BMW-Motorenchef: „Wasserstoff bietet Vorteile gegenüber E-Mobilität“
Klaus von Moltke, BMW-Werksleiter in Steyr und Konzernverantwortlicher der Antriebsproduktion, soll die Motoren des bayerischen Traditionsunternehmens zukunftsfit machen. Ein Gespräch über Wasserstoffautos, US-Zölle und warum in Russland trotz Sanktionen neue BMW herumfahren.
Öl- und Klebstoffgeruch in der einen Montagehalle, sterile Hightech-Laboratmosphäre in der anderen Halle. Es sind zwei Welten, die im BMW-Werk in Steyr koexistieren: die alte Welt der fossilen Verbrenner – und die neue, die des leisen und sauberen E-Antriebs. Hier rüstet man sich für die Antriebstechnologie der Zukunft.
Während Unternehmen wie Volkswagen, Porsche, Continental und Co. massenhaft Arbeitsplätze abbauen, fertigen und forschen hier in Steyr 4700 Arbeiterinnen und Arbeiter an Motoren aller Art. Jeder zweite BMW-Motor weltweit läuft in der oberösterreichischen Arbeiterstadt vom Band. Derzeit sind das hauptsächlich Verbrenner, im Herbst soll die Serienproduktion von Elektromotoren anlaufen. 2030 sollen es dann bis zu 600.000 E-Motoren jährlich sein. Hauptverantwortlich für das Werk in Steyr und die Antriebsproduktion von BMW ist Klaus von Moltke.
Fahren Sie einen Verbrenner oder ein Elektroauto?
Klaus von Moltke
Ich fahre einen Verbrenner.
Warum kein Elektroauto?
von Moltke
Momentan bietet sich das für mich und meine Situation nicht an. Ich fahre regelmäßig sehr viele Kilometer und habe auch zu Hause nicht unbedingt die Möglichkeit, aufzuladen.
Die Frage spiegelt ja auch ein wenig die politische und gesellschaftliche Debatte wider. Auf der einen Seite hätten wir gerne günstige Elektroautos als Antwort auf die Konkurrenz aus China. Auf der anderen Seite stellt sich die Politik auch vehement hinter den Verbrenner. Wie wirkt sich dieser Zickzack-Kurs auf eine Marke wie BMW aus?
von Moltke
Die europäische Autoindustrie befindet sich in einer Krise, die Märkte reagieren sehr volatil, und die Regulatorik macht das in Summe nicht einfacher. Einige Hersteller haben viel in E-Mobilität investiert, aber der Hochlauf der E-Mobilität ergibt sich nicht so, wie man es insgesamt angenommen hat. Es zeigt sich auch, dass Plug-in-Hybride stärker nachgefragt werden. Mit unserem Ansatz der Technologieoffenheit sind wir auf dem richtigen Weg, flexibel auf die Marktbedürfnisse reagieren zu können.
Ein Rückblick: Als das EU-Parlament im Februar 2023 das Aus für CO2-ausstoßende Autos ab 2035 beschloss, erklärte der damalige Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) Österreich zum „Autoland“. Es dürfe keine ideologischen Verbote geben, stattdessen brauche es Innovation und Technologieoffenheit. Mit E-Fuels, also synthetisch hergestellten Kraftstoffen, sollen die 300.000 Arbeitsplätze, die hierzulande am Verbrenner hängen, gerettet werden, so Nehammer damals.
Der ehemalige Bundeskanzler ist im April 2023 bei seinem Baustellenbesuch der damals noch im Rohbau befindlichen E-Motorenfertigung in Steyr der Einzige, der über E-Fuels spricht. Bis 2030 investiert BMW allein hier am Standort rund eine Milliarde Euro in die Forschung und Produktion neuer Antriebe. Auf 80.000 Quadratmetern wurden dafür zwei neue Hallen gebaut. Derzeit ist es dort noch ruhig, knapp über 100 Beschäftigte arbeiten in der Vorserienproduktion, bis 2030 soll das Personal in der E-Motorenfertigung dann auf 1000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ansteigen.
