Nach diesem BBC-Supergau werde Andrew, so Tina Brown damals, „noch mehr reiten müssen, damit wenigstens sein Pferd mit ihm spricht“. Des Herzogs geforderte PR-Crew dachte damals wahrscheinlich, dass es nicht mehr schlimmer laufen könne. Aber sie irrte sich. So nackt wie seit dem Erscheinen von „Entitled“ (Unterzeile: Aufstieg und Fall des Hauses York) stand der Prinz noch nie in der Öffentlichkeit. Der Titel zielt auch auf Andrews herkunftsbedingte Arroganz. Laut seinem Biografen Lownie gab es nur ein königliches Familienmitglied, das Personal ähnlich menschenverachtend behandelte: die Schwester der Queen, Prinzessin Margret. „Sie verdammter Idiot“ oder „Welcher Volltrottel hat das Fleisch so geschnitten?“ gehörten zum verbalen Standardumgang in der sogenannten Royal Lodge, Andrews 30-Zimmer-Hauptwohnsitz in Wurfweite von Schloss Windsor. Mitarbeiter, die die korrekte Anrede verfehlten („Wie heißt meine Mutter genau, Sie Kretin!“), Nylonkrawatten oder Leberflecken im Gesicht trugen, wurden gefeuert.
Sündenpfuhl St. Jeff’s Island
Aber noch erschütternder als sein Benehmen sind Andrews verschummelte oder verschwiegene Epstein-Verwicklungen. Lownie demaskiert auf 450 Seiten akribisch die Lügen im Zusammenhang mit dem pädophilen Finanzjongleur, der sich 2019 in einem New Yorker Gefängnis das Leben nahm und der im Zuge der aktuellen Debatten um die Öffnung der Epstein-Files posthum zu einem heiklen Politikum in der Trump-Administration wurde. Verschwörungstheoretiker sprechen bis heute von Fremdeinwirkung.
Schon die Behauptung, dass der Prinz Epstein erst 1999 kennengelernt hätte, entspricht nicht der Wahrheit. Denn schon in jenem Jahr reiste Andrew auf „St. Jeffs Island, einem echten Sündenpfuhl, kein Zweifel darüber, fragen Sie nur Prinz Andrew“, so Donald Trump 2015 zu einem „Bloomberg“-Reporter. Der Rahmen und die Anlässe der gemeinsamen Begegnungen zeugen von einer intimen, langjährig gewachsenen Freundschaft, denn Maxwell und Epstein wurden ab 1999 dokumentiert direkt in das Allerheiligste der britischen Königsfamilie vorgelassen: Urlaub im königlichen Sommersitz Balmoral, Teilnahme an einer Party zu Andrews 40er auf Schloss Windsor in Anwesenheit der Queen. Andrew selbst schmiss zu Ehren von Ghislaine Maxwell 2000 eine Überraschungsgeburtstagsparty auf Schloss Sandringham. Andrew war, so Lownie, auch ein regelmäßiger Gast in Epsteins Manhattaner Stadthaus, auf dessen karibischer Insel und in Donald Trumps Luxusclub Mar-a-Lago, wo die junge Virginia Roberts ursprünglich als Masseuse arbeitete. Selbst als bereits ein Haftbefehl gegen ihn vorlag, durfte Epstein auf Schloss Windsor 2006 die Party zum 18. Geburtstag von Andrews Tochter Beatrice besuchen. Epstein wollte Verbindungen, Kontakte (und mutmaßlich Erpressungsmaterial), Andrew junge Frauen aus dem Arsenal von Epsteins „Lolita Express“ – und Glamour.
