Frauen präsentieren auf Social Media unterschiedliche Devices zur Verhütung.
Natürliche Verhütungsmethoden trenden, doch wie sicher sind sie?
Frauen nehmen heute vielfach keine Pille mehr, sondern führen sich stattdessen ein Thermometer ein und erfahren über eine Handy-App, ob sie einen fruchtbaren Tag haben oder nicht – zumindest wird dieser Eindruck erweckt, wenn man sich die Websites unterschiedlicher Firmen wie „Trackle“, „Oura“-Ring oder „Ovularing“ anschaut. Sie versprechen ihren Kundinnen, Verhütung zu revolutionieren, sollen denselben Pearl-Index (Schutzfaktor, Anm.) wie die Antibaby-Pille haben und die besten hormonfreien Verhütungsmittel am Markt sein. Aber wie viel ist da tatsächlich dran? Ist es überhaupt möglich, dass lilane tamponförmige Thermometer denselben Schutz bieten, wie ein Verhütungsmittel, das es seit über 65 Jahren auf dem Markt gibt?
Dass smarte Temperaturverhütung bei Frauen inzwischen beliebt ist, merkt auch Marlene Hager, Oberärztin der klinischen Abteilung für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin, sowie Leiterin der Hormonambulanz der Medizinischen Universität Wien, bei ihren eigenen Patientinnen: „Es gibt immer mehr Frauen, die solche Devices verwenden. Die meisten von ihnen sind zwischen 25 und 40 Jahren alt.“
Die Nachfrage
Wie kommt es aber dazu, dass es Frauen gibt, die lieber mit der digitalisierten Temperaturmethode als mit den „Klassikern“ Pille oder Spirale verhüten? Gesamtgesellschaftlich spricht man von einer so genannten „Pillenmüdigkeit“, die klassische Anti-Baby-Pille wird aufgrund ihrer Nebenwirkungen unbeliebter und wird immer kritischer hinterfragt: „Ich finde es gut, dass das Frauen jetzt machen und ich habe in meiner persönlichen klinischen Praxis nicht das Gefühl, dass es ein pauschales Ablehnen von der Pille ist“, so Hager.
Zwar ist die Pille nach wie vor das beliebteste Verhütungsmittel – 43 Prozent der Österreicherinnen verhüten mit ihr – aber ihre Beliebtheit lässt immer weiter nach. Vor 15 Jahren wurden laut dem Gesundheitsforschungsunternehmen IQVIA noch 2,3 Millionen Packungen in Österreich verkauft – 2024 waren es eine Million Packungen weniger.
Viele Frauen sind 65 Jahre nach der ersten Verhütungsmittelrevolution erschöpft. Sie haben keine Lust mehr auf hormonelle Verhütungsmittel und deren Nebenwirkungen. Diese Erschöpfung spielt schließlich den Firmen hinter „Trackle“, „Ovularing“ oder „Oura“-Ring in die Karten.
Es sind kleine Devices, die man entweder vaginal einführt oder als klassischen Ring am Finger trägt. Diese Geräte sind verbunden mit Handy-Apps, durch die man immer sehen kann, wie hoch die Körpertemperatur ist. Wenn die Körpertemperatur steigt, ist man fruchtbar, sinkt sie, ist man nicht fruchtbar. Die Temperaturmethode gibt es schon seit über 100 Jahren. Doch sie hat Schwächen: mit einem Pearl Index zwischen drei und 20 gilt sie als nicht besonders sicher – das heißt, dass zwischen drei und 20 Frauen ungewollt schwanger werden, wenn sie sich nur mit der Temperaturmethode verhüten. Das liegt vor allem an der hohen Fehlerquote bei dieser Methode, weil unterschiedliche Faktoren, wie der Konsum von Alkohol, Krankheiten, Stress oder bestimmte Medikamente die Basaltemperatur beeinflussen können.
Deutlich sicherer sind etablierte Methoden. So liegt der Pearl-Index der Pille bei zwischen 0,1 und 0,9, jener der Spirale zwischen 0,3 und 0,8.
Dr. Marlene Hager, Oberärztin der klinischen Abteilung für Gynäkologische Endokrinologie und Reproduktionsmedizin, Leiterin der Hormonambulanz, Medizinische Universität Wien.
„Frauen haben heute mehr Zugang zu Informationen und hinterfragen deshalb die Pille kritischer – nicht aus grundsätzlicher Ablehnung, sondern um mögliche Nachteile abzuwägen.”