Die Technologieoffenheit hat auch der ehemalige Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) vor zwei Jahren bei seinem Autogipfel hier im Werk betont, gleichzeitig hat BMW bekannt gegeben, bis 2030 eine Milliarde Euro in die E-Mobilität am Standort zu investieren. Sieht man sich an, welche Technologien es bisher am Markt gibt und was sie leisten können, dann führt doch kein Weg an der E-Mobilität vorbei?
von Moltke
Der Begriff Technologieoffenheit wird sehr oft falsch interpretiert. Denn das soll ja nicht bedeuten, dass der Hochlauf der E-Mobilität nicht von Bedeutung ist. Und Technologieoffenheit soll auch nicht bedeuten, starr an einer Technologie wie dem Verbrenner festzuhalten. Ich meine damit, dass wir auf der Suche nach Innovationen sein sollten, um das Ziel, emissionsfreien Individualverkehr, zu erreichen.
Wie ist denn das Verhältnis zwischen Verbrenner- und Elektromotoren hier im Werk?
von Moltke
75 Prozent der Motoren, die wir hier produzieren, sind Ottomotoren, also Benziner, und etwa 25 Prozent entfallen auf die Produktion von Dieselmotoren. Parallel dazu steht uns der Hochlauf der E-Maschinen bevor. Wohin sich dann da die Stückzahlen entwickeln und wie schnell dieser Aufschwung sein wird, wissen wir nicht. Unsere gesamte installierte Kapazität wird uns im Endausbau ermöglichen, 600.000 E-Motoren pro Jahr zu produzieren.
Im Herbst 2025 geht die E-Motorenproduktion in Serie, im Laufe des Jahres erhofft man sich den Zuschlag für die Wasserstoffmotorproduktion.
Und welche Rolle spielt die von Ihnen immer wieder getrommelte Wasserstoff-Brennstoffzelle momentan?
von Moltke
Hier haben wir mit unserer Forschungsflotte schon gute Ergebnisse erzielt. 2028 wird das erste Auto, angetrieben mit Wasserstoff, in Serie gehen.
Was wird das die Endverbraucher kosten?
von Moltke
Wir machen aktuell noch keine Aussage zum Anschaffungspreis. Momentan laufen alle Aktivitäten nach Plan. Wir haben eine Pilotflotte von mehr als 30 Fahrzeugen – den BMW iX5 Hydrogen – auf die Straße gebracht, und die funktioniert hervorragend. Wir sind aber davon überzeugt, dass wir bis 2028 noch mal einen Sprung in dieser Technologie machen werden.
Im Vorjahr wurde in Österreich nur ein Wasserstoffauto zugelassen. Wir wissen aus großangelegten Studien und Nutzungsstrategien, dass Wasserstoff vor allem im Schiffs- und Schwerverkehr zum Einsatz kommen soll, überall dort, wo die Elektrifizierung schwierig ist. Wieso setzt BMW beim Pkw trotzdem darauf?
von Moltke
Es ist eine Technologie, die Vorteile bietet. Auch im Vergleich zu dem, was wir bei der E-Mobilität sehen. Solange man ein E-Fahrzeug mit grünem Strom betreibt, ist alles gut und in Ordnung. Das Problem ergibt sich in der Herstellung dieser Produkte, weil wir feststellen, dass wir als Industrie in Europa in Abhängigkeiten geraten. Das sehen wir in Bezug auf die Rohstoffe, aber auch in Bezug auf die Zellentechnologien. Bei beidem sind wir weitestgehend abhängig von China. Und das ist eine Bedrohung für die europäische Wettbewerbsfähigkeit. Wasserstoff-Fahrzeuge reduzieren diese Abhängigkeit.
Aktuell ist Wasserstoff aber nicht im erforderlichen Ausmaß verfügbar. Und wenn es soweit ist, braucht es vor allem die energieintensive Industrie, sagen Experten.
von Moltke
Wir wissen beispielsweise, dass in Deutschland im Jahr 2023 mehr als vier Terawattstunden Strom nicht ins Netz eingespeist werden konnten. Hätten wir diese Energie, egal mit welchem Wirkungsgrad, in Wasserstoff umgewandelt, dann hätten wir viele Kilometer mit diesem Wasserstoff fahren können. Bringen wir erst einmal die Mengen, die wir brauchen, und dann sehen wir, wie wir sie verteilen und nutzen. Sicherlich hat Wasserstoff eine gewisse Bedeutung für andere Verkehrsmittel, ob das jetzt im Schwerlasttransport ist oder im Flugverkehr. Das kann ich gut verstehen.
