Oberösterreich halte als einziges Land die Maastricht-Kriterien der EU von einem Defizit unter 3 Prozent des BIP ein. In Tirol lobte man die eigene ausgeglichene Budgetierung und versprach, keine neuen Ausgaben für das kommende Jahr zu tätigen. Politische und mediale Finger zeigten auf Wien, wo sich das Jahresdefizit gegenüber 2024 nahezu verdoppelt hat (siehe Grafik). In der Hauptstadt sieht man die Ursache stattdessen beim Bund – die eigenen Schulden seien nämlich wesentlich geringer ausgefallen als noch zu Jahresbeginn prognostiziert. Der Bund selbst hoffte aber vor einigen Wochen noch, mit der eigenen besseren Budgetentwicklung die Defizite der Länder ausgleichen zu können. Kurz: Irgendwer war sicher schuld am größeren Budgetloch, aber es waren jedenfalls die anderen. Wie bei einem platten Fahrradreifen muss die Regierung nun die Finanzen der Gebietskörperschaften nach den ärgsten Löchern absuchen.
Im Laufe der kommenden Wochen sollten genaue Budgetberichte aus den Ländern ins Finanzministerium flattern – erst dann könne man den genauen Schuldenstand beziffern, heißt es aus dem Finanzressort. Sollten sich die kolportierten 4,9 Prozent Neuverschuldung gemessen an der Wirtschaftsleistung bestätigen, wäre der Staat um ganze zwei Milliarden Euro höher verschuldet.
Was wird Brüssel sagen?
Die Nachricht von den höheren Schulden muss vor allem für das zuständige Ministerium selbst eine böse Überraschung gewesen sein. Vor nicht einmal einem Monat, Mitte Oktober, überlieferte Minister Marterbauer die österreichische Budgetnotifikation an die EU-Kommission im Rahmen des im Sommer eröffneten Defizitverfahrens gegen Österreich. Darin versprach man einen allmählich sinkenden Schuldenstand nach 2024: Zunächst eine leichte Verbesserung des Defizits im Vergleich zum Vorjahr um 0,2 Prozentpunkte. Für das kommende Jahr 2026 sollte die Neuverschuldung bei 4,2 Prozent des BIP langsam einbremsen – kein spektakulärer Fortschritt und weiterhin über dem Maastricht-Rahmen, aber immerhin eine Verbesserung.
Dass sich die Budgetentwicklung nun anders entwickelt und Minister Marterbauer zumindest nicht als Erster davon erfährt, ist keine gute Optik. Vor allem, da man sich schon im Jahr 2024 in einer ähnlichen Situation befand. Obwohl der Fiskalrat bereits im Frühjahr 2024 vor höheren Schulden gewarnt hatte, hielt Ex-Finanzminister Magnus Brunner (ÖVP) über die herbstliche Nationalratswahl hinaus an optimistischen 3,1 Prozent Defizit fest. Das tatsächliche Ergebnis von 4,7 Prozent wurde erst im März dieses Jahres von der Statistik Austria präsentiert und sorgte für breite Empörung. Ein erheblicher Teil dieser klaffenden Prognose-Differenz von 2024 dürfte sich durch den unerwartet starken Konjunkturabschwung erklären lassen. Heuer entwickelt sich das Wirtschaftswachstum jedoch moderat positiv – daran kann die aktuelle Fehlprognose also nicht liegen.
Das höhere Minus könnte jedenfalls dazu führen, dass Österreich im EU-Defizitverfahren vom vorgegebenen Ausgabenpfad abweicht. In diesem Fall würde der Konsolidierungsdruck steigen, und der Bund müsste früher oder stärker nachschärfen, um die EU-Vorgaben einzuhalten.
Drahtseilakt Stabilitätspakt
Das im Juni beschlossene Doppelbudget des Bundes 2025/26 setzte voraus, dass die Länder ihre finanzielle Lage stabil halten. Heuer beschlossene Sparmaßnahmen der Bundesländer würden jedoch erst kommendes Jahr greifen, so Marterbauer im „Presse“-Interview zur aktuellen Budget-Causa. Dass Bundesländer Haushaltszahlen erst nachträglich korrigieren und anderen Haushaltszyklen folgen, sei nicht absonderlich, sondern im Gegenteil ein wichtiger Mechanismus, meint auch Föderalismus-Expertin Karoline Mitterer vom KDZ Zentrum für Verwaltungsforschung. Den Prognosefehler ortet sie in einem strukturbedingten Kommunikationsproblem. Während nachträgliche Meldungen in ruhigeren Jahren nicht derart ins Gewicht fielen, werde die verzögerte Datenerfassung in der jetzigen Situation zum Risiko, so die Expertin.
Im neuen Stabilitätspakt sollte dem eigentlich entgegengewirkt werden. Dieser soll gemäß den neuen EU-Fiskalregeln festlegen, wie viele Schulden Gemeinden, Länder und Bund jeweils machen dürfen. Zähe Verhandlungen zwischen den Gebietskörperschaften laufen.
Ein wichtiger Verhandlungstermin wurde ausgerechnet wenige Tage vor den neuen Defizitspekulationen abgesagt. Die Länder wollen einen größeren Schuldenspielraum aushandeln – womöglich ein Grund für einen demonstrativen Defizit-Zahlen-Leak.
Stadt, Land, Geldfluss
Für Karoline Mitterer liegt das Problem weniger in der Fehlkalkulation als vielmehr an grundlegenden strukturellen Mängeln, die seit Jahren ungelöst sind. „Wir haben in den verschiedensten Bereichen Reformbedarf, den wir schon seit vielen Jahren mitschleppen. Das rächt sich jetzt, weil es budgetär wirklich eng wird und sich nicht einfach nur auswächst“, erklärt die Verwaltungsexpertin. Große Zuständigkeitsbereiche der Länder – etwa in Pflege, Gesundheit oder Elementarpädagogik – seien von stark steigenden Kosten, vor allem im Personalbereich, betroffen. Gleichzeitig steigen Einnahmen aus Steuern weniger. „Es tut sich eine Schere auf“, so Mitterer. Unter diesen Bedingungen sei es wenig sinnvoll, den Ländern im Stabilitätspakt Zielwerte aufzubürden, die sie „aufgrund ihrer Rahmenbedingungen von Haus aus nicht erreichen können“. Strukturveränderungen seien daher unvermeidlich: „Einsparungen finden nur dann statt, wenn man auch tatsächlich an den Strukturen etwas verändert“, erläutert Mitterer – beispielsweise durch eine Reform der Aufgabenverteilung, eine Modernisierung der Finanzierung und einen verlässlichen sowie zeitnahen Datenfluss zwischen allen Ebenen.
Im Gegensatz zur Bundesregierung schien die Expertin beim KDZ von den neu kolportierten Zahlen nicht groß überrascht zu sein: „Die Prognose von 4,9 Prozent am BIP muss man auch in Relation zum Ergebnis des Jahres 2024 sehen, wo das Defizit immerhin auch bei 4,7 Prozent lag“, erklärt sie. Man solle das nicht auf die leichte Schulter nehmen, aber auch nicht überdramatisieren.
Die Europäische Union interessiert jedenfalls nicht das Woher, sondern nur, um wie viel unsere Schulden steigen. Es wäre ein guter Neuanfang, wenn dieses „Wieviel“ auch im zuständigen Ministerium kein Rätselraten mehr auslöst.