Kolumne

#brodnig: Cyrano de ChatGPT

Selbst beim Flirten und Daten kann man Tipps von künstlicher Intelligenz bekommen-aber wo wird es unethisch oder einfach creepy?

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Es ist beeindruckend, für welch unterschiedliche Textgattungen man die künstliche Intelligenz ChatGPT einsetzen kann: Das reicht vom Aufsetzen eines Bewerbungsschreibens bis hin zum Erfinden eines Märchens, in welchem die Hauptfigur so heißt wie das eigene Kind. Dass immer mehr Einsatzmöglichkeiten solcher Software bekannt werden, sehe ich als starken Indikator dafür, wie nachhaltig derartige Technologie unsere Gesellschaft beeinflussen wird. Selbst im Liebesleben wird schon künstliche Intelligenz genutzt. Die "New York Times" berichtete neulich von einem Mann, der mittels ChatGPT Liebesbekundungen für seine Frau verfasst. "Ich bin kein Dichter, ich bin kein Liederschreiber, aber ich kann Themen nehmen, die meine Frau womöglich mag, und sie in ein Lied oder ein Gedicht verpacken", sagte der Mann namens James Gregson zu dem Medium. Übrigens weiß seine Frau, dass die Software in diesem

Fall die Texte erstellte. Denn solche Anwendungsformen werfen grundsätzliche Fragen auf: Inwieweit ist es ethisch vertretbar, zum Flirten oder zum Ausdruck der eigenen Liebe Software einzusetzen-sollte man in diesen Bereichen nicht ganz authentisch sein, also keine fremden Texte nutzen? Auch frage ich mich: Kann die Software denn überhaupt flirten? Letzteres lässt sich ausprobieren. Zum Beispiel habe ich ChatGPT um Pick-up Lines gebeten, also um Anmachsprüche. Das war unser Austausch:

Ich: Hallo ChatGPT, sag eine gute Pick-up Line, nicht mehr als zehn Worte. ChatGPT: Klar, hier ist eine kurze Pick-up Line: "Dein Lächeln ist bezaubernd." Ich: Sag eine gute Pick-up Line. ChatGPT: Wie wäre es mit dieser Pick-up Line: "Entschuldigung, ich habe meine Telefonnummer verloren. Kann ich deine haben?" Ich: Cheesy. ChatGPT: Okay, wie wäre es mit dieser: "Du bist wie Google - alles, wonach ich gesucht habe."

Du bist wie Google - alles, wonach ich gesucht habe. 

ChatGPT

Bei der letzten Antwort musste ich lachen-weil ChatGPT und Google sogar als Konkurrenz bezeichnet werden können. Aber zurück zum Thema Flirten: Ich finde, insgesamt hat ChatGPT die Aufgabe halbwegs passabel gelöst. Denn wer eine blöde Frage stellt, kriegt blöde Antworten-und wer Pick-up Lines hören möchte, muss damit rechnen, auch peinliche Vorschläge zu erhalten. Natürlich ist ChatGPT kein Dating-Wunderwuzzi, welcher immer den perfekten Spruch parat hat. So einfach funktioniert ja auch Flirten nicht. Aber sehr wohl kann man sich von der Software Anregungen holen, zum Beispiel, was gute Small-Talk-Themen oder passende Orte für ein erstes Date sind. Offenbar wird dieses Tool auch schon von manchen beim Online-Dating eingesetzt. Zum Beispiel berichtet der TikTok-User "ekoastoic", dass er ChatGPT nutzte, um ein Gedicht für eine 1,80 Meter große Frau zu verfassen, die er auf Tinder beeindrucken wollte. Ich kann nachvollziehen, dass Leute sich hier auch Hilfe von künstlicher Intelligenz holen: Dating ist hart und oft auch emotional stressig. Da kann es erleichternd sein, nicht alles selbst schreiben zu müssen.

Das Ganze ist kein neues Problem-schon das Stück "Cyrano de Bergerac" handelt von einem Einflüsterer, der für einen anderen die passenden Worte für die Angehimmelte liefert. Die Frage ist in solchen Fällen immer: Ab wann werden solche Dating-Hilfen unfair? Auf dem Online-Portal reddit schreibt eine Userin namens "deadprophetess", dass ein Typ auf Tinder bei ihr ChatGPT eingesetzt habe: In der Nachricht an sie habe er all die Dinge angesprochen, die sie auf ihrem Profil angegeben hatte. Das habe sie beeindruckt. Doch als sie im Chat erwähnte, dass sie gerade krank ist, soll das Gegenüber dann auch "Tipps zum Gesundwerden" geliefert haben - so wie das ein braver Chatbot eben tut. Natürlich können solche Geschichten auf reddit erfunden sein, unfair ist in einem solchen Szenario aber, dass der Einsatz von künstlicher Intelligenz nicht transparent gemacht wurde. Es wurde der Person verheimlicht, mit wem sie in Wirklichkeit chattet. Das ist für mich der ethische Knackpunkt: Fair ist der Einsatz von künstlicher Intelligenz-auch im Liebesleben-dort, wo mit offenen Karten gespielt wird, wo nichts Falsches vorgetäuscht wird. Übrigens: Ich habe ChatGPT auch gefragt, was es empfehlen würde, wenn man schüchtern ist, aber im Club wen ansprechen will. Es lieferte eine Reihe von Tipps wie "sei freundlich und natürlich" oder "finde gemeinsame Interessen", aber zum Schluss schrieb die Software: "Denke daran, dass das Wichtigste daran ist, natürlich zu sein und kein Skript zu verwenden. Sei einfach du selbst und zeige Interesse an der Person, die du ansprichst."

Und ich finde: Manchmal hat ChatGPT durchaus recht.

Ingrid   Brodnig

Ingrid Brodnig

ist Kolumnistin des Nachrichtenmagazin profil. Ihr Schwerpunkt ist die Digitalisierung und wie sich diese auf uns alle auswirkt.