Verstehe ich Sie richtig, dass der Schwerverkehr, der Schiffsverkehr und die Industrie Ihrer Meinung nach Vorrang haben sollten, und wenn da etwas übrig bleibt, dann sehen Sie den Wasserstoff im Individualverkehr?
In Österreich arbeiten circa 40.000 Menschen direkt in der Fahrzeugindustrie, indirekt hängen rund 80.000 Arbeitsplätze an der Branche. Zählt man die Unternehmen hinzu, die vor- und nachgelagert als Zulieferer agieren, sind es laut dem Fachverband der Fahrzeugindustrie Österreichs mehr als 350.000 Beschäftigte, die direkt oder indirekt im Automotiv-Bereich arbeiten.
In Deutschland waren 2023 rund 780.000 Personen in der Fahrzeugindustrie tätig, momentan werden in der Branche aber Jobs abgebaut. So gab Volkswagen bekannt, in den kommenden fünf Jahren 35.000 Stellen zu streichen. Bei Porsche sollen 1900 Beschäftigte gehen, und erst vor Kurzem kündigte der Reifenhersteller Continental an, 3000 Jobs abzubauen. Die Gründe sind vielfältig: höhere Produktionskosten aufgrund der angestiegenen Energie- und Personalkosten, eingebrochene Absatzmärkte bis hin zum Fakt, dass europäische Hersteller lange keine Antwort auf preiswerte chinesische Elektroautos fanden.
Bei anderen Herstellern gibt es Massenkündigungen, BMW hat bislang nichts dergleichen verkündet. Drohen solche Maßnahmen demnächst auch in Steyr?
von Moltke
Wir machen uns, weil es anderen Herstellern nicht so gut geht, große Sorgen um unsere Zuliefererindustrie. Wir haben im Zuge des Krieges in der Ukraine gesehen, was passiert, wenn nur die Kabelbäume fehlen – dass dann die ganze Industrie schnell stillsteht. Wenn jetzt unsere Zulieferer, die ja auch andere Hersteller beliefern, dadurch unter Druck kommen, dass der Markt nicht mehr so funktioniert, besteht die Gefahr, dass wir wieder massive Lieferschwierigkeiten bekommen.
Welche Maßnahmen bräuchte es denn, um die europäische Autoindustrie aus der Krise zu holen?
von Moltke
Das ist eine Frage, die letztendlich auf europäischer Ebene entschieden werden muss. Andere Weltregionen haben eine Antwort für sich gefunden: China hat jahrzehntelang die E-Batterie staatlich gefördert, und die USA fahren jetzt Schutzzölle hoch. Die EU hat in den letzten Jahren eine sehr ausufernde Regulatorik definiert, sehr stark durch Ideologie getrieben. Das muss sich definitiv ändern. Und Österreich muss sich mit der Frage der Inflation, aber auch mit den Lohnkosten auseinandersetzen.
„Das wird derzeit sehr intensiv diskutiert, und es gibt noch keine endgültige Entscheidung. Aber ich bin jetzt einmal positiv gestimmt.“
Klaus von Moltke
auf die Frage, ob die BMW-Wasserstoffmotoren in Zukunft in Steyr gefertigt werden
Würde BMW unter den aktuellen Rahmenbedingungen noch in Österreich investieren?
von Moltke
Wir erleben gerade einen Wettkampf der Weltregionen. Wenn es um die Ansiedlung der Industrien geht und speziell beim Thema Wasserstoff-Brennstoffzelle sehen wir, dass viele Regionen hohes Interesse zeigen. Wo diese Investitionen getätigt werden, hängt dann von bestimmten Faktoren ab.
Von welchen?
von Moltke
Es geht um Förderungen, es geht um Lohnkosteneffekte, und im Vergleich muss man schon sagen, dass es hier in Österreich ein massives Defizit gibt. Wir setzen aber sehr stark auf die Kompetenz, die wir schaffen können durch die Ansiedlung dieser Technologie hier am Standort.
