Gesellschaft

Expedition unter die Gürtellinie: Wien, du bist ein Saubartl

Zwanzig Jahre lang betrieb ein Wiener Pärchen die legendäre Pornofilm-Produktionsfirma Edition Privat. Die beiden haben Clemens Marschall aus ihrem Leben erzählt: von Pfarrern, die ihre Kutten heben, Burgschauspielern in Aktion und einschlägigen anatomischen Studien in den Kellern von Wien.

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von Clemens Marschall

Ging Claudia früher in ihre Stammapotheke, kamen auch schon die Fragen: "Und, wie hat's funktioniert? Was darf's heute sein?" Die Neugier bezog sich nicht auf Kopfwehtabletten, sondern auf Katheter, Gebärhandschuhe und Nadeln. Was Claudia damit anstellte, wurde meist auf Kamera festgehalten-von ihrem Mann Rudi. Zusammen betrieben die beiden ab Anfang der 1990er-Jahre die "Edition Privat": eine Produktionsfirma für schwer wienlastige Pornofilme zwischen Vergnügen, Folter, Spira und Deix.

Heute wohnt das Paar mit seinen zwei Pinschern am Stadtrand von Wien, in einer Siedlung, die Schauplatz eines Ulrich-Seidl-Films sein könnte-und tatsächlich waren Claudia und Rudi eine Zeit lang so etwas wie die verlängerte Castingcouch für den Grenzgänger-Regisseur. Ein verbindendes Element war etwa der Verleger und Swingerclubbetreiber Victor "Vickerl" Hennemann: Claudia und Rudi haben in seinen legendären Lokalen gedreht; in Seidls Klassiker "Hundstage" bekommt Vickerl von Georg Friedrich eine Kerze ins Hinterstübchen verpasst, während er die österreichische Bundeshymne singt. "Vickerl war einer der wenigen aus der Szene, mit denen wir uns auch privat gern getroffen haben",sagt Rudi, der eigentlich bei einer Fluggesellschaft in Schwechat die Frachtabläufe regelte.

Die "Schweindlfilme",wie er sie lapidar nennt, waren für ihn eine reine Einnahmequelle. Aufmerksam auf diesen Markt wurde er, als er vor über 30 Jahren am Flughafen in einer Arbeitspause die Anzeigen in Österreichs auflagenstärkster Tageszeitung studierte und sah, dass dort auch Sexfilmchen angeboten wurden. Nachdem er bereits Spots im Werbebereich gedreht hatte und wusste, wie man eine Kamera hält, beschloss Rudi, auf ein neues Genre umzusatteln: Die "Edition Privat" präsentierte zuerst harmlose Erotik-und Sexszenen, zunehmend aber-den Publikumswünschen folgend-deviante Subarten und "Freakfilme". Drehorte waren verrufene Clubs und Pornokinos, die freizügige Lobau, versaute Gemeindebauten, aber auch Kuhställe im Burgenland, die zu kleinen Folterkammern umgebaut wurden.

"Wie bei Spira" - Dreharbeiten in Victor Hennemans "Kore-Palast". 

Nach seinen Flughafenschichten kopierte Rudi zu Hause im Keller die bestellten Videokassetten und verschickte sie am Folgetag. Die Bewerbung erfolgte über Anzeigen in Peter Janischs "Österreichischem Kontaktmagazin" (ÖKM) oder auch in Victor Hennemanns Illustrierten. Konkurrenten gab es in Österreich zu der Zeit kaum, wobei Claudia meint: "Fred Aram war mit seiner Firma FunMovies bei uns der Pionier." Für den Wiener Pornofilmproduzenten hatte sie auch schon gedreht, bevor sie Anfang der 1990er-Jahre mit Rudi zusammenkam. Die beiden lernten sich bei einer Auftragsarbeit kennen: sie vor, er hinter der Kamera. Es war keine Liebe auf den ersten Blick. Dafür hält sie bis heute.

Rudi ist ein Urwiener aus der Arbeiterklasse, aufgewachsen in der Per-Albin-Hansson-Siedlung in Verhältnissen, in denen man sich selbst zu helfen wissen musste. "Aus der Schule bin ich geflogen weil ich so brav war",sagt er, während er an einer Zigarette zieht und grinst. Claudia kommt eher aus behüteten Verhältnissen und wurde von einem Ex-Freund in die Swingerszene eingeführt: Sie ging darin auf, ihr damaliger Partner bereute es bald. Claudia und Rudi hingegen wirken wie füreinander geschaffen: beide nicht monogam, aber ehrlich. "Ich teile Rudi gern",sagt Claudia, "sein Schwanz ist ja keine Seife, die bei Gebrauch immer weniger wird". Ihre Einfälle sind vielfältig, die Grenzen anders gesteckt als in herkömmlichen Beziehungen. Jeden Morgen findet, wer als Zweiter aufwacht, einen "Liebesbrief" neben dem Kopfpolster: mit nicht jugendfreien Wünschen und Botschaften.

