Puff, Sex und Krise: Was die Pandemie mit der Sexarbeit machte
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Das ist die Geschichte von Ioana*. Von Anja. Und auch von Lisa. Sie bieten Sex gegen Geld an, als drei von ungefähr 7000 Sexarbeiterinnen in Österreich – 5000 angemeldete, 2000 bis 3000 illegale, schätzt das Bundeskriminalamt. Rund 95 Prozent der offiziellen Sexarbeiterinnen sind Migrantinnen, die meisten von ihnen kommen aus Rumänien, Bulgarien, Ungarn und der Slowakei. Viele bleiben nur kurz in Österreich oder sie pendeln, so wie Ioana.
Heute hat Ioana aber vor allem gewartet. „Es war wenig los, ein Kunde wollte Sex mit Küssen, der andere anal. Beide Services mache ich nicht.“ Vor 15 Jahren kam Ioana das erste Mal aus Rumänien nach Wien. Ihre Cousine war hier schon länger als Sexarbeiterin tätig. Ioana war eine der wenigen, die wusste, was genau sie in Österreich machte, und wollte das auch ausprobieren, um mehr Geld zu verdienen. Mittlerweile ist ihre Cousine mit einem ehemaligen Kunden verheiratet, Ioana, inzwischen Mitte 30, fährt weiterhin regelmäßig von Rumänien nach Österreich. Sie arbeitet momentan in einem Laufhaus in Oberösterreich. „Ich bleibe jedes Mal, bis ich genug Geld verdient habe, um damit für eine Zeit gut durchzukommen. Dann fahre ich wieder nach Rumänien zurück.“
Diese Art, Geld zu verdienen, ist nach wie vor ein Tabu. Die gesellschaftlichen und rechtlichen Umbrüche der vergangenen Jahre haben aber auch in dieser Branche Spuren hinterlassen: EU-Erweiterung, Gesetzesänderungen, soziale Medien und die Pandemie haben die Sexarbeit stark verändert. Die Bordellbetreiber haben an Macht verloren, die Verhandlungsmacht der Frauen wurde gestärkt, gleichzeitig verschiebt sich vieles ins Illegale. Und dort kann wiederum ziemlich viel schiefgehen. Was ist also Sexarbeit heute? Eine Fahrt durch die Nacht.
Kein Schampus, kein Bling, kein Chef
Debatten über Sexarbeit sind ganz grundsätzlich emotional. Österreich versucht, analog zu Deutschland, legale Arbeitsmöglichkeiten für Sexarbeiterinnen zu schaffen – dennoch berichten mehrere Frauen im Lauf der Recherche von schikanösen Verwaltungsstrafen vonseiten der Polizei. In Österreich ist diese Arbeit, solange sie freiwillig und offiziell passiert, nicht illegal. „Freiwillig“ kann hier aber viel heißen – Flucht aus der Armut, wenig andere Arbeitsalternativen oder eben einen wirklichen Berufswunsch. Ganz anders in Schweden oder Frankreich, dort ist das Kaufen von Sex verboten, Freier werden strafrechtlich verfolgt. Auf EU-Ebene gab es Pläne, EU-weit die Gesetzeslage zu vereinheitlichen – in Richtung Verbot. Ob legalisiert oder nicht, diese Arbeit bleibt ein Tabu.
So auch in Ioanas Familie. Niemand weiß, was sie in Österreich macht. Zu Hause erzählt sie, dass sie einen österreichischen Freund hat, den sie immer wieder besucht. Das ist bei Anja anders. Wir treffen sie an einem unspektakulären Ort. Kein Samt, kein Schampus, kein Bling und kein Chef. Auf einem Parkplatz mitten im Gewerbegebiet am Rande einer niederösterreichischen Kleinstadt hängen Leuchtreklamen und Bilder, die schnellen Sex versprechen.
In einem schmucklosen Laufhaus reihen sich die Zimmer aneinander, an den Türen hängen Bilder und verheißungsvolle Angebote. Bei der fünften Tür macht Anja auf. Die über 40-Jährige arbeitet seit 20 Jahren in der Sexarbeit – Nachtclubs, Escort, Laufhaus, sie hat viel gemacht, gesehen und auch einige Watschen verteilt. Sie ist selbstbewusst und resolut, ungeschminkt und sportlich gekleidet. „Guten Abend“, sagt sie und schüttelt entschieden die Hand.
