Kinder, reden wir über Geld
62.000 Euro. So viel hatten jene Wiener:innen im Schnitt an Schulden angehäuft, die sich 2024 an die Beratungsstelle des Fonds Soziales Wien (FSW) wandten. 7.119 Personen suchten dort Hilfe, 2020 waren es trotz Coronakrise noch gut ein Viertel weniger gewesen.
Auch in den anderen Bundesländern stieg die Zahl der Schuldnerberatungs-Klient:innen in den vergangen fünf Jahren deutlich an. Besonders alarmierend: Die Hilfesuchenden werden immer jünger, die Schulden immer höher. Auch die Insolvenzfälle nahmen laut Alpenländischem Kreditorenverband (AKV) bei Menschen unter 24 Jahren binnen des Vorjahres um mehr als ein Fünftel zu. Einer der Hauptgründe: die Überschätzung der eigenen finanziellen Möglichkeiten.
Zwar attestiert die OECD Österreichs Jugend überdurchschnittliches Finanzwissen. Doch der Trend zu bargeldlosen Zahlungen, schnell abschließbaren Handyverträgen und Konsumkrediten, Online-Shopping und „Kauf jetzt, zahl später“-Angeboten erschwert es den Jungen offensichtlich, den Überblick über ihre Ausgaben zu behalten. 60 Prozent der Jugendlichen haben sich laut Bettina Fuhrmann, Finanzbildungsexpertin und Leiterin des Instituts für Wirtschaftspädagogik der WU Wien, auch schon einmal Geld geliehen – nicht nur von Eltern oder Freunden, sondern wohlgemerkt auch von Banken und Unternehmen. Sie sammeln also bereits in jungen Jahren Schuldenerfahrungen und stoßen damit eine Tür für ein Leben auf Pump auf.
Dass hier dringender Handlungsbedarf besteht, hat auch die Regierung erkannt. Bereits 2021 rief das Finanzministerium die Nationale Finanzbildungsstrategie ins Leben: Mehr als 150 Maßnahmen sollen das Finanzwissen der Österreicher:innen verbessern – mit Face-to-Face- und E-Learning-Angeboten, Spielen, downloadbaren Foldern ...
Ein Drittel der Tools zielt auf Schüler:innen ab. Für die Förderung der Finanzbildung in Schulen als fächerübergreifendes Thema wurde auch eine Eduthek geschaffen. 30 Unterrichtsmaterialien – von Budgetierung über Steuerarten bis hin zu Blockchain-Grundlagen – sind digital verfügbar und können von Lehrkräften kostenlos verwendet werden.
Elternhaus als (Finanz-)Schule
Ganz aufholen oder ausgleichen lässt sich im Unterricht aber nicht, was im Elternhaus in Sachen Finanzbildung versäumt wurde. Denn der Familie und speziell den Eltern kommt eine zentrale Rolle bei der Wissensvermittlung zu, das zeigt unter anderem eine Studie von Mastercard und dem Finanz-Start-up Bling aus dem Vorjahr. So gaben 79 Prozent der befragten Kinder und Jugendlichen an, dass ihre Eltern für sie die wichtigste Quelle für ihr Finanzwissen seien. Platz zwei belegte mit weitem Abstand „Learning by Doing“ mit 19 Prozent, gefolgt von der Internetrecherche und Social-Media-Influencern. Ihre Lehrer:innen als Finanz-Informationsquelle nannten gerade einmal elf Prozent.
Die Mehrheit der Eltern (81 Prozent) findet es laut der Umfrage wichtig, dass ihr Nachwuchs lernt, verantwortungsvoll mit Geld umzugehen. Wie das – auch außerhalb der Schule – gelingen soll? Über die Hälfte sieht den pädagogischen Wert der ersten Gelderfahrungen im Alltag und zahlt ihren Kindern daher ein Taschengeld, damit die den Umgang mit persönlichen Finanzen selbst üben können. Erzieherisch wichtig sei, so Expert:innen, ein geregeltes Taschengeld ohne Möglichkeit für Nachverhandlungen, um zu lernen, was Opportunitätskosten sind. Also zu verstehen, dass man auf B verzichten muss, wenn man das Geld für A ausgibt.
Guck mal, wer da zahlt.
Kinder und Jugendliche werden immer früher mit dem Thema Geld konfrontiert. Eltern müssen sie darauf vorbereiten.
