Fußball

Machtkampf beim SK Rapid: Um Gottes willen

Der populärste Fußballklub des Landes, Rapid Wien, steht nach einer Fan-Revolte monatelang ohne Führung da. Im Hintergrund tobt ein Machtkampf um den Verein. Die Protagonisten: vermögende Männer, mächtige Fans-und ein Fußballgott.

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Ich bin der festen Überzeugung, dass niemand gegen uns die Hand erhoben hätte", glaubt ein Rapid-Funktionär, der damals live dabei war. Ohrfeigen setzte es an jenem geschichtsträchtigen 25. August 2022 tatsächlich nicht-trotzdem wurde der traditionsreiche SK Rapid Wien an diesem Tag in seinen Grundfesten erschüttert: Vermummte Fans stürmten die VIP-Loge. Präsidiumsmitglieder lieferten sich mit Anhängern Schreiduelle. Die Prinzessin von Liechtenstein musste von einer Polizeieskorte aus dem Stadion gebracht werden. Schuld an dem Bahö war eine knappe Niederlage: Rapid, zweifacher Europacupfinalist, österreichischer Rekordmeister (und außerdem ein 45-Millionen-Euro-Unternehmen),war im Playoff zur Europa Conference League dem Liechtensteiner Amateur-Club FC Vaduz (aktuell Vorletzter in der zweiten Schweizer Liga) zu Hause mit 0:1 unterlegen. Der Goldtorschütze Tunahan Cicek liefert im Nebenjob Eier für eine Geflügelfarm aus-das Europacup-Aus durch einen Eiermann war zu viel für die geschundene Fanseele.

Teile der Rapid-Führungsetage flüchteten laut profil-Informationen aus der VIP-Loge in die Geschäftsstelle-doch auch dort waren Fans über die Parkgarage eingedrungen, um das Präsidium zur Rede zu stellen. Am Tag danach trat Präsident Martin Bruckner zurück, zwei Tage später Geschäftsführer Christoph Peschek. Es habe "viele Anfeindungen" gegeben, betonte Rapid-Oberhaupt Bruckner. Und: Rapid sei so "nicht führbar".

Seit dem Putsch muss der populärste Klub des Landes ohne Führung auskommen-ein neuer Präsident soll Ende November gewählt werden. Dabei bräuchte es dringend handlungsfähiges Personal: Erst kürzlich unterlag man dem Wolfsberger AC zu Hause 1:3, in der Liga rangiert Rapid auf dem achten Tabellenplatz. Im Verein stehen derzeit aber die Machtspiele im Zentrum. Brisantes Detail: Als Revolutionsführer agiert seit dem Putsch einer, der in Hütteldorf hohes Ansehen genießt-der grün-weiße Fußballgott Steffen Hofmann. Um ihn scharen sich einflussreiche Männer und mächtige Fans. profil hat in den letzten Wochen mit Präsidiumsmitgliedern, Funktionären, Präsidentschaftsanwärtern und Fanvertretern gesprochen-und zeichnet das Stimmungsbild eines Fußballvereins, in dem es um alles Mögliche geht, nur nicht um Fußball.

Rapid schafft es schon länger nicht, guten Fußball zu spielen-trotz guter wirtschaftlicher Kennzahlen: 45 Millionen Euro Umsatz, zweithöchstes Sportbudget der Liga, modernes Stadion, neues Trainingszentrum, ausverkaufte VIP-Logen. Doch das Geld wurde in falsches Personal gesteckt. Vor einigen Jahren versuchte Rapid eine Internationalisierung: Männer aus Deutschland (Andreas Müller) und der Schweiz (Fredy Bickel) wurden zu Sportdirektoren-doch entwickeln konnten sie in Wien wenig. "Müller hat das Arbeiten nicht erfunden, und Bickel hatte wenig Ahnung von Fußball", resümiert ein langjähriger Funktionär. Aber auch die Rapid-Funktionäre strotzten nicht vor Fachkompetenz: So hatte der bis 2019 amtierende Präsident Michael Krammer von seinem Trainer-Wunschkandidaten Damir Canadi eigentlich eine offensive Spielweise erwartet. Doch dieser rührte Abwehrbeton an. "Wir haben es nicht zusammengebracht, ein Konzept für den Sportbereich zu entwickeln", hält ein Entscheidungsträger fest. In der Not wurde auf Familienmitglieder gesetzt. Die ehemaligen Rapid-Spieler Zoran Barišić, Didi Kühbauer und Ferdinand Feldhofer sollten als Trainer in erster Linie wütende Fangruppen besänftigen.