„Ich will ausgeschlafen sein.“
Anja
über ihre Arbeitszeit
In diesen 20 Jahren hat sich viel verändert. Man könnte sagen, dass in der Branche ein Strukturwandel stattgefunden hat. Es gibt weniger Nachtclubs, vor allem am Land haben viele kleine Bordelle zugesperrt. Gleichzeitig öffneten mehr Laufhäuser und größere Betriebe mit finanzkräftigen Investoren im Hintergrund, heißt es in einem Bericht des Bundeskriminalamts. Viele Betreiber sind untereinander vernetzt, an mehreren Laufhäusern beteiligt und kennen einander gut.
Anjas Familie weiß, was sie arbeitet, und akzeptiert das. Manchmal kommt es trotzdem zu seltsamen Situationen, wenn jemand schlecht über Sexarbeit spricht – und dann schnell „aber bei dir ist das ja anders“ hinzufügt. Die Arbeitszeiten hier im Gewerbegebiet sind geregelt. Viereinhalb Tage, am Abend ist Schluss, die Nacht macht Anja nicht mehr durch. „Ich will ausgeschlafen sein.“ Eine Frau im Laufhaus arbeitet seit 18 Jahren hier, andere erst seit ein paar Wochen. Die Frauen gehen gemeinsam joggen, bringen die Hunde raus, einige schlafen sogar an ihrem Arbeitsplatz.
Der Föderalismus macht auch vor der Sexarbeit nicht Halt. In Wien darf Sexarbeit in Bordellen, Laufhäusern, aber auch in Wohnungen stattfinden. In Salzburg, Vorarlberg und Tirol ist Sexarbeit nur in offiziellen Bordellen erlaubt, die Frauen müssen in einem Betrieb gemeldet sein, um die amtlich vorgeschriebenen Untersuchungen machen zu können. Das gibt den Betreibern mehr Macht. Sie können bei Konflikten den Sexarbeiterinnen mit der Untersuchungskarte drohen. In Vorarlberg gibt es bisher kein genehmigtes Bordell und daher auch keine registrierten Personen.
„Es war mir einfach fad. Dann habe ich mir gedacht: Warum nicht? Mir macht es Spaß, mit den Männern zu spielen.“
Lisa
über ihren Einstieg in die Sexarbeit

Strukturwandel in der Branche
Die Zahl der Nachtclubs nimmt ab, mehr Laufhäuser entstehen.
© Alexandra Unger
Strukturwandel in der Branche
Die Zahl der Nachtclubs nimmt ab, mehr Laufhäuser entstehen.
Strukturwandel in der Branche
Die Zahl der Nachtclubs nimmt ab, mehr Laufhäuser entstehen.
In Anjas Zimmer brennen ein paar Kerzen, wir setzen uns an den Bettrand, der einzige Sitzplatz an diesem Ort, der nicht für lange Gespräche ausgelegt ist. Es fühlt sich fast an wie in einem kleinen WG-Zimmer. Im Eck befindet sich eine Dusche, neben einem Kasten lehnen ein paar Spezialwerkzeuge und ein paar Schraubenzieher, um diese richtig einzustellen. Für das Laufhaus muss Anja Miete zahlen, rund 560 Euro pro Woche, das ist vergleichsweise günstig. Eine Woche in Linzer oder Salzburger Laufhäusern kostet im Schnitt 2000 Euro. Bei einer Stunde Sex für 200 Euro – ein Standardpreis für Sex ohne zusätzliche Services – sind das zehn Kunden allein für die Wochenmiete.
Mehr illegale Sexarbeit seit der Pandemie
In einem Café in Wien sitzt Lisa. Sie trägt ein schwarzes, weites T-Shirt, ist ungeschminkt und Brillenträgerin. Mit 19 fing sie als Sexarbeiterin an, zuerst in einem Massagestudio, dann stieg sie um auf Escort und Hausbesuche. „Ich habe damals eine Lehre gemacht, aber durfte kaum etwas machen. Es war mir einfach fad. Dann habe ich mir gedacht: Warum nicht? Mir macht es Spaß, mit den Männern zu spielen.“ Seit einigen Jahren tut sie das aber nicht mehr offiziell.