Marlene Hager, Universitätsklinik für Frauenheilkunde und Medizinische Universität Wien
Smarte Verhütungsmittel versuchen, die Schwächen der Temperaturmethode auszumerzen: „Trackle“ basiert beispielsweise laut eigener Website auf der symptothermalen Methode, bei der Basaltemperatur und Zykluszeichen kombiniert werden, um fruchtbare Tage zu erkennen. Es soll mit einem Pearl Index von zwischen 0,4 und 1,8 (bei idealer Anwendung) die sicherste Methode der natürlichen Familienplanung sein. „Das ist schon mal viel genauer, als wenn ich manuell Temperatur messe”, so Gynäkologin Hager. Das liegt daran, dass es die Fehlerquote, die es bei der normalen Temperaturmethode gibt, nicht geben soll. Wie ideal die Geräte funktionieren, ist jedoch auch fraglich: Auf Social Media kommentieren einige Frauen, ihnen wurde in der App ein falscher Tag als angeblich „unfruchtbar” angezeigt.
Wie wirksam diese Verhütungsgeräte tatsächlich sind, ist bisher nicht genau erfasst worden. Das öffentliche österreichische Gesundheitsportal schreibt auf seiner Website, dass es bisher nicht ausreichend Studien, beispielsweise zur Gebrauchssicherheit, gibt. Es wird daher dringend geraten, sich bei einer Beratungsstelle oder bei einer Gynäkologin oder einem Gynäkologen über die jeweiligen Geräte zu erkundigen.
Die Preisfrage
Dazu kommt: Noch ist die digitalisierte Verhütung nicht günstig: Der „Ovularing“, ein durchsichtiger Ring mit integriertem Thermometer, der vaginal eingeführt wird, kostet ab 44 Euro im Monat; ein „Trackle“-Gerät kostet 269,90 Euro als Fixpreis, man kann sich aber auch ein Abonnement für die App, das 13,49 Euro monatlich kostet holen, ein „Oura“ Ring, der eigentlich ein allgemeiner Gesundheitstracker ist, der Schlaf, Herzfrequenz, Körpertemperatur und Aktivität misst, kostet 400 Euro aufwärts und benötigt ein monatliches Abo von sechs Euro monatlich.
Die Datenschutzfrage
Zusätzlich stellt sich die Frage, was die App-Anbieten mit den sensiblen Gesundheitsdaten ihrer Nutzerinnen anstellen. Kann man seinen Zyklus komplett sorgenfrei Apps anvertrauen? „Oura“ geriet kürzlich in die Kritik, weil das Unternehmen mit dem umstrittenen Datenanalyse-Unternehmen Palantir für Projekte des US-Verteidigungsministeriums zusammenarbeitet. Das Unternehmen betonte US-amerikanischen Medien gegenüber jedoch, dass unter dieser Kooperation keine Daten normaler Nutzer geteilt werden. Palantir dient dabei als Sicherheitsanbieter für geschützte Umgebungen, während die Daten der Oura-Kunden auf der regulären Plattform unverändert privat bleiben.
Die Expertinnenfrage
Auch ein Blick hinter die Kulissen von „Trackle“, wirft Fragen auf: Hinter der Marke befindet sich nämlich niemand, der eine medizinische Ausbildung hat. Die Firma wirbt selbst damit, dass eine Frau hinter dem Produkt steht. Das stimmt zwar, Katrin Reuter ist Gründerin und Geschäftsführerin, allerdings war sie bisher als Projektmanagerin und Contentmanagerin tätig. Außerdem bietet „Trackle“ kostenlose Online-Webinare mit zwei „Expertinnen“ namens Catharina Minz-Hofmann und Katharina Dinzen an. Inwiefern man Minz-Hofmann und Dinzen aber als Expertinnen für Frauengesundheit bezeichnen kann, ist fraglich. Minz-Hoffmann ist Marketingchefin des Start Ups, Dinzen ist unter dem Usernamen Ovulista auf Instagram als „Zyklusexpertin“ aktiv und bringt Frauen bei, wie sie ihren eigenen Zyklus tracken können. Auch sie hat allerdings keinen medizinischen Hintergrund, sondern arbeitet neben ihrer Tätigkeit als selbstständige Zyklustrainerin auch als IT-Projektmanagerin bei einem großen Logistikunternehmen. Auf profil-Anfrage versichert Geschäftsführerin Reuter, dass alle Kommunikationsmaterialien, die bei „Trackle“ verwendet werden, durch Medizinprodukteberaterinnen geprüft und freigegeben werden.
