Ingrid Brodnig

#brodnig: Vorsicht vor diesen Stalking-Maschinen!

Es kommen immer mehr Geräte wie Apple AirTags auf den Markt, die Gegenstände oder auch andere Menschen orten können - und die ein Sicherheitsrisiko gerade für Frauen darstellen.

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Technikkonzerne versuchen, ihre Technologie als Wohltat für die Menschheit darzustellen - welche unser Leben einfacher und sicherer macht. Jedoch zeigt sich immer wieder, dass neue Technik ebenso missbraucht werden kann, was dann das Gegenteil von Sicherheit für die Betroffenen bedeutet. Das aktuellste Beispiel liefert Apple. Im April 2021 stellte das Unternehmen seine neuen AirTags vor. Das sind kleine, runde Gegenstände, etwas größer als eine 2-Euro-Münze. Man kann einen AirTag zum Beispiel an seinem Rucksack anbringen - und wenn man diesen verliert oder er gestohlen wird, lässt sich der AirTag über Apples Netzwerk orten. Obwohl der AirTag keine Internetverbindung hat, kann er nämlich mit anderen Geräten in Apples "Find My network" mittels Bluetooth kommunizieren (wie zum Beispiel fremden iPhones) und damit auch unterwegs seine Koordinaten kommunizieren.


Das ist an sich eine beeindruckende Technik. Doch schon wenige Tage nach der Präsentation der AirTags kam die Sorge auf, dass diese unauffälligen Ortungsgegenstände auf problematische Weise eingesetzt werden könnten. In von Missbrauch geprägten Beziehungen kann es passieren, dass jemand den Partner oder die Partnerin ohne deren Wissen jederzeit orten möchte. Dafür lässt sich beispielsweise sogenannte Stalkerware am Smartphone heimlich installieren - solche Software kommuniziert dann unbemerkt den Aufenthaltsort des Handys. Die unauffälligen AirTags stellen ein ähnliches Sicherheitsrisiko dar. Hardware dieser Art kann für Stalking genutzt werden, nicht nur in der Theorie.

Das in New York lebende Model Brooks Nader machte auf Instagram öffentlich, dass sie in ihrem Mantel einen AirTag gefunden habe. Sie vermutet, dass ein Fremder in einem Lokal das Ortungsgerät in ihrem Mantel versteckte, als sie den Mantel über einen Sessel gelegt hatte. Die gute Nachricht: Das iPhone hat eine automatische Funktion, die Userinnen und User informiert, wenn ein AirTag länger in ihrer Nähe ist. Dann zeigt einem das iPhone den Hinweis an: "AirTag in deiner Nähe entdeckt." So fand anscheinend auch Brooks Nader heraus, dass ihr jemand das Gerät untergejubelt hatte. Die schlechte Nachricht: Auf Android-Smartphones bekommt man keinen automatischen Hinweis, es handelt sich hierbei um ein anderes Betriebssystem. Immerhin hat Apple mittlerweile eine Android-App veröffentlicht namens "Tracker Detect", die ebenfalls warnt. Mein Tipp: Auch wer Android nutzt, sollte diese App installieren, um sich vor ungewollter Überwachung mittels AirTag zu schützen.

Eine weitere Herausforderung: Die AirTags sind längst nicht die einzigen handlichen (und somit unauffälligen) Ortungsgeräte am Markt, es gibt unterschiedliche Anbieter. In vielen Fällen werden Geräte dieser Art für sinnvolle Zwecke genutzt. Es ist tatsächlich praktisch, wenn man den verloren geglaubten Schlüsselbund dank Tools wie diesem doch noch wiederfindet. Aber bei neuer Technik besteht oft die Gefahr, dass sie bestehende Formen von Gewalt intensiviert: Das Beispiel von Brooks Nader legt nahe, dass es Frauen passieren kann, dass ihnen in einem Lokal so ein Gerät in den Mantel oder die Handtasche geschmuggelt wird - und die Person dann ihren Nachhauseweg oder ihre Wohnadresse kennt. Auch gibt es Gruppen in unserer Gesellschaft, deren Bedürfnis besonders groß ist, nicht geortet zu werden. Zum Beispiel werden Adressen von Frauenhäusern bewusst geheim gehalten, damit gewalttätige Partner nicht wissen, wo sie ihrer Partnerin beziehungsweise Ex-Partnerin auflauern können.

Natürlich haben Digitalunternehmen ein ökonomisches Interesse, ihre Produkte in einem schönen Licht darzustellen, aber als Gesellschaft müssen wir uns auch ernsthaft mit Fragen auseinandersetzen wie etwa: Wie könnte dieses Gerät missbraucht werden? Gibt es Wege, dieses Missbrauchspotenzial zu verringern?

Wir sollten nicht darauf warten, dass Digitalunternehmen von selbst genügend Schutzmechanismen entwickeln. Zum Beispiel ist es recht gut, dass Apple eine Warnfunktion für iPhones eingebaut hat, allerdings gibt es Konkurrenzprodukte, die nicht mit Apples Netzwerk kommunizieren. Anscheinend existiert hier kein Industriestandard, der dazu führt, dass Smartphone-Nutzer:innen automatisiert auf Tracking-Geräte (egal von welchem Unternehmen) hingewiesen werden. Hier könnte die EU an neuen Sicherheitsvorgaben arbeiten: Ich denke zum Beispiel an einen einheitlichen technischen Standard für alle in Europa erhältlichen portablen Tracking-Geräte und alle gängigen Smartphone-Betriebssysteme. Zumindest erschiene es mir sinnvoll, wenn sich die europäische Politik und die IT an einen Tisch setzten und näher erörterten, inwieweit sich das Missbrauchspotenzial von Ortungsgeräten und Stalkerware mittels neuer rechtlicher Auflagen oder technischer Mindeststandards verringern ließe.

Sicher, neue Gesetze oder bessere Technik werden nicht all unsere gesellschaftlichen Probleme lösen. Missbrauch und Stalking gab es schon lange, bevor das Smartphone oder Tracking-Tools aufkamen. Auch manche Schattenseiten von Technologie wird man womöglich nie zur Gänze wegbekommen, aber man kann sehr wohl daran arbeiten, dass es ein Stück weit mehr Schutz gibt.

Ingrid   Brodnig

Ingrid Brodnig

ist Kolumnistin des Nachrichtenmagazin profil. Ihr Schwerpunkt ist die Digitalisierung und wie sich diese auf uns alle auswirkt.