Und das ist eine neue Entwicklung, die die Polizei aufmerksam beobachtet. „Es gibt nicht weniger Sexarbeit, aber sie hat sich verlagert. Die illegale Sexarbeit nimmt seit der Pandemie zu“, sagt Brigadier Gerald Tatzgern. Er leitet die Zentralstelle zur Bekämpfung von Schlepperkriminalität, Menschenhandel und grenzüberschreitendem Prostitutionshandel. In Wien fanden heuer bereits 68 Schwerpunktaktionen statt, 570 Anzeigen wurden wegen illegaler Wohnungsprostitution erstattet. „Viele arbeiten in kurzfristig angemieteten Wohnungen. Durch das Internet wurde die Anbahnung sehr einfach. Das Problem ist, dass wir dadurch kaum in ihre Nähe kommen. Aber wir sehen vor allem illegale Sexarbeit, keinen Menschenhandel.“
„Bei den nicht-angemeldeten sind viel mehr Österreicherinnen dabei.“
Lisa
über illegale Sexarbeit
Lisas Kunden sind bunt gemischt: Vielverdiener, Wenigverdiener, Drogensüchtige. Wer bei „Escortservice“ an einen gemeinsam verbrachten Abend mit Essen, Drinks und Gesellschaft denkt, wird von ihr naiv genannt. „Das ist die Marketingerzählung. In Wirklichkeit sind es Hausbesuche, bei denen es nur um Sex geht.“
Aber warum arbeitet Lisa nicht legal?
Sexarbeiterinnen müssen alle sechs Wochen eine Untersuchung machen. Die Frauen werden auf Syphilis, Gonorrhoe und HIV getestet. Die meisten Organisationen, die Sexarbeiterinnen vertreten, sehen dies sehr kritisch. „Es geht dort nicht um Gesundheit, sondern Kontrolle“, sagt Lisa. Seit Corona machen die Sexarbeiterinnen den Abstrich selbst im Untersuchungsraum. „Ich hatte einmal Feigwarzen, und sie hätten mir trotzdem den Deckel (den bestandenen Test, Anm.) gegeben. Ich tue mir das nicht mehr an.“
Sie fügt auch hinzu: „Bei den nicht-angemeldeten sind viel mehr Österreicherinnen dabei.“ So wie sie. Manche haben Sorge, dass in ihrem späteren Leben die Meldung einmal auftaucht. Zum Beispiel bei einem Scheidungsverfahren, auch wenn das eigentlich nicht passieren dürfte. „In Rumänien besteht ein Verbot der Prostitution, und dort droht Sexdienstleisterinnen eine Kindesabnahme“, steht im Bericht des Bundeskriminalamts. Dort heißt es auch, dass viele Frauen aus diesem Grund unterversichert sind.
Lisa arbeitet jetzt aber auch weniger als früher. Damals, im Massagestudio, folgte ein Kunde auf den nächsten, sie verdiente gut. „Aber mein damaliger Freund hat auf meine Kosten gelebt, dann ist er in die Sucht abgerutscht.“ Die Aufträge über das Escortservice sind weniger als früher. Sie fügt hinzu: „Jetzt lasse ich mich teils von einem Mann aushalten.“
Aber neben der selbstbestimmten Sexarbeit gibt es nach wie vor auch den Menschenhandel, also Frauen, die sexuell ausgebeutet werden. In den letzten Jahren nahm die Zahl der Anzeigen wegen Menschenhandels stark ab. Doch erst vor Kurzem hob die Polizei in Tirol einen international agierenden Menschenhändlerring aus. 28 Beschuldigte sollen in den letzten drei Jahren 45 Frauen von Kolumbien nach Österreich gelockt und zur Prostitution gezwungen haben. Sie hatten bei ihrer Ankunft plötzlich „Schulden“ in der Größenordnung von 10.000 Euro, die sie „abarbeiten“ mussten.
Doch Gerald Tatzgern vom Bundeskriminalamt erzählt noch etwas Überraschendes: „Die Hälfte der Frauen, die Opfer von Menschenhandel werden, kommen aus EU-Ländern, der Rest aus Südamerika, China, Nigeria.“ Wie lassen sich solche Abhängigkeitsverhältnisse in der EU schaffen? „Das sind meist auch emotionale Abhängigkeiten. Die meisten Menschenhändler sind die Freunde und Ehemänner – die dann Teil eines Menschenhändlerrings sind.“

Zimmer im Maxim in Wien
„Unser größtes Problem ist es, für Frauen als Arbeitgeber attraktiv zu sein", sagt der Chef des Etablissements.
© Clara Peterlik
Zimmer im Maxim in Wien
„Unser größtes Problem ist es, für Frauen als Arbeitgeber attraktiv zu sein", sagt der Chef des Etablissements.
Ein Zimmer im „Maxim" in Wien
„Unser größtes Problem ist es, für Frauen als Arbeitgeber attraktiv zu sein", sagt der Chef des Etablissements.