Bedeutet das nun, dass man dem Verhütungsdevice nicht vertrauen kann? „Ich glaube, da muss man sich keine Sorgen machen, weil das trotzdem durch Zulassungsstudien geprüft wird und die werden ja von Medizinern durchgeführt“, so Hager. „Trackle“ selbst versicherte gegenüber profil, dass das Gerät ein zugelassenes Medizinprodukt der Klasse IIb nach MDR (EU 2017/745) ist und vom TÜV Rheinland (Deutschland) überwacht wird. „Alle gemeldeten Schwangerschaften werden dahingehend untersucht, ob ein Versagen der symptothermalen Methode, ein Systemversagen seitens unserer Auswertungen vorliegt oder eine falsche Anzeige in der App Auslöser für eine Fehlinterpretation durch die Kundin gewesen sein kann“, so Reuter. Laut Hersteller soll es bisher keine ungewollte Schwangerschaft aufgrund von „Trackle“ gegeben haben.
Die Kundenbewertungen auf der Website unterscheiden sich um einiges von denen auf Amazon, wo das Produkt ebenfalls verkauft wird. Während es auf der Website lediglich eine „ein Stern”-Bewertung gibt und eine Durchschnittsbewertung von 4,69 von fünf Sternen hat, liegt die Durchschnittsbewertung auf Amazon bei 3,6 von 5 Sternen – 22 Prozent der Amazon-Kundinnen haben dem Zykluscomputer lediglich einen Stern gegeben und bemängelten beispielsweise, dass die Sensoren nach wenigen Anwendungen nicht mehr funktionieren oder dass die Koppelung des Computers mit der App nicht klappt.
Das andere deutsche Start Up, „Ovularing“ reagierte nach der Veröffentlichung des Artikels mit einer Stellungnahme, in der auf die Grenzen des eigenen Produkts hingewiesen wird: Die Nutzung des Rings allein stelle „keine Empfängnisverhütung dar, da nicht regelnd in Körperfunktionen eingegriffen wird“. Die Befruchtung der Eizellen könne also „nicht verhindert“ werden. Und weiter: „Die berechneten Ergebnisse liefern ausschließlich Informationen zu Empfängniswahrscheinlichkeit und sind kein Ersatz für individuelle Maßnahmen bzw. Mittel zur Schwangerschaftsverhütung (z.B. Kondom). Diese Informationen finden sich auf unserer Webseite und in der Gebrauchsanleitung.“ Der Pearl-Index von 0,4 beziehe sich nicht auf den „Ovularing“, sondern auf die symptothermale Methode insgesamt. Kleiner Seitenhieb auf den Mitbewerb: „Leider wird auf anderen Webseiten suggeriert, dass allein die Bestimmung der fruchtbaren Tage eine Verhütungsmethode wäre, dies ist aber aus medizinischer Sicht unsauber.“
Die Pillenfrage
Lösen diese hippen Verhütungstools also jetzt nun wirklich die Pille ab? „Frauen haben heute mehr Zugang zu Informationen und hinterfragen deshalb die Pille kritischer – nicht aus grundsätzlicher Ablehnung, sondern um mögliche Nachteile abzuwägen. Es ist legitim und positiv, dass Frauen ihre Gesundheit selbstbestimmter managen und Entscheidungen reflektierter treffen“, meint Hager. Doch die Beliebtheit startet von einem niedrigen Niveau: Laut Verhütungsbericht gaben 2024 nur 1,6 Prozent der Frauen an, die Temperaturmethode zu benutzen, 0,8 Prozent benutzen einen Computer zur Hormonmessung.
Das große Geld bringen – zumindest die deutschen Firmen „Trackle“ und „Ovularing“ – bisher auch nicht. Seit der Firmengründung wachsen die Verluste des Start-ups „Trackle“. Laut North Data haben sie sich zwischen 2021 und 2022 sogar verdoppelt. Auch „VivoSensMedical“, die GmbH, die hinter dem „Ovularing“ steckt, macht – zwar immer weniger – seit seiner Gründung Verluste.
Vielleicht wurde die hormonfreie Verhütungsrevolution doch etwas zu hoch gepokert.
Das Statement zum Produkt „Ovularing“ wurde am 23. September ergänzt.