Umwelt

Ökologe Zaller: „Selbstverständlich geht es ohne chemische Pestizide“

Johann Zaller von der Boku über gesundheitsschädliche Wirkstoffe und die plötzliche Sorge um die Ernährungssicherheit in Afrika.

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Die EVP blockiert im Europaparlament das Naturschutzpaket des Green Deal. Sie stößt sich an der geplanten Halbierung von Pestiziden bis 2030 und verlangt mehr Studien über deren Auswirkungen. Ist das Thema tatsächlich so wenig erforscht?
Zaller
Zu den Auswirkungen von Agrargiften gibt es wirklich genügend Studien. Es werden ja auch ständig Pestizide vom Markt genommen, weil Studien zeigen, dass die Mittel doch nicht so harmlos sind. Sogar auf den Beipackzetteln der Pestizide steht, welche Nebenwirkungen sie auf Umwelt und Menschen haben: Etwa, dass das Pestizid vermutlich krebserregend ist, das Kind im Mutterleib schädigen kann oder tödlich beim Einatmen ist. Ich bin der Meinung, solche Substanzen sollten wir nicht in der Umwelt versprühen.
Die Datenlage über den Pestizideinsatz ist dürr, es gibt nur Verkaufszahlen. Weiß man, wie viel tatsächlich auf Österreichs Feldern eingesetzt wird?
Zaller
Die Pestizidanwender sind gesetzlich verpflichtet, aufzuschreiben, welches Mittel wo, wann und in welcher Menge ausgebracht wurde. In Österreich sind für die Kontrolle der Pestizidanwendungen die Bundesländer zuständig. Da es aber keinen gesetzlichen Auftrag gibt, diese Daten zu sammeln, wird es nicht gemacht. Die sogenannten Spritzbücher müssen nur bei stichprobenartigen Kontrollen vorgelegt werden.

Große internationale Studien zeigen, dass selbst eine deutliche Reduzierung des Pestizideinsatzes nicht zu Ertragseinbrüchen führt.

Wie viel davon wird im Bio-Landbau eingesetzt?
Zaller
Im ökologischen Landbau werden grundsätzlich keine chemisch-synthetischen Mittel ausgebracht. Hier wird das Feld als Ökosystem betrachtet, auf dem es durch schlaue Fruchtfolgegestaltung, gute Sortenwahl, Bodeneigenschaften und Nützlings-Schädlings-Interaktionen erst gar nicht zu Schädlingsausbrüchen kommt. Nur in Notfällen werden Substanzen eingesetzt, die sowieso in der Natur vorkommen: Mikroorganismen, Grundstoffe, wie sie auch in der Lebensmittelindustrie eingesetzt werden, wie Backpulver, pflanzliche Öle, Essig und Molke, oder natürliche chemische Elemente wie Schwefel oder Kupfer. Laut Bioverbänden werden in Österreich auf 90 Prozent der Bio-Flächen gar keine Pflanzenschutzmittel eingesetzt, nicht einmal erlaubte.
Die EVP argumentiert, dass bei weniger Pestizideinsatz weniger produziert werden könne und sieht die Ernährungssicherheit in Gefahr – vor allem in Afrika. Ist da was dran?
Zaller
Es ist interessant, dass man sich jetzt plötzlich Sorgen um die Ernährungssicherheit in Afrika macht, nachdem man jahrzehntelang die afrikanischen Märkte mit übersubventionierten europäischen Agrarprodukten zerstört hat. Große internationale Studien zeigen, dass selbst eine deutliche Reduzierung des Pestizideinsatzes nicht zu Ertragseinbrüchen führt. Außerdem ist vieles, was unter starkem Pestizideinsatz produziert wird, nicht direkt für den menschlichen Verzehr bestimmt, sondern geht an die Industrie, etwa für die Ethanolproduktion, oder landet im Futtertrog, wo Fleisch im Überfluss für den Exportmarkt produziert wird.
Ohne Pestizide geht es nicht, meinen viele Rüben- oder Kartoffelbauern. Sie haben Existenzängste.

Grundsätzlich sind konventionelle Bauern nicht auf Pestizide angewiesen, ihnen stehen alle im Bio-Bereich zugelassenen Maßnahmen zur Verfügung.

Zaller
Man könnte meinen, dass die Rüben- und Kartoffelbauern förmlich nach Pestiziden lechzen. Es geht dabei um die sogenannten Neonicotinoide, mit denen das Saatgut behandelt wird. Sie wurden europaweit verboten, weil sie starke Nervengifte sind – tausendmal giftiger als das berühmt-berüchtigte Insektizid DDT – und zum Insektensterben beitragen. Der prophylaktische Einsatz als Saatgutbeize widerspricht den Grundsätzen des integrierten Pflanzenschutzes, wonach Chemie nur dann eingesetzt werden soll, wenn alle anderen Maßnahmen erfolglos waren.
Aber was ist mit jenen, die bisher auf diese Mittel angewiesen waren?
Zaller
Grundsätzlich sind konventionelle Bauern nicht auf Pestizide angewiesen, ihnen stehen alle im Bio-Bereich zugelassenen Maßnahmen zur Verfügung. Der Pro-Kopf-Verbrauch von Zucker liegt in Österreich weit über den Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation. Auch viele Lebensmittel enthalten eine ungesund große Menge Zucker. Darüber hinaus wird aus Zuckerrüben oder Kartoffeln auch Ethanol hergestellt, das Benzin oder Diesel beigemischt wird. Interessanterweise unterliegen die Daten zum Selbstversorgungsgrad von Zucker der Geheimhaltung. Vielleicht sollten wir uns fragen, wozu wir so viel und so intensiv produzieren und wofür die Ernte überhaupt verwendet wird?
Wenn es ohne chemische Pestizide geht, wer oder was hindert die Bauern an einer Umstellung?
Zaller
Selbstverständlich geht es ohne. Der Bio-Landbau beweist das. Hinderlich für eine breitere Umstellung des Agrarsektors zu mehr Nachhaltigkeit ist wohl die Agrochemie-Lobby, die das landwirtschaftliche System unterminiert. Auch herrscht ein großes Sicherheitsdenken bei den Bauern. Um keine Ernteverluste zu riskieren, greift man zu Pestiziden. Das ist so, als würde man bei den geringsten Krankheitssymptomen sofort ein starkes Medikament verschreiben.
Christina   Hiptmayr

Christina Hiptmayr

ist Wirtschaftsredakteurin und Moderatorin von "Vorsicht, heiß!", dem profil-Klimapodcast (@profil_Klima).

Siobhán Geets

Siobhán Geets

ist seit 2020 im Außenpolitik-Ressort.