Claudia ausnahmsweise hinter der Kamera

Österreichische Rustikalität, kombiniert mit oft abstrusen sexuellen Vorstellungen, Kontakten und Geschäftssinn brachten die "Edition Privat" vom improvisierten Kellerkopierkammerl zur professionellen Firma, die ein eigenes Lager mit Angestellten betrieb. Die Filme wurden von Beate Uhse vertrieben und weltweit verkauft. Claudia kümmerte sich um Casting und Darsteller, Rudi ums Technische. "Ich hab mich nie vor der Kamera ausgezogen",sagt er-Claudia hingegen schon. Nur als die beiden ein Paar wurden, wollten sie das nicht mehr-und hatten den Einfall, Claudia als spärlich bekleidete Domina zu inszenieren, die in einem Rollstuhl sitzt und zwei Sklaven, die sich auf allen vieren vor ihr bewegen, zwei Krücken sonst wohin steckt. "Ich wollte mich von den Sklaven an den Krücken wie von zwei Ponys ziehen lassen",lacht Claudia noch heute: "Es hat funktioniert."

Claudia trägt sadistische Züge in sich: Gerne operiert sie an ihren Untertanen mit Nadeln unter den Fingernägeln. Oder bestraft sie im öffentlichen Raum, wenn sie nicht vorauseilend gehorchen. Bei einer Weihnachtsfeier dämpfte sie eine Zigarre auf der Eichel ihres devoten Tischpartners aus. "Das ist krank, das ist Folter", schüttelt Rudi den Kopf. "Mir tut's gut", sagt Claudia selbstsicher. Aber auch sie hat Grenzen: Atemwegsreduktion und Amputation-Wünsche, die ihr Sklaven immer wieder offenbaren-verweigert sie.

Rudi mit Pornojäger Martin Humer auf einer Pornomesse.

Drei-bis viermal pro Woche gingen Claudia und Rudi in ihren besten Zeiten auf einschlägige Feste, um Kontakte zu pflegen. "Wir wollten wie die Spira eine gewisse Szene festhalten",so Rudi, "nur wollten wir die Leute nicht so verheizen wie sie. "Spiras Impetus war ein zorniger, von der Erfahrung von Flucht und Antisemitismus getriebener. "Edition Privat" lebte eher von der Neugier auf Randständiges.

Ab und zu spazierte Rudi in der Uniform seiner Fluggesellschaft eine Runde am Flughafen und erfreute sich daran, seine Filme in dortigen Shops als Souvenirs für Erwachsene zu finden. "Eigentlich hätten wir von der Stadt Wien eine Förderung bekommen müssen, denn Wien wurde immer prominent gezeigt", sagt er: "Aber ich hab das wegen meiner Arbeit am Flughafen geheim halten müssen, sonst hätte es Ärger geben können."

Einmal allerdings kam ein Arbeitskollege zu einem Filmcasting-ohne zu wissen, vor wessen Kamera er sich da vergnügen sollte. "Dem ist schlecht geworden, wie er mich gesehen hat", lacht Rudi, "und er ist gesenkten Hauptes wieder abgezogen"-angezogen, versteht sich. In Drehpausen wurde geraucht, getrunken, Schach gespielt, nach den Drehs wurde gefeiert. "Manchmal ist es auch erst danach so richtig eskaliert", erinnert sich Rudi an ein Stelzenessen nach Drehschluss, bei dem ein Gastgarten kurzerhand zum Spielplatz für Erwachsene wurde. Dem Wirt gefiel es.

Gerade erschienen: Clemens Marschalls Foto-Textband "EDITION PRIVAT-Claudias und Rudis Wien intim" im Verlag TEXT / RAHMEN.

