Leichtfried zu Spionage: „Wir brauchen neue rechtliche Grundlagen“
„Was hat es damit auf sich, dass du bespitzelt wurdest?“ Mit dieser Frage eröffnete profil-Chefreporter und Moderator des Abends, Stefan Melichar, die Diskussion. „Ich habe mit der BVT-Affäre im Jahr 2017 angefangen, Storys darüber zu schreiben. Plötzlich kam es, dass ich zur Story geworden bin. Die Leute, die ich vorher beobachtet habe, haben angefangen, mich zu beobachten“, erzählt profil-Herausgeberin und -Chefredakteurin Anna Thalhammer. Es geht um Spionage im großen Stil, um Russlands verdeckte Operationen und um ein stilles Netzwerk von Agenten und Kollaborateuren. Kein James-Bond-Thriller aus einem Hollywood-Drehbuch, sondern eine Schattenwelt inmitten der Bundeshauptstadt Wien.
Am Dienstag lud profil zur zweiten Veranstaltung der Reihe „Unbequeme Wahrheiten“ ein. Mit dabei waren neben Chefredakteurin Anna Thalhammer und Chefreporter Stefan Melichar, Staatssekretär Jörg Leichtfried (SPÖ), Historiker und Geheimdienstexperte Thomas Riegler und Rechtsanwalt Otto Dietrich, der seit Jahren die Ermittlungsverfahren in Folge der sogenannten BVT-Affäre genau im Blick hat.
Platz nahmen sie im Theater Akzent, ein Gebäude im postmodernen Stil, gelegen in der Argentinierstraße im vierten Wiener Gemeindebezirk. In fußläufiger Nähe: der Schwarzenbergplatz mit dem sowjetischen Denkmal der Roten Armee, die Europazentrale des russischen Ölkonzerns Lukoil, das russische Kulturinstitut und die russische Handelsvertretung. „Ein richtiger Cluster, der dort herausragt“, meint Thomas Riegler. Wien sei prädestiniert als Spionage-Hotspot. Viele internationale Organisationen finden sich auf neutralem Boden, „es gibt keinen Bündnisfall. Die geografische Lage ist im Zentrum Europas.“
Der Strippenzieher
Ein Mann, der im Zentrum vieler dieser Verflechtungen steht, ist Jan Marsalek. Jahrgang 1980, aufgewachsen in Wien, einst Vorstand des DAX-notierten Zahlungsdienstleisters Wirecard. Was 2020 als eine der größten Pleiten der deutschen Wirtschaftsgeschichte begann, entwickelte sich – auch dank länderübergreifender Recherchen und Medienkooperationen – zu einem weitreichenden politischen und geheimdienstlichen Skandal. In den Recherchen zum untergetauchten Ex-Manager Marsalek tauchten auch Querverbindungen zum damaligen österreichischen Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) auf.
Marsaleks derzeitiger Aufenthaltsort: Moskau, Russland. Unter dem Schutz des Kreml zieht der ehemalige Topmanager weiterhin im Hintergrund die Fäden. Er knüpft enge Beziehungen zu afrikanischen Staaten und China, wie Recherchen von profil gemeinsam mit der „Süddeutschen Zeitung“, dem WDR und dem NDR zuletzt zeigten. Im Auftrag der Volksrepublik versuchte er, Informationen über westliche Militärtechnologien zu erbeuten. Auch eine Art Agentennetzwerk soll Marsalek weiterhin aus der Russischen Föderation heraus steuern.
Hinweise aus London
Nach dem Großangriff auf die Ukraine im Jahr 2022 haben europäische Staaten viele russische Agenten ausgehoben und außer Landes verwiesen. Der Kreml reagiert mit Outsourcing. „Deshalb greifen sie auf solche Wegwerf-Agenten zurück. Also Leute, wo sie jede Beziehung glaubwürdig in Abrede stellen können“, analysiert Riegler.
Brisant dabei: Eine aufgedeckte Spionagezelle in London mit dem Decknamen „Minions“. Mehrere bulgarische Staatsbürger wurden vor einem britischen Gericht wegen geheimdienstlicher Aktivitäten zu langen Haftstrafen verurteilt. Die Ermittlungsakten offenbaren: Chatprotokolle und Listen mit Zielpersonen – auch Aufdecker-Journalisten wie Christo Grozev standen im Visier. Die Gruppe war auch in Österreich aktiv.