Denn die Fans haben bei Rapid viel Macht. "Fanvertreter waren jede Woche in Hütteldorf und haben mitgesprochen", verriet Ex-Sportdirektor Bickel dem TV-Sender Sky. "Krammer und Peschek liegen mit den Ultras im Bett", präzisierte Ex-Sportchef Müller. Fans werden von der Rapid-Führung traditionell gestreichelt, weil sie für Stimmung im Stadion sorgen-aber auch aus einem bedeutenderen Grund. Die Profiabteilung des SK Rapid Wien wurde 2016 in eine Kapitalgesellschaft ausgelagert. Eigentümer der SK Rapid GmbH ist der Verein-und dieser gehört seinen 16.000 Mitgliedern; also Fans, die bereit sind, jährlich 100 Euro zu berappen. Eine Mitgliedschaft hat aber nicht bloß symbolischen Charakter: Wer drei Jahre einzahlt, erhält ein Stimmrecht. Bei Mitglieder-Hauptversammlungen können Fans Anträge einbringen, Statuten ändern-und: Rapid-Präsidenten wählen.

Ein weiteres Machtvehikel erhielt der Anhang vor knapp zehn Jahren: Das sechsköpfige Wahlkomitee, das über die Zulassung von Präsidentschaftskandidaten entscheidet, wurde zur Hälfte mit Fanvertretern besetzt. Seitdem kann niemand ohne Zustimmung des mächtigen Anhangs zur Wahl zugelassen werden.

Das hat Auswirkungen auf die Vereinspolitik: Einflussreiche Fangruppen werden von Klubvertretern hofiert, zu Gesprächen empfangen. Ihre Wünsche werden gehört. "Es gibt ein Gewaltmonopol in der Kurve", erklärt ein hoher Vereinsfunktionär gegenüber profil: "Natürlich überlegt man bei gewissen Entscheidungen, wie diese dort ankommen. Aber auch bei McDonald's wird überlegt, ob das neue Produkt den Kunden schmeckt."

Die direkte Demokratie ist dem Verein allerdings entglitten: Seit der Präsidentenwahl 2019 belauern sich zwei verfeindete Lager. 53 Prozent wählten damals den konservativen Bruckner, 47 Prozent den Selfmade-Millionär Roland Schmid. Rapid-Fans vertreten unterschiedlichste Ansichten-es gibt Traditionalisten und Revoluzzer, Intellektuelle und Raufbolde. Viele im Umfeld von Rapid meinen, der damalige Wahlkampf habe den Verein zerrissen. Intrigen und Machtkämpfe dominierten. Rapid war ein Pulverfass, das nach der Vaduz-Pleite explodierte.

Ein gut informierter Fanvertreter berichtet profil, dass einflussreiche Fanclubs dem Präsidenten damit drohten, ihn nicht mehr zu wählen, sollte er nicht freiwillig abtreten. Kurz darauf erfolgte Bruckners Rückzug, obwohl er (weil kein Gegenkandidat im Rennen war) als sicherer Sieger festgestanden wäre.

Als Oppositionsführer agiert seitdem der grün-weiße Fußballgott Steffen Hofmann. Schon "vor langer Zeit" sei er "von vielen Leuten aus dem Rapid-Umfeld" gefragt worden, "ob ich bereit wäre anzutreten", erzählte er dem "Kurier". Dabei galt Hofmann bislang als Zögling der amtierenden Führungsetage, die ihn als Ikone vermarktete und zur Besänftigung aufgebrachter Fans einsetzte. Hofmanns Gesicht steht für eine erfolgreiche Rapid-Epoche. 2005 und 2008 stemmte er die letzten Meisterteller des Vereins in die Höhe. Der Deutsche war wie für Rapid geschnitzt: ein Ballzauberer und Kämpfer zugleich. Und fast noch wichtiger: dem Verein ein Fußballerleben lang treu. In Fankreisen wird dem 42-Jährigen grün-weißes Herzblut attestiert.