Hybris und Gier
„Andrew war für Epstein leichte Beute, so als ob man eine Maus in ein Terrarium mit einer Klapperschlange lässt“, schreibt Lownie. Er zeichnet in seiner fast 450 Seiten starken Enthüllung ein desaströses Persönlichkeitsbild des ehemaligen Navy-Piloten Andrew, dessen Charakter er vor allem als „vulgär und skrupellos“ bezeichnet: „Einst gesegnet mit einem Robert-Redford-ähnlichen Aussehen und allen nur vorstellbaren Privilegien, ist Andrews Leben eine Geschichte, die von Hybris, Gier, Extravaganz, Kindheitstraumen und grenzenloser Arroganz zeugt.“
Vier Jahre lang interviewte Andrew Lownie rund 300 Menschen aus dem Umfeld jenes Mannes, den Jeffrey Epstein, der Weihnachtsmann aller Jetset-Pädophilen, als „perverser, als ich es selbst bin“ bezeichnete. Die restlichen 2700 Anfragen an Interviewpartner blieben unbeantwortet. Lownie ist kein Fleetstreet-Bluthund, der mit dubiosen Murdoch-Methoden an seinen Stoff kam, sondern ein angesehener Historiker und Journalist, der der drohenden Klagsflut gelassen entgegensieht. Ob Prinz Harry seinem Onkel Andrew tatsächlich die Nase blutig geschlagen hat, als dieser seine Braut Meghan als „Opportunistin“ bezeichnet hatte, fällt im Vergleich zu den anderen Enthüllungen über „Randy Andy“ (geiler Andy), wie das dritte Kind der Queen im schottischen Internat schon in Teenagertagen genannt wurde, unter Marginalie. Dass die königliche Familie ein buntes Repertoire an Dysfunktionalitäten aufzuwarten hat, ist nichts Neues. Aber Andrew erweist sich dabei als Spitzenreiter.
Seine erste sexuelle Erfahrung soll er schon im Alter von elf Jahren gemacht haben, mit 13 prahlte er damit, schon mit mehreren Mädchen Sex gehabt zu haben. Dem Frühstart steht eine gewisse Entwicklungsverzögerung im Erwachsenenalter gegenüber: Angeblich muss das Personal bis heute die Teddybärensammlung des Prinzen auf dessen Bett drapieren; die britischen A-Levels, was in etwa unserem Maturaniveau entspricht, waren nur mit Mühe zu bewältigen. Zwar nannte ihn seine Ex-Frau Sarah Ferguson, mit der er bis heute in der „Royal Lodge“ auf 1943 Hektar residiert, „einen intellektuellen Zombie“, aber was IQ-Strahlkraft und Verschwendungssucht betrifft, begegneten sich die Eltern der um unaufgeregte Artigkeit bemühten Prinzessinnen Beatrice und Eugenie durchaus auf Augenhöhe.
Die Anzahl seiner Affären und sexuellen Übergriffe auf Masseurinnen, Stylistinnen, Models oder auch das Hauspersonal erregten innerhalb der Windsors schon lange vor den Missbrauchsvorwürfen berechtigte Besorgnis: Prinz William nannte seinen Onkel „einen Narren“, Harry, selbst keine Leuchte, bezeichnete ihn als „Seine königliche Doofheit“, König Charles analysierte seinen Bruder als „eine kleine Bombe, die jederzeit detonieren kann“.
„Er baggert dich so subtil wie eine Handgranate an“, berichtet eine Masseurin in „Entitled“. Ihre Kollegin Emma Gruenbaum erzählt dort von Hausbesuchen, „wo er über Analsex faselte und darüber auch Witze machte. Eine Sexpest von Anfang an.“
Aktuell sitzt der abgeräumte Prinz noch in seiner „Royal Lodge“, einsam und isoliert. Er sieht sich Flugshows und „Terminator“-Filme an, geht ab und zu Golf spielen und starrt auf die Risse in der Wand, denn der königliche Geldzufluss für Renovierungsarbeiten ist inzwischen versiegt. Möglicherweise hat Epstein selbst 2007 dem Politanalysten Mark Halperin die beste Beschreibung des tragischen Prinzen gegeben: „Er hat eine doppelbödige Persönlichkeit: Er ist der supercharmante Prinz, die andere Seite zeigt jedoch die schmutzigste Psyche, die man sich nur vorstellen kann. Das quält ihn, er tut mir tatsächlich leid.“