Weit darüber hinaus geht Finanzbildung in den meisten heimischen Elternhäusern aber selten. Zwar finden die befragten Eltern, dass drei Themenbereiche – der Umgang mit Geld (von der Finanzplanung übers Haushalten bis hin zu Schulden), berufs- und einkommensnahe Themen (etwa Ausbildungswege und Bewerbung) sowie wichtiges Alltagswissen über Kostenfallen und Verbraucherrechte – frühzeitig vermittelt werden sollten. Doch gerade mal 47 Prozent wollten von sich selbst behaupten, ihrem Nachwuchs das Wissen darüber auch gut beizubringen. Ein Viertel der Eltern fühlt sich mit der Vermittlung vielmehr unwohl oder gar überfordert. Das liegt auch daran, dass für viele der erwachsenen Studienteilnehmer:innen finanzielle Themen in ihrer eigenen Kindheit und Jugend ein Tabuthema waren.
Den Teufelskreis durchbrechen
Für die finanziell sichere Zukunft des Nachwuchses muss dieser „Über Geld spricht man nicht“-Teufelskreis aktiv durchbrochen werden. Nur Mut! Denn immerhin gaben 70 Prozent der befragten Kinder an, dass es ihren Eltern gut gelänge, Geldthemen verständlich zu vermitteln – wenn sie sie denn angehen. Wo Eltern ansetzen sollten? Ein Leitfaden für die ersten Steps.
Ein Grundverständnis aufbauen
Lektion 1: Woher das Geld kommt
Lassen Sie Ihr Kind Geld verdienen. Nicht für selbstverständliche Pflichten im Haushalt, sondern für Zusatzjobs – etwa an einem Flohmarktstand, wo es Selbstgebasteltes anbieten kann. So lernt es: Geld entsteht durch Arbeit, Leistung, Eigenverantwortung und Unternehmertum und ist nicht „einfach so“ da.
Lektion 2: Was Einkommen ist und wie Vermögen entsteht
Lassen Sie Ihr Kind sehen, was monatlich reinkommt und rausgeht. Zeichnen Sie ein Haushaltsdiagramm – mit Einnahmen vor und nach Steuern, Ausgaben für Miete und Co, Ersparnissen, Investitionen etc. Es lernt: Geld hat viele Zwecke. Und Vermögen entsteht, indem man weniger ausgibt als man einnimmt und das Ersparte investiert.
Lektion 3: Wie teuer Schulden sind
Ihr Kind möchte sich etwas kaufen, was es sich nicht leisten kann? Bieten Sie ihm einen Kredit an, machen Sie Schulden und Zinsen mit einem Vorschuss aufs Taschengeld spürbar: „Wenn du dir heute zehn Euro leihst, musst du mir nächste Woche elf Euro zurückgeben.“ Rechnen Sie anhand des Kaufs auf Pump vor, wie das Objekt der Begierde dadurch deutlich teurer wird.
Lektion 4: Was Inflation bedeutet
Geld verliert durch die Inflation an Kaufkraft. Vergleichen Sie mit Ihrem Nachwuchs historische Preise, z. B. die eines Cheeseburgers. Und erklären Sie, warum das Investieren in Aktien, ETFs oder Fonds sinnvoll ist, um das Vermögen vor der Inflation zu schützen.
Lektion 5: Wie Geld für einen arbeiten kann
Zeigen Sie, wie Zinseszins wirkt, selbst bei kleinen Beträgen. Mit einer App lässt sich gut simulieren, wie aus zehn Euro für ein Spielzeugauto bei gleichhoher, monatlicher Sparrate in 15 Jahren und bei fünf Prozent Rendite ganz ohne weiteres Zutun fast 2.700 Euro werden, sprich: ein echtes Moped.
Lektion 6: Was Vermögenswerte sind
Kaufen Sie gemeinsam etwas fürs Depot, was Einkommen generiert (Asset) und stellen Sie es Dingen gegenüber, die nur Geld aus der Tasche ziehen (Verbindlichkeit). Etwa eine Aktie von Disney statt die gewünschte Disney-Figur. Jedes Jahr darf sich das Kind dann von der eingegangenen Dividende etwas kaufen – das erste passive Einkommen.
