Wladimir Putin, Dmitry Senin und Egisto Ott
Wladimir Putin, Dmitry Senin und Egisto Ott.
Fall Ott: Der Kronzeuge, den Österreich braucht – und im Stich lässt
Asyl ist in Österreich ein verlässliches politisches Reizthema – kaum etwas wird so erbittert verhandelt: Wer hat es verdient, wer nicht? Wie viel soll ein Flüchtling zurückgeben, damit er bleiben darf? Ein akuter und wohl klarer Fall, der Fall Dmitry Senin, zeigt unsere größte Schwäche in dieser Diskussion: Feigheit.
Politische Feigheit davor, Verantwortung zu übernehmen, wenn sie nicht abstrakt bleibt, sondern konkret wird.
Jetzt fragen Sie sich vielleicht, von wem ich spreche. Dmitry Senin war einst einer der erfolgreichsten Offiziere des russischen Inlandsgeheimdienstes FSB – der jüngste überhaupt in seiner Position, verantwortlich für Zehntausende, zwei Mal von Putin ausgezeichnet. Doch in Russland kann ein schneller Aufstieg blitzartig im Abgrund enden.
Intrige, Neid, interne Machtkämpfe: Man konstruierte Korruptionsvorwürfe gegen ihn – ein Treppenwitz, war Senin doch für Antikorruptionsbekämpfung in Russland zuständig. Er untersuchte einen der aufsehenerregendsten Korruptionsfälle in Russland und stellte die Beteiligung hochrangiger Beamter und Generäle fest – das war vielleicht doch nicht gewünscht. Plötzlich wendete sich das Blatt gegen ihn, und er war selbst Vorwürfen ausgesetzt. Vieles davon Lügen, wie man nachrecherchieren kann. Senin wusste: Wer bleibt, verschwindet. Er floh 2017. profil widmete seiner Geschichte zuletzt ein Cover.
In Montenegro erhielt er mit seiner Familie Asyl. Auf dem Papier. In der Realität ist das Land von russischen Netzwerken durchzogen. Während Senin in Russland in einem Schauprozess in Abwesenheit verurteilt wurde, erklärten ihn montenegrinische wie russische Medien kurzerhand für tot. Dann fand er in seinem Auto einen Tracker. Spätestens da war klar: Auch hier ist er Freiwild. Also ist er heute wieder auf der Flucht.
Putins Freund Montenegro
Dass er in Montenegro nicht sicher ist, wussten auch österreichische Behörden. Sie hatten ihn selbst gewarnt. Denn Senins Name taucht in einem der größten Spionagefälle der Zweiten Republik auf. Im Jänner beginnt der erste Spionageprozess überhaupt in Wien: Egisto Ott.
Ein früherer Verfassungsschützer, gegen den wegen mutmaßlicher Russlandspionage ermittelt wird.
In Otts Notizen tauchte Senins Name im Jahr seiner Flucht (2017) erstmals auf. Heute weiß man: Ott versuchte, ihn aufzuspüren – mit „kreativen“ Methoden und Kontakten im Ausland. Fingerabdrücke. Private Fotos. Flugdaten. Hotelgästedaten.
Für wen? Senin ist überzeugt: für den FSB. Ott bestreitet alles.
Senin ist der zentrale Zeuge in diesem Prozess. Niemand kennt Putins Geheimdienst so gut wie er. Niemand kann so präzise einschätzen, ob das, was Österreich ermittelt, tatsächlich in das Muster des FSB passt. Denn natürlich wird es kein Fax von Wien nach Moskau geben, das alles bestätigt.
Die Republik weiß, dass sie ihn braucht. Und er weiß, dass eine Aussage ihn und seine Familie akut gefährdet. Also fordert er Schutz. Sein Anwalt Vadim Drozdov hat das in der jüngeren Vergangenheit mehrfach schriftlich bei österreichischen Behörden dargelegt, ganze drei Mal.
Österreich? Bis heute keine verbindliche Antwort.
Fahrlässiges Wegschauen
Es ergibt keinen Sinn. Senin ist der Inbegriff dessen, wofür Asyl geschaffen wurde: ein politisch Verfolgter, ein Mann, dessen Leben konkret bedroht ist. Österreich hat diese Bedrohung selbst dokumentiert – aber helfen will man nicht. Warum? Weil es mühsam ist? Weil man sich vor Putin fürchtet? Weil man sich einmal mehr wegducken will? Oder ist die Wahrheit noch unangenehmer: dass eine vollständige Aufklärung der Causa Ott politisch weh tun könnte? Zu viele Parteien, zu viele Politikern, zu viele nützliche Idioten involviert?
Russland führt Krieg gegen den Westen – und Putin macht keinen Bogen um Österreich, nur weil russische Vermögen in Wiener Altbauten liegen. Wer Resilienz will, muss verstehen, wie er arbeitet. Unterwanderung ist sein Werkzeug. Und kaum jemand kann diese Strukturen so präzise offenlegen wie Senin.
Dieser Mann sollte nicht Europa abklappern müssen, um irgendwo einen sicheren Ort für seine Familie zu finden. Österreich sollte ihm den roten Teppich ausrollen – nicht aus Höflichkeit, sondern aus purem Eigeninteresse. Denn er kann helfen, jene Netzwerke offenzulegen, die unseren Staat längst infiltriert haben. Und er kann helfen, die Verteidigungsfähigkeit Österreichs und Europas zu stärken. Die Frage ist nicht, ob wir Senin schützen – sondern ob wir begreifen, dass wir uns damit selbst schützen.
Wie dringend wir das brauchen – und welche Zellen hier noch immer aktiv sind – lesen Sie im nächsten profil. (Wir haben gerade tolle Angebote, bitte unterstützen Sie uns)
Und Senins ganze Geschichte hören Sie in unserem aktuellen Podcast.