Trachtenfirma Gössl: Wie steht man den Beinahe-Ruin als Familie durch?
Die Salzburger Trachtenfirma Gössl ging im Herbst pleite. Jetzt ist das Sanierungsverfahren abgeschlossen, der Familienbetrieb hat noch die Kurve gekriegt. Wie schafft man das als Familie?
Die Lederhose und das blau-weiß gestreifte Hemd sitzen schon, das Gilet zupft die Verkäuferin an der Kleiderpuppe noch zurecht. Jetzt fehlt nur noch die richtige Position im Verkaufsraum, dann kommt die nächste Puppe dran. Es ist zwar schon Juni, aber bei Gössl wird noch die Frühlings- und Sommerkollektion hergerichtet. Das ist zwar reichlich spät, aber wohl Maximilian Gössls größte Leistung der letzten Monate.
Denn im Herbst sah es aus, als wäre die Winterkollektion die letzte der bald 80 Jahre alten Traditionsfirma gewesen. Der Salzburger Trachtenhersteller kämpfte – wie viele Unternehmen in Österreich – mit der Rückzahlung der Coronakredite. Im Dezember stellte man schließlich einen Insolvenzantrag. Drei Insolvenzverwalter übernahmen die Geschäftsgebarung der drei Teilgesellschaften, die Familie Gössl saß auf der Zuschauerbank. Vor zwei Wochen haben die Gläubiger den Sanierungsplan angenommen. Die Gössls haben damit wieder die Kontrolle. Aber was macht so etwas mit einer Familie?
Unfreiwilliger Neuanfang
Die Kühe grasen auf der Wiese, im Hintergrund schillern die Berge. Hier, am Rande der Stadt Salzburg, befindet sich in einem idyllischen Schlösschen der Sitz der Firma Gössl. Noch. Im Gebäude herrscht Aufbruch. Die Stoffmuster für das kommende Jahr hängen schon dort – „der Trend geht einerseits weiterhin in Richtung Ton in Ton, andererseits folklorisch verspielt“, sagt Maximilian Gössl. Viele Stoffe, Schnitte und Versuchsstücke haben Designerinnen und Schneiderinnen schon verpackt. Die Luxustrachtenfirma zieht bald in ein weniger schmuckes Gebäude in einem Gewerbegebiet ein, um Kosten zu sparen. Auch das ist Teil des unfreiwilligen Neuanfangs des Traditionsunternehmens in dritter Generation.
Hier werden die Vorlagen genäht, die Dirndl werden dann meist in Ungarn gefertigt.
In der Näherei
Hier werden die Vorlagen genäht, die Dirndl werden dann meist in Ungarn gefertigt.
„Es ging heiß her“
Für Maximilian Gössl war es kein leichtes Jahr. Er wirkt weder verbittert noch melancholisch, während er – mit bayerischer Lederhose und einem Ausseergilet – durch das „Gwandhaus“ führt. Vor zehn Jahren stieg er in den Familienbetrieb ein, sein Vater zog sich ab 2020 schleichend zurück. „Er kennt das Geschäft und hat es jahrelang geführt. Aber so etwas ist natürlich eine Extremsituation als Familie. Man hat nicht immer die gleiche Meinung“, erzählt er über das vergangene Jahr. „Es ging heiß her, aber wir zogen am gleichen Strang.“
Rückblende: Im ersten Lockdown 2020 nahm das Unternehmen einen Überbrückungskredit mit einer Laufzeit von fünf Jahren auf. Er wurde also Ende 2024 fällig. „Ich habe schon damals gedacht, das ist zu optimistisch. Der Markt wird sich nach Corona nicht so schnell wieder einkriegen. In Deutschland laufen diese Kredite zehn Jahre.“ Würde er heute etwas anders machen? „Mit dem Wissen von heute würde ich den Betrieb vorübergehend reduzieren. Mit dem Wissen von damals würde ich es wieder so machen. Ich habe mir diese Frage oft gestellt.“ Insgesamt erhielt Gössl 5,9 Millionen Euro an Hilfszahlungen. Im selben Zeitraum kamen aber lockdownbedingte Verluste in Höhe von 9,9 Millionen Euro zusammen, so die Firma.
Gössl ist damit nicht allein. Bei vielen Unternehmen sorgt die Kombination aus Covid-Krediten, Ukrainekrieg und Inflation für Magenschmerzen. Die Kredite wurden und werden derzeit fällig. Bei heimischen Großunternehmen waren Mitte März 2025 noch 195 Millionen Euro an Überbrückungsgarantien aushaftend, heißt es vom Finanzministerium. Bei Kleinunternehmen stehen noch insgesamt rund 1,3 Milliarden Euro an Covid-Haftungen aus sowie rund 914 Millionen Euro über die Österreichische Hotel- und Tourismusbank. Dieses Geld muss erst zurückgezahlt werden.
In der Gössl-Näherei ist gerade nur ein Platz besetzt, eine Schneiderin arbeitet an einer Bluse. „Am neuen Standort wird die Musterschneiderei kleiner, wir dimensionieren uns neu.“ In Salzburg werden die Dirndl designt und die Vorlagen geschneidert, genäht wird größtenteils in Ungarn. „Bei den Nähereien und Zulieferbetrieben haben der Ukrainekrieg und Corona für Chaos gesorgt. Einige haben während Corona zugesperrt. Mit dem Ausbruch des Ukrainekrieges explodierte dann die Nachfrage, weil die Ukraine als Produktionsland ausgefallen ist.“
Gössl verkaufte es 2019, jetzt ziehen sie auch aus.
Gwandhaus
Gössl verkaufte es bereits 2019, jetzt ziehen sie auch aus.
„Im rechtlichen Rahmen gefangen“
Letzten Sommer spitzte sich die finanzielle Schieflage zu. „Wir haben nach alternativen Lösungen gesucht und auch mit Investoren gesprochen. Aber das hat letztlich nicht funktioniert.“ Das war die schwierigste Zeit, erzählt der 41-Jährige. Sie versuchten auch, die Kreditlaufzeit zu verlängern. „Wir waren in diesem rechtlichen Rahmen, der 2020 gesteckt wurde, gefangen. Da steht man irgendwann an. Das ist äußerst frustrierend und hat mich schon sehr getroffen.“
Im Dezember zieht die Familie die Reißleine. Sie stellt einen Antrag auf die Eröffnung eines Sanierungsverfahrens ohne Eigenverwaltung. In einer Pressekonferenz nennt Maximilian Gössl die Hausbank Bank Austria als mitverantwortlich, sie habe einen Kredit vorzeitig fällig gestellt, wie viele Medien damals berichteten. Das darf er offiziell nicht mehr sagen, wie die „Salzburger Nachrichten“ kurz danach schrieben. Die Bank Austria kommentiert diesen Konflikt auf profil-Anfrage nicht.
„Mein Vater unterstützte mich mit seiner Erfahrung, mein Bruder half uns, auch loszulassen.“
Maximilian Gössl
über die Familiendynamik.
Das Unternehmen ist in drei Gesellschaften geteilt – Handel, Produktion und Marke. Das heißt für Maximilian Gössl auch: „Ich hatte mit drei Insolvenzverwaltern zu tun.“ Die drei Gesellschaften wurden im Interesse der jeweiligen Gläubiger geführt. Die Insolvenzverwalter hätten gut zusammengearbeitet, allerdings: „Das hat natürlich vieles zerstört. Man sitzt zwar immer noch dabei, aber man kann das Lenkrad nicht mehr bewegen.“
Für ein Familienunternehmen sind solche Entscheidungen emotional besonders schwierig. Auf der einen Seite der Vater, der damals sein Lebenswerk in Trümmern sah; auf der anderen Seite Maximilian Gössls jüngerer Bruder Felix. Für den 26-Jährigen, der jetzt die Kommunikation in der Firma übernimmt, war es einfacher, sich von Gewohnheiten zu trennen. „Mein Vater unterstützte mich mit seiner Erfahrung, mein Bruder half uns, auch loszulassen“, sagt Maximilian Gössl.
Das schicke Gwandhaus, das die Familie Gössl bald verlassen wird, ist schon länger nicht mehr in ihrem Besitz. Sie verkaufte das Haus 2019 für 24 Millionen Euro an den Immobilienentwickler Planquadrat, vor einigen Monaten übernahm es Red-Bull-Erbe Mark Mateschitz. „Wir bekamen damals einen guten Preis dafür und konnten uns damit auch von der Last der darauf liegenden Kredite befreien. Wir sind dadurch nahezu schuldenfrei in die Corona-Zeit gegangen.“ Doch auch schon vor der Pandemie waren die Ergebnisse nicht nur rosig. Gössl schrieb damals rote Zahlen: 650.000 Euro minus waren es 2019, 1,3 Millionen Euro 2018. Die Familie hat eine eigene Privatstiftung.
Im Geschäft holt Maximilian Gössl verschiedene Lederhosen hervor: eine bestickt mit Eicheln, die nächsten mit Waldtieren oder Blumen. Ein Dirndl mit Schürze und Bluse kommt auf rund 1500 Euro. Dass in Zeiten globaler Verunsicherung das Regionale stärker hochgehalten und Tracht zum Identitätsanker wird, hilft auch den Gössls. „Die Schnitte passen sich an, deshalb stehen sie nicht verstaubt im Museum.“ Der Kernmarkt ist Österreich, Deutschland und Südtirol. In das repräsentative Geschäft in der Getreidegasse in Salzburg-Stadt kommen aber auch viele Touristinnen. „Dazu zählen viele norddeutsche Kunden, aber teilweise auch verschleierte Damen aus dem arabischen Raum, die eine Dirndlbluse für zu Hause kaufen.“
Im März war die Sanierung der Handelsgesellschaft abgeschlossen, im Mai wurde es dann allerdings noch einmal brenzlig. Der Sanierungsplan scheiterte in der ersten Sitzung. Zwei Wochen später ging er jedoch durch. Und die Umsätze? „Das ist ein heikles Thema. In der Sanierung meinten die Masseverwalter, eine neue Kollektion sei ein Risiko, da sie die Gläubiger schlechterstellen könnte. Aber wie soll ein Geschäft funktionieren, wenn nichts Neues da ist? Wir haben versucht, die Sanierung so schnell wie möglich abzuschließen, und versorgen unsere Geschäfte mit neuen Kollektionen.“
Jetzt wird im Geschäft noch geschlichtet und sortiert. Ein Lederdirndl, fast tauglich für wilde Berliner Partys, hängt auf den Kleiderbügeln, daneben klassische Modelle in Beerentönen. Ein großer Schritt ist für Maximilian Gössl geschafft, er hat die Firma nicht ganz freiwillig auf neue Beine gestellt. Reden noch alle Familienmitglieder miteinander? „Ja, wir haben das zwischenmenschlich hingekriegt und nach wie vor ein gutes Einvernehmen.“