Lektion 7: Wie Risiko und Rendite zusammenhängen
Je höher die Rendite, desto höher das Risiko. Der Nachwuchs lernt das spielerisch. Dafür die Zahlenkarten eines Uno-Kartenspiels in zwei Stapel gleichwertige teilen, das Kind erhält zudem zehn Aufkleber. Zieht es vom ersten Stapel, erhält es für jede Zahl von null bis acht einen weiteren Aufkleber dazu, fällt aber eine Neun muss es drei Sticker zurückgeben. Entscheidet es sich fürs zweite Deck, erhält es für jede Karte von null bis acht zwei Aufkleber (höherer Gewinn), muss aber für jede Neun zehn Sticker abgeben (höheres Risiko).
Das Mindset prägen
Lektion 1: Was gute Glaubenssätze über Geld sind
Fragen Sie Ihr Kind, wie es über Geld denkt. Welche Glaubenssätze haben Sie ihm bewusst oder unbewusst mitgegeben? Und sind es Gedanken, die finanziellen Erfolg fördern oder eher hemmen? Ersetzen Sie negative Glaubenssätze durch Positives, wie z.B. „Geld wird dich nicht verlassen, denn du kannst gut damit umgehen.“
Lektion 2: Wie normal und wichtig das Sprechen über Geld ist
Normalisieren Sie Gespräche über Geld – für den und mit dem Nachwuchs. Führen Sie z B. ein monatliches Finanz-Update ein. Besprechen Sie offen und ohne Schuldzuweisungen: Wie viel wurde für was ausgegeben? Was wurde gespart? Was sind die nächsten Ziele? Sprechen Sie auch über „Finanzfehler“ (unüberlegte Käufe, Kostenfallen) und fragen Sie: „Was würdest du nächstes Mal anders machen?“
Lektion 3: Warum Geld ein Werkzeug ist, keine Währung
Sprechen Sie regelmäßig auch über eigene finanzielle Ziele (z.B. Haus, weniger arbeiten müssen). Zeigen Sie, wie Geld hilft, persönliche Werte umzusetzen und Sicherheit zu schaffen.
Lektion 4: Wie man Bedürfnisse und Wünsche unterscheiden kann
„Brauchen wir das wirklich oder wollen wir das nur?“ – stellen Sie Ihrem Kind diese Frage beim Einkaufen. Wägen Sie gemeinsam zwischen einem Wunsch, der warten kann oder auch gar nicht erfüllt werden muss, und einem dringenden Bedürfnis ab. Der Nachwuchs wird das dann auch später selbst beim Shoppen tun. Leben Sie bei Konsumgütern, die in die Kategorie „Wunsch“ fallen, auch die 30-Tage-Regel vor. Erst nach dieser Bedenkzeit wird gekauft – falls noch gewollt.
Lektion 5: Was Opportunitätskosten wirklich sind
Jede Entscheidung kostet nicht nur Geld (und Zeit), man muss dafür auch Alternativen aufgeben. Führen Sie dem Kind vor Augen, auf was es (künftig) verzichten muss, wenn es jetzt Kauf X tätigt. Und bringen Sie ihm auch näher, dass es in der Stunde vor der Glotze auch für Geld den Rasen hätte mähen können.
Lektion 6: Wie Kaufen besser geht
Jeder Kauf hat nicht nur finanzielle Konsequenzen. Diskutieren Sie auch: „Woher kommt das Produkt? Wie lange hält es? Gibt es eine nachhaltigere Alternative?“ Wer bewusster konsumiert, reduziert Impulskäufe. Und: Er orientiert sich bei finanziellen Entscheidungen an eigenen Werten, weniger an Trends oder der Clique. Sprechen Sie auch über Werbung und Social Media, wie und warum sie uns beeinflussen. Werbebotschaften zu analysieren, macht sogar Spaß.
Lektion 7: Warum man in sich selbst investieren muss
Investitionen in Bildung, Fähigkeiten und persönliche Entwicklung haben den besten Return on Investment. Sie erhöhen das Einkommen, machen finanziell unabhängig(er). Zeigen Sie z. B. anhand Ihres Lohnzettels, wie eine Fortbildung, ein Branchenwechsel oder der Karriereverlauf Ihr Gehalt gesteigert haben.