Der Werdegang des Fußballgottes steht für eine klassische grün-weiße Karriere. Ein Anschlussvertrag verpflichtete Rapid dazu, Hofmann direkt vom grünen Rasen in eine Management-Position zu hieven. "Wir haben einen Posten nach dem anderen für ihn erfunden", erzählt ein Funktionär profil. Erst wurde Hofmann zum Talente-Manager, dann zum Sportkoordinator. Seine neueste Rolle bastelte Hofmann selbst. Er wolle "negative Energie" beseitigen, den Verein "vereinen"-und wie es sich für einen Fußballgott gehört: erlösen. Im Klub gibt es zwei Lager: Einige sehen Hofmann als messianische Erlöserfigur. Andere können nur einen alternden Ex-Kicker erkennen, der "beinhart bei Gehaltsverhandlungen ist", aber "nicht einmal eine Excel-Tabelle öffnen" könne. Weil die Präsidentschaft bei Rapid ein Ehrenamt ist und Hofmann "ja auch Geld verdienen will", soll Ex-ORF-Boss Alexander Wrabetz die Führungsposition ausfüllen-und Hofmann in einer anderen, bezahlten Rolle aufgewertet werden.

Tojner verkörpert, was man bei Rapid fürchtet: eine Kommerzialisierung des Vereins.

Hinter Hofmanns Liste soll der Milliardär Michael Tojner stecken-ein langjähriger Rapid-Fan und-Förderer. Für das neue Trainingszentrum macht der Mehrheitseigentümer des Batteriekonzerns Varta laut profil-Informationen rund 400.000 Euro jährlich locker-zehn Jahre lang. Die Hälfte davon, so wird im Verein erzählt, hole sich Tojner durch die Untervermietung der "schönsten Doppelloge im Stadion" zurück. Tojner gilt als "Spieler", der nicht nur Punkte, sondern auch Rendite im Auge hat. Einst habe er Rapid angeboten, die Ablöse eines Spielers zu übernehmen, dafür aber eine Weiterverkaufsbeteiligung verlangt. Und: Den Spielertunnel aufs Feld hätte er gerne in Form einer Riesenbatterie gestaltet gesehen. Tojner verkörpert, was man bei Rapid fürchtet: eine Kommerzialisierung des Vereins. So soll der 56-Jährige auch ein Befürworter von Investorenbeteiligungen sein-für die Fans bisher ein völliges No-Go.

Noch agiert Tojner im Hintergrund. Zuletzt war der Unternehmer immer wieder in Rechtsstreitigkeiten verwickelt. Im November steht er in der Causa Heumarkt vor Gericht, ihm wird Bestechung vorgeworfen, es gilt die Unschuldsvermutung. Lange dachte man bei Rapid, der schillernde, aber auch unberechenbar wirkende Mann könnte dem Klub nicht nur helfen, sondern auch schaden. Doch die beim Anhang beliebte Galionsfigur Hofmann verändert die Situation: Ein großer Teil der puristischen Hardcore-Fangruppen soll nun hinter der Liste stehen.

Das Wahlkomitee hätte gerne nur einen Kandidaten antreten gesehen-um eine Schlammschlacht zu vermeiden. Doch mittlerweile mischen sogar vier Listen mit. Eine Gegenkandidatur bereitet der Bauunternehmer Stefan Singer vor, der aktuell im Präsidium sitzt. Singer hat einen guten Draht zur Fanszene, weil er selbst vor allem eines ist: leidenschaftlicher Rapid-Fan. Hinter seiner Kandidatur soll Ex-Rapid-Präsident Michael Krammer stecken-auch wenn er das dementiert. Im Umfeld des Vereins wird ein Motiv vermutet: Bisherige Entscheider wollen zurück an die Macht.

