart

Edith Meinhart

ist seit 1998 in der profil Innenpolitik. Schreibt über soziale Bewegungen, Migration, Bildung, Menschenrechte und sonst auch noch einiges