Grenzenloses Abschieben: Welche Länder aggressiv deportieren
Die überfüllten und kaum seetauglichen Boote, mit denen Flüchtlinge versuchen, übers Mittelmeer nach Europa zu gelangen, sind weniger geworden. Auch weil Europa auf umstrittene Migrationsdeals mit afrikanischen Mittelmeerstaaten setzt und Rückführungen forciert. Dennoch reißen die Flüchtlingsströme aus der Subsahara nicht ab, viele Flüchtlinge stranden in Nordafrika-Staaten, die nunmehr zunehmend selbst abschieben.
Migrationsexperten beobachten ein globales Phänomen: Die Versuche, Grenzen abzuriegeln und Flüchtlinge wieder loszuwerden, lösen weitere Abschiebewellen aus. Und so erlebt die Welt derzeit einen wahren Boom an Massenabschiebungen – aus unterschiedlichen Gründen und auf manchmal höchst unmenschliche Weise.
Für Staaten sind Abschiebungen auch ein Ventil, um soziale Probleme abzumildern, erzählt Migrationsforscherin Susanne Schultz von der Bertelsmann Stiftung: „Ein Beispiel ist Deutschland, wo Flüchtlinge das sowieso schon überlastete Sozialsystem noch zusätzlich unter Druck gesetzt haben. International folgt man der gleichen Logik.“ Mal werden Flüchtlinge kollektiv der Spionage verdächtigt, mal des Extremismus, oft der Kriminalität.
Libanon: Syrer unerwünscht
Angehörige der libanesischen Armee und des Geheimdienstes karren im April rund 80 syrische Familien an die Grenze. Man treibt sie im Morgengrauen in eine Handvoll syrischer Grenzstädte. Es sind Libanons erste Abschiebungen seit dem Sturz von Syriens Diktator Baschar Al-Assad im Dezember 2024. Razzien gegen Syrer häufen sich, während Flüchtlingslager zwangsweise geräumt werden, berichten arabische Medien.
Als der Libanon 2023 in das Syrien von Diktator Assad abschob, kam es zu Straßenprotesten.
Im wirtschaftlich angeschlagenen und politisch tief gespaltenen Libanon fürchtet man, die rund 1,5 Millionen syrischen Flüchtlinge – eine der höchsten Flüchtlingsbevölkerungen der Welt – könnten den Mittelmeerstaat noch weiter destabilisieren. „Die beste Lösung ist, dass die Syrer in ihre Heimat zurückkehren“, sagte Libanons damaliger Premier Nadschib Miqati bereits kurz nach dem Sturz Assads.
Die beste Lösung ist, dass die Syrer in ihre Heimat zurückkehren.
libanesischer Premier
Dabei setzt man auch auf freiwillige Anreize: 100 Dollar bekommt jeder Syrer für die Ausreise, bei der Ankunft im Nachbarland gibt es noch einmal 400 Dollar für jede Familie. Laut Zahlen des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR sind nicht ganz 200.000 Flüchtlinge aus dem Libanon ins nach wie vor unsichere Syrien zurückgekehrt.
Nordafrika: In der Wüste ausgesetzt
„Horden illegaler Migranten sind für Gewalt und Kriminalität verantwortlich“: Mit dieser Aussage löste Tunesiens autoritär regierender Präsident Kais Said 2023 nahezu pogromähnliche Zustände im Mittelmeerstaat aus. Migranten mit schwarzer Hautfarbe wurden auf offener Straße gejagt, niedergeschlagen und ausgeraubt oder von Vermietern aus ihren Wohnungen geworfen.
Horden illegaler Migranten sind für Gewalt und Kriminalität verantwortlich.
tunesischer Präsident
Tausende Migranten aus Ländern wie Nigeria oder dem Sudan versuchen über nordafrikanische Staaten nach Europa zu gelangen. Doch es legen immer weniger Boote Richtung Europa ab. Auch weil die EU mit Staaten wie Ägypten, Libyen, Marokko, Mauretanien und Tunesien Migrationsdeals geschlossen hat. Die rund 1,5 Millionen in Nordafrika ausharrenden Flüchtlinge (Stand 2023) geraten nun ins Visier der Behörden. Deren Ziel: Abschiebungen.
Wer, wie hier 170 nigeranische Migranten, aus Libyen abgeschoben wird, hat noch vergleichsweise Glück gehabt.
Libyen ist berüchtigt für Schmuggler-banden, die Flüchtlinge erpressen oder zu Zwangsarbeit zwingen.
Ägypten deportierte bis Anfang 2025 insgesamt mehr als 21.000 Personen allein in das Bürgerkriegsland Sudan. Algerien schob 2023 in nur drei Monaten 10.000 Personen nach Niger ab, während Tunesien dieses Jahr mehrere provisorische Flüchtlingslager, die zuvor noch 10.000 Menschen beherbergt hatten, abreißen ließ. Grenzbeamte in Ländern wie Tunesien und Marokko treiben Abzuschiebende dabei ohne Wasser in die Wüste, wo sie sich selbst Richtung Süden durchschlagen müssen. Wie das Journalistenkollektiv „Lighthouse Reports“ aufdeckte, waren dabei auch von der EU trainierte und ausgestattete Grenzer beteiligt.
Thailand: Zurück nach China
Rund 40 Uiguren müssen im Februar in einen Gefangentransporter mit verklebten Fenstern einsteigen. Auf sie wartet ein Flug Richtung China, wo die Mitglieder der muslimischen Minderheit als „islamistische Separatisten“ gebrandmarkt und systematisch verfolgt werden.
Wir wollten China nicht verärgern.
thailändischer Ex-Diplomat
Die 40 Uiguren sind das letzte Überbleibsel von einer rund 300 Personen starken Flüchtlingsgruppe, um die sich nach ihrer Festnahme 2014 ein jahrelanges diplomatisches Tauziehen zwischen China und Staaten wie Kanada und die Türkei drehte. Ein Einknicken vor dem Druck der zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt, so Pisan Manawapat, der den Fall als ehemaliger US- und Kanada-Botschafter genau kennt: „Wir wollten China nicht verärgern.“