Medien während Corona: Sag mir, wo die Frauen sind

In der Corona-Krise gaben plötzlich fast ausschließlich Männer den Ton an, Frauen verschwanden aus der österreichischen Öffentlichkeit.

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In der ‚Kronen Zeitung‘ kommen mehr nackte und halbnackte Frauen vor als Frauen aus der Wirtschaft.

In den ersten Monaten der Krise war Politik fast reine Männersache – teils mit einem marginalen Frauenanteil in der Sichtbarkeit von 15 Prozent.

Das sind zwei plakative Zitate aus einer brandaktuellen Studie, die zu einem bitteren Befund kommt: In der Corona-Krise waren Frauen plötzlich aus der österreichischen Öffentlichkeit verschwunden. In der Politik gab das virologische Quartett den Ton an – bestehend aus vier Männern, dem Kanzler, dem Vizekanzler, dem Innenminister und dem Gesundheitsminister. Und auch sonst erklärten Männer die Welt: Über zwei Drittel  der Ärzte, die in Medien zum Corona-virus oder zur Lage in Spitälern befragt oder abgebildet wurden, waren Männer – dabei liegt der Frauenanteil in der Ärzteschaft bei beachtlichen 50 Prozent. Dieses Gefälle zieht sich quer durch die Branchen und Fachbereiche (siehe Grafiken), überall waren Frauen in den Medien extrem unterrepräsentiert. Konkret: In den ersten Krisenmonaten positionierten sich im Corona-Kontext 77 Prozent Männer und bloß 23 Prozent Frauen – als ExpertIn, MedizinerIn, ManagerIn, UnternehmerIn. Mehr als ein Viertel des öffentlichen medialen Raums nahmen Frauen nicht ein.

An Themen hätte es nicht gehapert, im Gegenteil: In den sogenannten „systemrelevanten Berufen“, von der Pflege über die Supermärkte bis zu den Spitälern, stellen Frauen das Gros der Beschäftigten – und das zu teils erbärmlichen Gehältern. Mit Homeschooling, geschlossenen Kindergärten und Schulen waren Eltern besonders gefordert – und in vielen Familien blieb der Löwenanteil der Arbeit an Müttern hängen. „Frauenpolitik ist eine Krisenverliererin. Wenn es schwierig wird, verengt sich der Platz an der Sonne“, konstatiert die Medienanalytikerin Maria Pernegger. Sie hat die Studie verfasst, für die sich eine ungewöhnliche Allianz zusammenfand: Industriellenvereinigung und Arbeiterkammer, normalerweise bei fast jedem politischen Thema gegensätzlicher Meinung, gaben gemeinsam mit den Unternehmen RHI Magnesita und Acredia die Studie bei „MediaAffairs“ in Auftrag.

Untersucht wurde, wie oft und in welchem Zusammenhang im Corona-Krisenjahr Frauen und Frauenpolitik in den Medien auftauchten. Wer wurde als Experte, Expertin zitiert? Wer abgebildet? Wer interviewt? Welche Rollenklischees dominierten? Welches Bild wurde gezeichnet? Dafür wurde die Berichterstattung im Corona-Krisenjahr 2020 durchforstet, in den Tageszeitungen „Standard“, „Kurier“, „Presse“ „Kronen Zeitung“, „Heute“, „Österreich“ und den ORF-Sendungen „ZIB 1“ und „ZIB 2“. Und zwar in Wort und Bild: 72 Prozent der Abgebildeten waren Männer. Erschwerend kommt dazu: Wenn Frauen vorkommen, dann teils nur als optischer Aufputz, frei nach dem Motto: Männer sind mächtig, Frauen schön.

Die Conclusio der Auftraggeber der Studie: Österreich ist in puncto Gleichberechtigung weniger weit als gedacht. Leider.

Es gibt großen Aufholbedarf bei der Sichtbarkeit von Frauen – das hat sich im Krisenjahr 2020 verstärkt. Mehr als 50 Prozent der Bevölkerung sind weiblich, Frauen leisten in Wirtschaft und Gesellschaft Beachtliches. Angesichts des hohen Fachkräftemangels, vor allem in technischen Berufen, müssen wir diese Frauen stärker vor den Vorhang holen, um andere zu ermutigen. Medien haben als wichtige Multiplikatoren in der Berichterstattung auch gesellschaftliche Verantwortung.

Sabine Herlitschka, Vizepräsidentin Industriellenvereinigung

Die Corona-Krise offenbart, dass Gleichstellung eher ein Feigenblatt war als ernst gemeint. Frauen sind systemrelevant, kommen in der Summe der Berichterstattung aber nur mit 190.000 Wörtern vor – das ist ein Buch, das man in zwei Tagen ausgelesen hat. Frauen verdienen mehr an medialer Aufmerksamkeit. Denn die Diskrepanz zwischen Männern und Frauen geht auf Kosten wichtiger Weichenstellungen.

Gudrun Meierschitz, Vorstand Acredia

Wenn Unternehmen nach der Krise stärker sein wollen als zuvor, sind Frauen entscheidend. Wir haben während der Krise bewusst mehr Führungspositionen mit Frauen besetzt, weil wir wissen, dass Unternehmen mit diversem Führungsteam deutlich besser performen und die Innovationskraft steigt. Um agil und innovativ zu sein, brauchen wir ein breites Spektrum an Talenten und Perspektiven. Das bedeutet in unserer nach wie vor männlich dominierten Branche, Schlüsselpositionen mit Frauen zu besetzen.

Simone Oremovic, Vice President RHI Magnesita

In Krisen waren und sind es immer die Frauen, die als Erste zurückstecken müssen. Sie verschwinden ins Homeoffice, hinter Plexiglas im Supermarkt, in die Arbeitslosigkeit und auch aus der medialen Berichterstattung. Diese Krisenlogik muss endlich ein Ende haben, Frauen tragen uns durch die Krise. Das muss gesehen und berichtet werden.

Renate Anderl, Präsidentin Arbeiterkammer

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin