Lukratives Leergut: Das Millionengeschäft mit verlorenem Pfand
Mal ist die Dose zerquetscht, mal der Strichcode beschädigt, mal erkennt der Automat die Flasche nicht. In den hinteren Ecken der Supermärkte, gleich neben den nagelneuen Pfandautomaten, türmen sie sich: klebrige Getränkedosen und Kunststoffflaschen, die nicht von den Maschinen angenommen werden. Für Kunden, die bereitwillig Leergut zurückbringen wollen und das Pfand nicht einlösen können, ist das ärgerlich – die zuvor bezahlten 25 Cent sind damit weg. Ganz verschwindet Geld aber nicht: Während die Flasche oder die Dose im Müll landet, bleibt das Pfandgeld im System.
Ab 2026 sollen jährlich 2,2 Milliarden PET-Flaschen und Aluminiumdosen durch das Pfandsystem laufen, so die EWP Recycling Pfand Österreich – jene zentrale Organisation, die im Hintergrund das österreichische Pfandsystem betreibt. Die Vorgaben aus Brüssel sind klar: bis 2029 sollen 90 Prozent aller Einwegverpackungen recycelt werden. In der Vergangenheit zeigte sich: Manche Bundesländer waren in Sachen Mülltrennung vorbildlich – andere, wie die Bundeshauptstadt, wiederum nicht. Damit ganz Österreich bis 2029 die deklarierte Quote schafft, entschied sich die ehemalige Klimaschutzministerin Leonore Gewessler (Grüne) für ein Pfandsystem. Heuer ging das große Pfandsammeln an den Start, vorerst rechne man mit einer 80-prozentigen Sammelquote.
Doch was passiert mit den übrigen 20 Prozent, die ihren Weg nicht ins Pfandsystem zurückfinden? In der Abfallbranche ist die Rede vom „Pfandschlupf“. 440 Millionen Flaschen und Dosen, wofür Konsumenten das Pfand initial bezahlt haben, das Geld aber nicht zurückbekommen. Immerhin geht es da um 110 Millionen Euro.
Die Spur des Pfands
Die Spurensuche beginnt im Supermarkt. Wer ein Getränk kauft, zahlt neben dem Regalpreis 25 Cent Pfand pro Flasche oder Dose an den Verkäufer. Der Betrag bleibt nicht beim Händler, sondern dieser reicht ihn beim Wareneinkauf weiter – auch Groß- und Zwischenhändler müssen die 25 Cent je Gebinde weiterverrechnen. Irgendwann landet das Geld beim Hersteller oder Importeur – im Fachjargon heißen die „Erstinverkehrbringer“.
Alle Hersteller zahlen die Pfandbeträge an eine zentrale Stelle: die EWP Recycling Pfand Österreich. Im Firmenbuch ist sie als gemeinnützige GmbH eingetragen, Eigentümer ist der „Trägerverein Einwegpfand“, in dem Supermarktketten, Getränkehersteller, Wirtschaftskammer und Arbeiterkammer vertreten sind. Die unscheinbare Gesellschaft in einem Bürogebäude in der Schönbrunner Schlossstraße in Wien verwaltet einen Millionenberg an Pfandgeld. Neben dem „Pfandschlupf“ lukriert die EWP Einnahmen aus dem recyceltem Materialerlös und einer Verpackungsgebühr, die jeder Hersteller zusätzlich zum Pfand abzudrücken hat.
Die EWP agiert weitestgehend autonom. Weisungsgebunden ist das Unternehmen nicht, auch hat der Rechnungshof keinen Einblick. Das zuständige Klimaministerium darf lediglich ein Drittel des Aufsichtsrats bestellen. Möchte die öffentliche Hand Maßnahmen setzen, müsste sie das per Bescheid auf Basis des Abfallwirtschaftsgesetzes erteilen. Ein kompliziertes Konstrukt, das das Ergebnis jahrelanger Verhandlungen zwischen Industrie, Handel und der öffentlichen Hand darstellt.
