Studie zurückgezogen: Ärztekammer setzt weiterhin auf Homöopathie-Autor
Sie sollte ein Leuchtfeuer der Homöopathie-Szene werden: die Wiener Studie zur Wirksamkeit von Homöopathie in der Behandlung von Lungenkrebs. Ihr Hauptautor, Michael Frass, gilt als prominenter Vertreter der Homöopathie. Der Universitätsprofessor und Internist lehrte an der Medizinischen Universität Wien, hält Vorträge an der Akademie der Ärztekammer und veröffentlichte zahlreiche Publikationen, darunter das Handbuch für „Homöopathie in der Notfall- und Intensivmedizin“.
2020 veröffentlichte Frass im Fachjournal „The Oncologist“ eine Studie, die von Homöopathie-Befürwortern als Wirksamkeitsnachweis über den Placeboeffekt hinaus gefeiert wurde – und das sogar im Bereich der Krebstherapie.
Fünf Jahre später folgt die Ernüchterung.
„The Oncologist“ gab die offizielle Retraktion der 2020 publizierten Studie bekannt, also das formelle Zurückziehen einer wissenschaftlichen Arbeit aus der Evidenz. Eine Retraktion gilt im wissenschaftlichen Publikationssystem als schärfste Maßnahme einer Fachzeitschrift. Auch distanziert sich die MedUni Wien mittlerweile von Frass und setzte seine Lehrveranstaltung schon vor Jahren ab. Stattdessen wird ein Kurs zur kritischen Auseinandersetzung mit Homöopathie und anderen pseudomedizinischen Heilmethoden angeboten.
Eine Chronologie
2021 legten Medizinerinnen und Mediziner vom Informationsnetzwerk Homöopathie (INH) und der Initiative für wissenschaftliche Medizin (IWM) Analysen vor, die Zweifel an der Richtigkeit der Wiener Studie begründeten. Die Vorwürfe wogen schwer: Datenmanipulation, Fälschungen und selektives Löschen von Aufzeichnungen. Auf Grundlage dieser Analysen leitete die Medizinische Universität Wien eine interne Prüfung ein und zog die Österreichische Agentur für wissenschaftliche Integrität (ÖAWI) hinzu. profil berichtete. Die Ermittlungen bestätigten sämtliche Kritikpunkte. Nach Angaben des INH lagen der ÖAWI sogar erweiterte Studiendaten vor, wodurch die Vorwürfe noch erweitert werden konnten.
„The Oncologist“ hat sich in diesem Verfahren nicht als konstruktiver Partner erwiesen
2022 veröffentlichte „The Oncologist“ eine Besorgnisäußerung zu der Studie. Es bestehe der Verdacht, dass die Ergebnisse unzuverlässig seien. 2024 folgte ein Korrekturvermerk. Im November 2025 erschien nun die offizielle Retraktion. Das Informationsnetzwerk Homöopathie kritisiert allerdings: „‚The Oncologist‘ hat sich in diesem Verfahren nicht als konstruktiver Partner erwiesen, auch nicht, als es immerhin zu einer ‚Expression of Concern‘ kam, die aber lange Zeit folgenlos blieb.“
Pseudomedizin mit Kammer-Gütesiegel
Mit der Retraktion der Studie verlieren Befürworterinnen und Befürworter der Homöopathie eines ihrer argumentativen Aushängeschilder. Dennoch: Die Nachfrage nach homöopathischen Heilmethoden bleibt dennoch hoch – auch unter der Ärzteschaft. In der hauseigenen Akademie der Ärztekammer können Ärztinnen und Ärzte weiterhin im Rahmen ihrer gesetzlichen Fortbildungspflicht sich in der Materie der Homöopathie weiterbilden. Ob die Ärztekammer ihr Fortbildungsprogramm überarbeiten wird, wollte die Standesvertretung auf profil-Anfrage nicht beantworten. Für das ÖAK-Diplom Homöopathie wird Michael Frass nach wie vor als Verantwortlicher geführt.
Die Ärztekammer betrachtet Homöopathie, Kneippmedizin und Anthroposophische Medizin nicht als evidenzbasierte Medizin, sondern als ergänzende beziehungsweise „komplementäre“ Heilmethoden. Obwohl ihre Wirksamkeit wissenschaftlich nicht belegt ist, will die Standesvertretung entsprechende Fortbildungen anbieten, um Patientinnen und Patienten vor unseriösen Anbietern zu schützen.
Ob Homöopathie auch im Rahmen der Notfallmedizin – wie in einer eigenen Publikation von Frass referiert – gelehrt werden sollte, wollte die Ärztekammer nicht kommentieren.