Dank der Hinweise aus London flogen weitere Connections nach Wien auf. Im Zentrum: eine in der Bundeshauptstadt lebende Bulgarin, die im Auftrag der Londoner Truppe von Kreml-Agent Jan Marsalek profil-Chefredakteurin Anna Thalhammer bespitzelte (damals noch bei der „Presse“). Auch, als die Londoner Spionagetruppe längst in U-Haft saß, soll die Frau in Wien weiterhin aktiv gewesen sein. Inzwischen wurde sie einvernommen und ein Verfahren eingeleitet – nach einer Festnahme kam sie aber rasch wieder auf freien Fuß.
„Die Entscheidung ist ein bisschen schwierig zu verstehen, dass sie wieder rauskommt“, sagt Rechtsanwalt Otto Dietrich, der in diesem Verfahren Anna Thalhammer als Opfer vertritt. Während in Großbritannien die Spione durchgängig in Untersuchungshaft gehalten und anschließend zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt wurden, darf die Bulgarin in Wien wohl mit milderen Konsequenzen rechnen. Die Beschuldigte weist jede Verantwortung zurück – aus Angst. Eine Randbemerkung des Rechtsanwalts: „Wenn ich Angst habe, höre ich mit dem auf, was man mir vielleicht vorwerfen könnte.“
Innere Front
Spionage ist ein Thema, das in den vergangenen Jahren immer stärker in den Fokus gerückt ist. „Unser Verfassungsschutz, also Staatsschutz und Nachrichtendienst, ist die erste dünne rote Linie, auf die Menschen und Organisationen treffen, die Schaden für unser Land und die Menschen in unserem Land anrichten“, sagt der Staatssekretär für den Staatsschutz, Jörg Leichtfried (SPÖ). Kritik an geringen Konsequenzen für ausländische Spione in Österreich, wie sie zuletzt wiederholt aufgekommen ist, ist von der Politik nicht unbemerkt geblieben. „Es braucht bei uns rechtliche Änderungen“, meint Leichtfried.
Seit geraumer Zeit prüfen die Ermittlungsbehörden den Verdacht, dass auch rund um den damalige Verfassungsschutz BVT Zuträger russischer Geheimdienste aktiv gewesen sein könnten. Sie sollen Informationen zu Personen aus Datenbanken gesammelt, Meldeabfragen vorgenommen und Dossiers über Zielpersonen angelegt haben. Andererseits wurden in einem 39-seitigen Pamphlet schwere Vorwürfe lanciert, die sich letztlich zwar als unbegründet herausstellten, im Jahr 2018 aber zu einer groß angelegten Hausdurchsuchung der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft im damaligen BVT führten. Die Behörde sollte sich von diesen Vorgängen nicht mehr wirklich erholen und wurde später von der heutigen Direktion Staatsschutz und Nachrichtendienst (DSN) abgelöst
Wie aber geht es weiter? Alle Beschuldigten sind weiterhin auf freiem Fuß – sie bestreiten sämtliche Vorwürfe. Einer ist in Richtung Dubai untergetaucht. „Die Außenwirkung ist fatal“, sagt Thalhammer. In der Bundeshauptstadt habe es bislang keine einzige Verurteilung wegen Spionage gegeben – das sei eine indirekte Einladung für Agenten, sich in Wien niederzulassen. „Ich sehe dringenden Handlungsbedarf, dass die Justiz aktiv wird.“
Politische Rückendeckung kommt von Jörg Leichtfried: „Für die Rechtsgrundlagen wäre es schon gut, eine neue Basis zu schaffen.“
Fortseztung im September
profil dankt dem zahlreich erschienenen Publikum. Unsere Eventreihe „Unbequeme Wahrheiten“ verabschiedet sich nun in die Sommerpause – weiter geht es am 17. September im Theater Akzent mit: profil & die FPÖ (Tickets finden Sie hier)
Wir werfen einen Blick auf die NS-Vergangenheit, Korruptionsaffären, den kometenhaften Aufstieg und tiefen Fall Jörg Haiders, die Spaltung und den Wiederaufstieg der radikalen Partei samt greifbar nahem Kanzleramt. profil wurde dabei verklagt, bedroht – und von Haider mit einem Bann belegt. Und doch deckte kein anderes Medium so viele brisante Geschichten rund um die FPÖ auf. Hinter den Kulissen ging es jedenfalls heiß her.