Doch was geschieht konkret mit dem 110 Millionen Euro schweren Pfandschlupf – also den Beträgen, die von den Käuferinnen und Käufern nicht wieder abgeholt werden? Bei der derzeitigen Rücklaufquote von 80 Prozent gehen rund 70 Millionen Euro an den Handel – als sogenannte „Handling Fee“, einer Aufwandsentschädigung. Die übrigen 40 Millionen Euro verbleiben bei der EWP in der Schönbrunner Schloßstraße.
Die EWP wollte auf profil-Anfrage kein Interview geben – aus Termingründen, wie man über eine PR-Agentur mitteilt. Schriftlich erklärt sie, dass neben Kosten für Logistik, Sortierung, Verwaltung und Marketing, die Handling Fee den größten Ausgabeposten ausmache. Für jede Getränkeverpackung, die im Supermarkt zurückgenommen wird, erhält der Betreiber vier Cent Aufwandsentschädigung. Diese soll Personal, Wartung und Abschreibung der Maschinen decken und wird gemäß geltender Pfandverordnung den Aufwandskosten jährlich angepasst – also tendenziell steigen. Aus Beraterkreisen, die in die Konzipierung des Pfandsystems involviert waren, heißt es, dass diese Zusicherung Bedingung war, um den Handel vom Rückgabesystem zu überzeugen. Vereinfacht erklärt: Wenn der Kunde ein Flaschenpfand nicht zurückbekommt, weil die Flasche beschädigt ist oder im Müll landete, wird aus den 25 Cent die Aufwandsentschädigung für Händler finanziert, die sich am Rücknahmesystem beteiligen.
Förderungen und Entschädigungen
„Das Einweg-Pfandsystem muss sich selbst tragen“, betont die EWP. Aus Sicht der Konsumentinnen und Konsumenten dürfte der Ablauf wegen der hohen Supermarktdichte und der 6000 Rücknahmeautomaten reibungslos funktionieren – auch dank der öffentlichen Förderungen. Bislang erhielt der Handel laut Klimaministerium 55 Millionen Euro für die Finanzierung der Rückgabeanlagen. Vermeintlich lukrativ, angesichts der Handling Fee, in der auch die Abschreibung der Geräte berücksichtigt ist. Die EWP stellt auf Nachfrage klar, dass Förderungen in der Kalkulation bereits berücksichtigt seien.
Laut Verordnung muss die Höhe der Handling Fee (derzeit: vier Cent) anhand der durchschnittlichen Kosten jährlich neu bewertet werden. Das Paradoxe daran: Je höher die Rückgabequote, desto geringer der Pfandschlupf – gerät damit die Finanzierung in Schieflage? Ausgehend von der anvisierten 90 Prozent Rücklaufquote stünden 79 Millionen Euro Handling Fee lediglich 55 Millionen Euro Pfandschlupf gegenüber.
Die EWP beruhigt und verweist auf andere Einnahmequelle. Erstinverkehrbringer, also Hersteller und Importeure sind dazu verpflichtet, pro Dose (derzeit: einen Cent) und Flasche (zwei Cent) an die EWP zu entrichten. „Die Produzentengebühr müsste entsprechend angepasst werden“, so das Unternehmen. Das bedeutet: Bei steigenden Rücklaufquoten, wären die Getränkehersteller dazu verpflichtet, die Mehrkosten zu tragen – und das wohl auch in ihre Produkte einzupreisen.
Wofür die übrigen 40 Millionen Euro des Pfandschlupfs, die Erlöse aus dem Recycling und der Produzentenbeitrag in der Schönbrunner Schloßstraße verwertet werden, bleibt ein gut gehütetes Geheimnis – sie dienen „als Beitrag zur Deckung aller Ausgaben“, so die EWP, „wir haben uns dem Ziel von 90 Prozent Rücklaufquote verpflichtet. Jedes nicht zurückgebrachte Gebinde bedeutet einen Rückstand auf diesem Weg. Deshalb investieren wir kontinuierlich in Aufklärung, einfache Rückgabemöglichkeiten und Transparenz – damit Pfandflaschen und -dosen dort landen, wo sie hingehören.“ Soll heißen: Bleibt am Jahresende mehr Geld durch verlorene Flaschen und Dosen übrig, bleibt mehr Geld bei der EWP, damit sie wiederum das Pfandsystem verbessern kann und irgendwann weniger Geld einnimmt – Kreislaufwirtschaft halt.