Die Betreiber der "Edition Privat" filmten ihr schräges Kaleidoskop nicht nur ab, sondern lebten es auch aus. Claudia und Rudi hielten sich jahrelang einen nichtsexuellen Sklaven, genannt "Hausschweindl".Das "Hausschweindl" war 24 Stunden am Tag verfügbar, ließ sich bestrafen, quälen und mannigfaltig einteilen. Schlafen durfte er auf einer leeren Luftmatratze, auf der Chips ausgestreut waren. Waren Claudia und Rudi in einem Lokal, benutzten sie ihn stundenlang als menschlichen Kleiderständer oder sie schossen Gummibälle durch die Gaststube, die er apportieren musste. Aber auch sinnvolle Aufgaben erledigte das "Hausschweindl" gewissenhaft, putzte etwa die Fenster oder baute über Nacht Gartengarnituren zusammen. Kamen Claudia und Rudi von einer Reise zurück, hatte er sie mit einem Riesentransparent vom Flughafen abzuholen, auf dem stand: "Hurra, hurra, sie sind wieder da." Danach durfte er sich als Kofferträger betätigen. "Wenn mich da ein Arbeitskollege gesehen hätte, wäre ich in Erklärungsnotstand geraten", sagt Rudi: "Das alles klingt vielleicht brutal, aber der wollte das so", meint Claudia: "Bei einer Domina legt er Länge mal Breite pro Stunde hin und kriegt nicht einmal das, was er will." Nämlich 24 Stunden am Tag als Sklave zu leben. "Das war unser längstdienender Sklave", sagt Claudia: "Wir hatten ihn 13 Jahre lang."

"Die Ruhe vor dem Sturm" 

Die Spielchen liefen freilich abseits der Kamera-die "Edition Privat" wurde parallel betrieben: unter anderem auch mit Haymon Maria Buttinger, der für Claus Peymann am Burgtheater spielte, aber für eine "Brunzorgie" und Gruppensex seine private Wohnung öffnete. Zum Cast gehörten außerdem Charaktere wie Analisa (O-Ton Claudia: "Ein analer Einstein!"),der Reptilienflüsterer (kein Kommentar) und verschiedenste Politiker. "Sind wir froh, wenn sich Politiker so ausleben", sagt Rudi trocken, "sonst würden sie uns noch mehr ficken."

Mit Ohrfeigen von Claudia haben schon einige Personen der besseren Gesellschaft Bekanntschaft gemacht; "aber keine Namen, keine Titel", fügt sie hinzu. Einen bekannten Polizisten bestellte sie einmal in ihren Garten nach Hause, um dem Freund und Helfer dort in seiner Uniform eine "Golden Shower" zu verpassen. Mancher Darsteller ist aber auch ganz ohne das Zutun von "Edition Privat" an die Öffentlichkeit geraten: so etwa Géza Molnár (nicht zu verwechseln mit seinem gleichnamigen Sohn, der 2021 wegen "parteischädigenden Verhaltens" aus der FPÖ Burgenland ausgeschlossen wurde),der einstige Militärpfarrer des Burgenlands und Rhetoriktrainer des späteren Präsidentschaftskandidaten Norbert Hofer. Die nackten Tatsachen, die aus dem ÖKM ans profil gelangten, führten 2002 zum Rücktritt.

Für die "Edition Privat" konnte der Höhepunkt nicht ewig anhalten: Der Vorhang fiel 2010, nachdem die Filme auf YouPorn& Co gelandet waren. "Die ganze Welt wixt drauf, und ich hab nix davon",ärgert sich Rudi. Außerdem ging den Betreibern die zunehmende Brutalisierung im Pornogenre zu weit. "Nicht, dass ich vom Saulus zum Paulus geworden bin", sagt Rudi, "aber plötzlich kamen Anfragen, dass wir 'Rape Porn' machen sollten-das ist doch krank!"

Wien ist nach wie vor versaut, aber in Bereichen, in denen Claudia und Rudi sich nicht mehr wohlfühlen. In Kanälen, auf die auch Kinder Zugriff haben, in denen es keine Regeln mehr gibt. Denn auch wenn das Universum der "Edition Privat" absonderlich wirken mag: Im Vergleich zu vielem, was heute passiert, war das doch ein harmloses Vergnügen. Pornos schauten sich Claudia und Rudi schon vor "Edition Privat" nicht an, fanden sie viel eher desillusionierend. Früher gingen sie aus eigenen Bedürfnissen in Swingerclubs, doch: "Wenn du einmal mit der Kameraleuchte die Ecken inspiziert hast",sagt Rudi, "willst du dort nicht mehr hin." Was nicht heißt, dass Claudia und Rudi keine Gangbangs mit Freunden mehr organisieren: aber nur zum Spaß, nicht aus pekuniären Gründen. Die Kamera liegt seit 2010 im Keller, und Analisa und der Reptilienflüsterer müssen draußen bleiben.

Clemens Marschall arbeitet als freier Journalist u. a. für "Wiener Zeitung", "Die Zeit" und Ö1 und gibt im Eigenverlag das Underground-Magazin "Rokko's Adventures" heraus. Als Autor berichtete er etwa auch aus dem Milieu der Wiener Absturzbeisln und Tschocherln("Golden Days Before They End").