Auch der Medienmanager Markus Posset, aktuell Honorarkonsul der Republik Albanien, hat eine Bewerbung abgegeben. Posset, einst in Führungsposition beim SPÖ-nahen Echo-Medienhaus, pflegt intensive Kontakte in alle Richtungen-auch zu albanischen Fußballspielern, die er gerne zu Rapid lotsen würde. Laut profil-Informationen soll Posset virtuelle "Präsidententage" planen, bei denen Fans ihre Anliegen platzieren können, und transparente Hearings bei der Personalfindung forcieren.

Für die kommende Woche hat das Wahlkomitee die Kandidaten zu Konzeptpräsentationen geladen. Die sportliche Misere muss derweil warten: Trainer Feldhofer wirkt ratlos, die zusammengekaufte Mannschaft und das Spielkonzept scheinen nicht kompatibel. Zuletzt wurde aus purer Verzweiflung das Spiel gegen den TSV Hartberg verschoben, um gegen den FC Vaduz ausgeruht zu sein. "Im Staff von Rapid gibt es Personen, die nur das Negative sehen", verriet Ex-Präsident Krammer. Ein Co-Trainer habe ihm einmal vorgerechnet, dass ein kraftraubender Tanz auf europäischer Bühne viele Punkte in der Meisterschaft koste. "Eine vorgreifende Entschuldigung" hätte das sein sollen, ärgerte sich Krammer. Dazu gibt es vereinsintern Kritik an der Scouting-Abteilung: Während Sturm Graz zuletzt den 19-jährigen Dänen Rasmus Höjlund (Kaufbetrag: 1,7 Millionen) um 17 Millionen Euro verkaufte, landet Rapid laufend Transfer-Flops. Der Japaner Kitagawa, der Senegalese Badji und der Serbe Pavlović kosteten jeweils 1,5 Millionen Euro-"alles für die Fisch", sagt ein Funktionär.

Durch das Vakuum im Verein wird sich bis Ende November nichts Wesentliches ändern. Und auch unter neuer Führung bleibt der SK Rapid ein schwerfälliges Konstrukt. Es gibt ein Präsidium, zwei Geschäftsführer, ein 60-köpfiges Kuratorium, einen Legendenclub, mächtige Fanclubs-und viele Verärgerte im Hintergrund, die je nach Wahlausgang ihre Intrigen spinnen. "Ich kann nicht in 100.000 Gremien irgendwas machen", erklärte Präsident Bruckner zuletzt. Man sei im Wettbewerb mit Red Bull Salzburg und dem LASK-"aber dort sind die Entscheidungswege viel kürzer."

Ob kurze oder lange Entscheidungswege-sehr viel richtig wurde bei Rapid schon lange nichts mehr gemacht. Laut profil-Informationen wollte die scheidende Rapid-Führung Fußballgott Hofmann trotz interner Bedenken zum Nachfolger von Sportdirektor Barišić aufbauen und den Ex-Rapid-Kicker Stefan Kulovits, derzeit Trainer von Rapid II, trotz geringer Siegquote zum Chefcoach der Kampfmannschaft. "Wir wollten Zoki, Steffen und Co. in den nächsten Jahren durch Schulungen fördern, damit sie Organisationsprozesse mehr annehmen", verrät ein Rapid-Funktionär. "Der Plan war, eigene Mitarbeiter zu entwickeln." Sprich: Das Salzburger Modell der weitsichtigen Aufbauarbeit hätte kopiert werden sollen-bloß mit mehr Familiensinn.

Familiensinn herrscht auch beim Wahlkomitee, das den Kandidaten einen Maulkorb verpasst hat. Die liebe Rapid-Familie soll nicht durch eine Schlammschlacht Schaden nehmen. Die Liste von Familienoberhaupt Hofmann geht als Favorit ins Rennen. "Da geht es gar nicht darum, was der Steffen tatsächlich leisten kann", hält ein Hofmann-Befürworter im Verein fest, "man muss ihn einfach als Symbolfigur sehen."