Sie sind also guter Dinge, dass sich die Konzernzentrale beim Thema Wasserstoffmotorproduktion für Steyr entscheidet?
von Moltke
Das wird derzeit sehr intensiv diskutiert, und es gibt noch keine endgültige Entscheidung. Aber ich bin jetzt einmal positiv gestimmt.
US-Präsident Donald Trump erwägt unter anderem Importzölle auf Stahl und Aluminium und in weiterer Folge eventuell auf europäische Autos. Was würde das für BMW bedeuten?
von Moltke
Da wir ein weltweit agierender Konzern sind, können wir diese Effekte bis zu einem gewissen Punkt kompensieren. In Summe appellieren wir aber, diese Zolldiskussion vernünftig anzugehen, weil es für die Automobilindustrie insgesamt Auswirkungen haben wird.
Sie glauben, dass die EU die im Raum stehenden Zölle noch abwenden kann?
von Moltke
Ja, das hoffe ich.
Was, wenn nicht?
von Moltke
Wir sehen bei Gesprächen sowohl in den USA als auch in Europa, dass es noch Chancen gibt, zu einem guten Ergebnis zu kommen.
BMW gilt in Osteuropa und Russland seit jeher als Platzhirsch. Mit seinem russischen Partner Avtotor wurden 2021 noch 12.000 Autos in Kaliningrad gebaut. Insgesamt wurden im Jahr vor dem russischen Angriffskrieg rund 49.000 BMW in Russland verkauft. Anfang März, nach Beginn des Krieges am 24. Februar 2022, wurde die Produktion im Werk in Kaliningrad gestoppt, der Export nach Russland eingestellt. Obwohl die EU am 15. März 2022 den Export von Luxusgütern im Wert von über 50.000 Euro sowie Eisen und Stahl sanktioniert hat, landen noch immer Neuwagen deutscher Hersteller in Russland. Meist auf Umwegen über die Nachbarländer, etwa im Kaukasus.
Dieser Tage jährt sich der Krieg in der Ukraine zum dritten Mal. BMW ist in Russland sehr beliebt. Heute ist dort ein Geschäft aufgrund der Sanktionen nicht mehr möglich. Wie wirken sich diese auf BMW aus?
von Moltke
Das hat definitiv einen Absatzeffekt gehabt, weil das, wie Sie sagen, ein sehr attraktiver Markt mit einem hohen Volumenabsatz war. Der ist weggebrochen. Dafür konnten wir aber in Weltregionen wie den USA, aber auch in Europa Marktanteile gewinnen, Abstand zum Wettbewerb schaffen. Das hat uns sehr geholfen und diese Effekte zum großen Teil kompensiert.
Und trotzdem finden immer wieder Autos deutscher Hersteller den Weg nach Russland. Wie ist das möglich?
von Moltke
Wir haben klare Regelungen, wenn es um kritische Märkte geht. Da handeln wir entsprechend hart und ziehen Konsequenzen, wenn es zu Verfehlungen kommt. Man muss allerdings wissen, dass es sich teilweise um Firmen handelt, mit denen wir keine Verträge haben, die nicht unbedingt unserer Regulatorik unterliegen und die dort auch unabhängig agieren.
Abschließend: Wie werden wir uns in zehn Jahren fortbewegen?
von Moltke
Individuelle Mobilität wird weiterhin von Bedeutung sein. Menschen wollen flexibel sein. Es wird ein breites Spektrum von Antriebstechnologien geben, zumindest in den nächsten zehn Jahren.
Klaus von Moltke (49) ist seit November 2022 Geschäftsführer der BMW Motoren GmbH in Steyr. Ab 2002 verantwortete er als Projektleiter die Fahrzeugmontage des BMW „3er“, bevor er für vier Jahre ins südafrikanische Werk Rosslyn wechselte. Danach war von Moltke in der Münchner Konzernzentrale für die Produktionsplanung für Mittel- und Oberklassemodelle der BMW Group zuständig. Seit Dezember 2023 fungiert er zudem als global Hauptverantwortlicher der Antriebsproduktion der gesamten BMW-Gruppe.
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Julian Kern
ist seit März 2024 im Online-Ressort bei profil und Teil des faktiv-Teams. War zuvor im Wirtschaftsressort der „Wiener Zeitung“.