Franz-Stefan Gady (39) ist Analyst auf dem Gebiet zukünftiger Kriegsführung und internationaler Sicherheit am Institute for International Strategic Studies in London.

"Die Strategie ist, Taiwan zu isolieren"

Der Militärexperte Franz-Stefan Gady erklärt im Interview mit profil, wie eine Invasion Chinas in Taiwan aussehen könnte.

Drucken

Schriftgröße

Der Besuch der Sprecherin des US-Repräsentantenhauses Nancy Pelosi in Taiwan hat China erzürnt, die Volksrepublik hielt das größte Militärmanöver in der Region ab. Wird es beim Säbelrasseln bleiben oder läuft das auf einen Angriff Chinas auf Taiwan hinaus?
Gady
Im Moment ist nicht von einem Angriff auszugehen. Es ist fraglich, ob die chinesische Volksbefreiungsarmee überhaupt die Kapazitäten hat, die Insel auf konventioneller Ebene anzugreifen, also im Rahmen einer Invasion. Amphibische Operationen sind die komplexeste Art von Militäroperationen. Es gibt wenig Evidenz dafür, dass die chinesische Kriegsmarine Truppenverbände in der notwendigen Stärke über das Wasser bewegen kann. Die Chinesische Marine hat etwa 90 einsetzbare Landungsschiffe. Es dauert acht Stunden, um die Taiwanstraße zu überqueren, also die Meerenge zwischen Taiwan und China. In der ersten Welle könnten wohl nur 24.000 bis 27.000 Mann angelandet werden, die mindestens 24 Stunden ohne Unterstützung durchhalten müssten. Dem gegenüber würden 150.000 taiwanesische Soldaten stehen. Unklar ist auch, ob die chinesische Luftwaffe die Kapazitäten hat, die Verbände vor gegnerischen Angriffen zu schützen. Taiwan verfügt über ein gut integriertes Netzwerk an Radar- und Flugabwehrsystemen. Was Lufttransportkapazitäten betrifft, könnten im Ernstfall wohl nur zwei Luftlandebrigaden, also etwa 6000 Mann, nach Taiwan gebracht werden.
Wie würde eine Landung zu Wasser aussehen?
Gady
Es ist ungewiss, ob die Kriegsmarine die Fähigkeit hat, die Taiwanstraße zu schützen, damit eine Invasionsflotte dort landen kann. Es kursiert die Idee, Truppen mit zivilen Fähren nach Taiwan zu bringen, aber das ist nahezu unmöglich. Es gibt wetterbedingt jährlich nur ein kurzes Zeitfenster für eine solche Landung und auch nur wenige Strände, wo das funktionieren könnte. Vor allem würde man das Überraschungsmoment brauchen – und Taiwan hat ein ausgezeichnetes Frühwarnsystem aus Radarsystemen, Aufklärungsfliegern, aber auch Spionen in China. Was viel besprochen wird ist das Greyzone-Szenario: Durch eine Blockade in der Luft, zu Wasser und im Cyberraum könnte Taiwan vom Rest der Welt abgeschnitten werden. Auch hier ist unklar, ob die chinesische Marine diese Blockade langfristig aufrechterhalten könnte.
Wie könnte ein Einmarsch Chinas aussehen, welche Szenarien sind denkbar?
Gady
Es gibt verschiedene Szenarien, über die ich vergangenes Jahr auch vor dem US-Kongress ausgesagt habe. Es gibt elf potenzielle Invasionsstrände. Eine Invasion wäre in mehrere Phasen unterteilt: Die erste wäre ein massiver Angriff mit ballistischen Raketen – China hat weltweit das größte Arsenal von Kurzstreckenraketen – sowie Marschflugkörpern, unterstützt durch Cyberangriffe und elektronische Kriegsführung. Die zweite Welle käme nach der Ausschaltung der taiwanesischen Flugabwehrsysteme. Mit Bombern und Kampfflugzeugen würden zusätzliche Ziele bombardiert, Kriegsschiffe würden Marschflugkörper losschicken, um die Kommandozentralen und logistischen Zentren zu zerstören und die Verteidigungsanlagen an den Stränden aufzuweichen. Spezialeinheiten würden wohl auch aus der Luft angelandet werden. Dann erst käme die eigentliche Invasion.

Es ist völlig ausgeschlossen, dass eine Invasion Chinas in naher Zukunft stattfindet. Die Volksbefreiungsarmee hat dafür weder das nötige Training noch die Erfahrung im Kampf der verbundenen Waffen."

Franz-Stefan Gady

Wie wahrscheinlich ist so eine Invasion?
Gady
Es ist völlig ausgeschlossen, dass so eine Operation in naher Zukunft stattfindet. Die Volksbefreiungsarmee hat dafür weder das nötige Training noch die Erfahrung im Kampf der verbundenen Waffen. Im Vergleich zu den russischen sind die chinesischen Militärmanöver komplett durchchoreografiert, da gibt es wenig Flexibilität, vor allem auf der militärischen Führungsebene. Das letzte Mal haben die Chinesen 1979 in einem Krieg gekämpft (Anm.:Einmarsch der Volksbefreiungsarmee in Vietnam).Was wir jetzt sehen, ist Säbelrasseln und Einschüchterung. Die Strategie für den Ernstfall ist, Taiwan zu isolieren und eine Blockade zu verhängen: Jedes Schiff, das sich Taiwan nähert, wird gestoppt und im Ernstfall versenkt, der Luftraum gesperrt. Die Frage ist, ob sich die USA auch in diesem Fall hinter Taiwan stellen und versuchen, die Blockade zu brechen. Taiwan selbst hat zwar ein Programm für dieselelektrische U-Boote, die sind aber erst in den 2030er-Jahren einsatzbereit. Es gibt also ein großes Fenster der Verwundbarkeit. Taiwan hat in den vergangenen Jahren viel versäumt. Peking würde auch einen massiven Informationskrieg vom Zaun brechen und die kritische Infrastruktur Taiwans temporär lahmlegen.

Der Österreicher Franz-Stefan Gady (39) ist Analyst auf dem Gebiet zukünftiger Kriegsführung und internationaler Sicherheit am Institute for International Strategic Studies in London.

Siobhán Geets

Siobhán Geets

ist seit 2020 im Außenpolitik-Ressort und gehört zum "Streiten Wir!"-Kernteam.