Generationswechsel im Puff
Auf in die Wiener Kultadresse „Maxim“. Hier gingen schon viele bekannte Gesichter ein und aus. Das Maxim ist mittlerweile einer der wenigen verbliebenen Nachtclubs mit sexuellen Extras in der Stadt. Auch an einem Montagabend herrscht hier einiger Betrieb. Eine steile, rote Plüschstiege führt hinunter, dort erinnert das Lokal weniger ans Rotlichtmilieu als an einen stinknormalen Club. Nur wenn eine der Frauen die kleine Bühne samt Poledancestange betritt, wird man wieder daran erinnert, wo man eigentlich ist. Die einfachen Zimmer, die um die 200 Euro pro Stunde kosten, sind fast unspektakulär. Das Maxim bekommt das Geld für die Zimmer, die Frauen erhalten von den Freiern das Geld für ihre Arbeit.
Heute stehen fünf Frauen in hochhackigen Schuhen und schicken Kleidern an der Bar. „Die Frauen sind nur leicht geschminkt und nicht so aufgemascherlt“, bemerkt Anja, die uns begleitet hat. „Das ist ein gutes Zeichen, dass sie nicht unter so großem Druck stehen.“ Im Laufe dieser Recherche erzählen einige Frauen von übergriffigem Verhalten der Betreiber. Von Verträgen, die abstruse „Steuern“ abziehen oder Etablissements, die Preise für die selbstständigen Frauen festsetzen. Wenig später setzt sich Maxim-Chef Roman Stern neben uns auf das Ledersofa. „Uns geht es gut“, sagt er schlicht. „Unser größtes Problem ist es, für Frauen als Arbeitgeber attraktiv zu sein.“

Sado-Maso Raum im Keller
Die Zeiten der Rotlichtgrößen mit wilden Spitznamen sind auf jeden Fall vorbei. Das sogenannte Milieu hat sich verändert – und das ist gut so. Die neue Generation der Chefs versucht aber, weniger Strizzi und mehr Businessman zu sein.
© Clara Peterlik
Sado-Maso Raum im Keller
Die Zeiten der Rotlichtgrößen mit wilden Spitznamen sind auf jeden Fall vorbei. Das sogenannte Milieu hat sich verändert – und das ist gut so. Die neue Generation der Chefs versucht aber, weniger Strizzi und mehr Businessman zu sein.
Sado-Maso Raum im Keller
Statt 8000 angemeldeten Sexarbeiterinnen wie vor der Pandemie gibt es in Österreich heute noch rund 5000. Viele Frauen sind nach dem De-facto-Berufsverbot während der Lockdowns nicht mehr nach Österreich zurückgekommen. Auch für Ioana hat sich einiges geändert. „Ich konnte früher länger davon leben“, erzählt Ioana. Die Preise für Sex unterliegen keinen Kollektivvertragsverhandlungen. Sie verdiene in den Wochen in Österreich noch immer genug, um davon in Rumänien einige Zeit über die Runden zu kommen, aber der Unterschied wird kleiner. Ihr Gehalt in Österreich stieg nicht, das der meisten Rumäninnen und Rumänen aber – aufgrund des wirtschaftlichen Wachstums im Land – sehr wohl. Das ist auch ein Grund, warum heute weniger Frauen diesen Weg gehen.
Tatsächlich beschweren sich im Laufe dieser Recherche immer wieder Laufhaus- oder Bordellbesitzer, dass sich das Geschäft verschlechtert habe. Aus vielen Nachtclubs wurden Laufhäuser. Die Frauen können sich aber auch zu dritt eine Wohnung anmieten und dort Kunden empfangen, legal oder nicht. Die Zeiten der Rotlichtgrößen mit wilden Spitznamen sind auf jeden Fall vorbei. Die „roten Heinzis“ und wie sie alle hießen sind nicht mehr am Leben. Das sogenannte Milieu hat sich verändert – und das ist gut so. Viele Betriebe wurden innerhalb von Familien weitergegeben, sind in österreichischer Hand geblieben. Die neue Generation der Chefs versucht aber, weniger Strizzi und mehr Businessman zu sein.
Die Plüschstiege wieder hinauf. „Geht ihr schon? Ist nichts los?“, fragen uns drei Männer, die gut gelaunt das Maxim betreten, als wir gerade hinausgehen. Wenige Minuten später kommt der Chef nach. „Jetzt fließt der Champagner“, sagt er grinsend. Für ihn geht es jetzt aber nach Hause. Das hätte es früher wahrscheinlich auch nicht gegeben.
Ganz am Ende schiebt Anja noch eine Anekdote nach: „Am liebsten gehe ich mit meinen Kolleginnen in einen Erotikclub tanzen. Alle lassen uns in Ruhe, die Stimmung ist gut, und es macht Spaß.“
* Die Namen der Frauen wurden von profil zum Schutz von deren Privatsphäre geändert.
Clara Peterlik
ist seit Juni 2022 in der profil-Wirtschaftsredaktion. Davor war sie bei Bloomberg und Ö1.