Gute Finanz-Gewohnheiten pflegen
Lektion 1: Wo das Geld hinwandert
Sie führen – mit gutem Beispiel voran – ein Haushaltsbuch. Lassen Sie das auch Ihr Kind tun für sein Taschengeld. Entweder analog oder via App. Denn nur wer weiß, wohin sein Geld fließt, hat die Kontrolle. Lassen Sie den Nachwuchs auch Randnotizen machen: Warum habe ich das Geld ausgegeben, gespart oder investiert? So trackt man auch das unbewusste Konsumverhalten.
Lektion 2: Wie Budgetieren geht
Jede finanzielle Entscheidung hat Einfluss auf die Zukunft. Um das zu lernen, lassen Sie Ihr Kind monatlich sein Taschengeld in vier Sparschweine oder digitale Kategorien aufteilen: Ausgaben für Nötiges (z.B. Futter für die Meerschweinchen), Geld für Spaß (Süßigkeiten, Kino und Co.), Zurücklegen für Unvorhergesehenes (den Tierarzt fürs Meerschweinchen) und Sparen für größere Wünsche (ein neuer Meerschweinchen-Käfig). So lernt das Kind, Geld bewusst aufzuteilen, Prioritäten zu setzen, finanzielle Puffer für Notfälle einzubauen und für Wünsche anzusparen.
Lektion 3: Wie Sparen funktioniert
Führen Sie Sparziele ein – z.B. für ein Fahrrad. Nutzen Sie ein Glas oder digitales Sparziel-Tool (App), um den Fortschritt sichtbar zu machen und zu zeigen: Wer warten kann, hat langfristig mehr. Und das Kind lernt, regelmäßig und nicht nur gelegentlich zu sparen.
Lektion 4: Wie Kleinvieh Mist macht
Rechnen Sie mit dem Nachwuchs regelmäßig nach, was ihn auch seine kleinen Ausgaben auf Dauer so kosten. Der tägliche Bubbletea um drei Euro kommt im Jahr auf über 1.000 Euro. Diese Summe beeindruckt dann doch viele und lässt sie den Konsum überdenken.
Lektion 5: Wie Vergleich reich macht
Ein neues Handy? Kann 100 oder auch 1.000 Euro kosten. Damit der Nachwuchs lernt, Preise, Gebühren und laufende Kosten zu vergleichen, schaffen Sie Anreize. Für jedes gesparte Prozent gibt es bei größeren Anschaffungen einen Euro Zuschuss von Ihnen.
Lektion 6: Was langfristig denken bedeutet
Große Ziele brauchen finanzielle Planung. Erstellen Sie mit Ihrem Kind ein „Traumboard“ mit Zukunftswünschen (Reisen, Ausbildung, Führerschein ...). Rechnen Sie zusammen aus, was das kosten könnte und besprechen Sie die Schritte, um diese Ausgaben dann auch stemmen zu können.
Lektion 7: Wie digitale Finanzen sicher im Griff bleiben
Online-Geld (Apps, Karten …) ist echtes Geld, auch wenn es sich nicht so anfühlt. Am besten tätigen Sie den Online-Kauf, der Nachwuchs erstattet Ihnen den Kaufpreis in bar. Netz-Shopping erfordert zudem Vorsicht. Üben Sie gemeinsam, wie man Online-Käufe sicher tätigt und PINs und Passwörter schützen muss.
Lektion 8: Wem und was man nicht trauen sollte
Schnell reich werden ohne Aufwand? Sprechen Sie mit Ihren Kids über falsche Versprechungen von selbsternannten Finanz-Gurus auf TikTok und Co., informieren Sie es über aktuelle Betrugsmaschen. Welches schlechte Interesse könnte hinter einem vermeintlich guten Angebot stecken? Beispiele für „Finger weg“ und „Trau schau wem“ kann man auch nachhören, etwa in Financial-Crime-Podcasts.
Lektion 9: Warum Geld nicht alles ist, aber sein kann
Diskutieren Sie auch Werte wie Freundschaft, Gesundheit, Wissen. Und ermutigen Sie Ihr Kind, regelmäßig einen kleinen Teil seines Geldes zu spenden. Es lernt: Geld kann dann alles sein, wenn man damit anderen hilft oder Sinn stiften kann.
70 %
der befragten Kinder gaben an, dass es Mama und Papa gut gelinge, ihnen Finanzthemen zu erklären. Von den Eltern war hingegen nur rund die Hälfte (47 Prozent) der gleichen Meinung wie ihr Nachwuchs.
Quelle: Studie von Mastercard & Bling, 2024.
Text: Daniela Schuster