Trolle: Die Hass-Animateure

Mithilfe der sozialen Medien wollen sie die Gesellschaft spalten: Während früher einzelne Provokateure Unruhe stifteten, ist die politische Meinungsmache durch Trolle im Internet mittlerweile professionell bis militärisch organisiert.

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Wien Floridsdorf. Zwei Menschen, die in derselben Stadt in derselben Gegend wohnen und doch ein völlig konträres Bild von ihrer Umgebung haben. Der eine ist die Journalistin Corinna Milborn, der andere ist ein Mann, der ihr via Facebook-Nachricht Vergewaltigung und den Tod wünscht. Warum? Weil er der Meinung ist, die Medien würden über die Vergewaltigung einer Frau in seinem Bezirk durch einen Nigerianer absichtlich schweigen.

Was Milborn in ihrem Buch "Change The Game" wiedergibt, ist ein gutes Beispiel dafür, wie spaltend die sozialen Medien wirken können. Was ist die Wahrheit? Wer von uns liegt falsch? Verfolgt man die politische Diskussion auf Facebook, ist man sich oft selbst nicht mehr so sicher. Milborn hakt nach, recherchiert. Sie findet nichts zu der angeblichen Vergewaltigung in ihrer Gegend. Milborn besucht Thomas S., den Mann, von dem sie die Drohung erhalten hat und taucht in seine Facebook-Blase ein. Sein Feed ist über und über mit rechten und rechtsextremen Inhalten gefüllt. Der Facebook-Algorithmus hat erkannt, dass er solche Dinge häufig liest, darauf reagiert und spielt ihm immer mehr ähnliche Nachrichten aus.

Auch von einer gewissen Isabella Huber, die die Nachricht über die Vergewaltigung gepostet hat. Thomas S. vertraut ihr. Doch nachdem Milborn ihr Profilbild in eine umgekehrte Bildersuche eingibt, landet sie auf mehreren Seiten, die das Bild verwenden. Es ist ein Fake-Account. Als Milborn Thomas S. eineinhalb Jahre später kontaktiert, ist er längst von Facebook abgemeldet. Als er zunehmend begann, Nachrichten in seinem Feed zu hinterfragen, gab es vermehrt auch virtuelle Angriffe gegen seine Person. Die Attacken hielt er nicht mehr aus.

Trolle nennt man Menschen wie Thomas S. und jene, die ihn später selbst angegriffen haben. Aber auch hinter dem gefälschten Account von Isabella Huber steckt ein Troll. Der Begriff umfasst viele Phänomene. Während als Trolle früher eher provokative und beleidigende Internet-Nutzer verstanden wurden, fallen mittlerweile auch jene darunter, die die Debatte im Internet gezielt und organisiert beeinflussen wollen. Richtig "geflügelt" wurde das Wort im Zuge des Präsidentschaftswahlkampfes in den USA 2016. Russische Trolle sollen Donald Trump zum Sieg verholfen haben. Jedem vierten Wahlberechtigten, so eine Studie, wurden in den Wochen vor der Wahl Fake News angezeigt. Sowohl Facebook, Twitter, Tumblr und Reddit gaben zu, dass ihre Plattformen dafür von verschiedenen Akteuren, primär russischen Trollfarmen wie der "Internet Research Agency", missbraucht wurden.

Kampf um die Informationshoheit im Netz

Doch nicht nur der Kreml, viele politische Kräfte kämpfen um die Informationshoheit im Internet und bedienen sich dabei ähnlicher Mittel. Follower, Abonnenten, Likes und Views sind im Internet käuflich. Alleine dadurch kann man die Sichtbarkeit des eigenen Accounts und der eigenen Botschaften erhöhen, denn die Algorithmen der größten Social Media Plattformen belohnen Interaktion. Doch wer die öffentliche Meinung wirklich beeinflussen will, braucht steuerbare Fake-Accounts. Eine Person mit mehreren Fake-Accounts, die auch "Sockenpuppen" genannt werden, kann den Eindruck erwecken, dass viele Menschen dieselbe Meinung vertreten. Mittlerweile gibt es sogar Programme, mittels derer man seine verschiedenen Online-Identitäten managen kann. Ähnliches passiert laut Aussteigern auch in russischen Troll-Fabriken. 2014 berichtete das Online-Medium BuzzFeed über geleakte Dokumente, in denen die Handlungsanweisungen für die russischen Trolle ausgeführt wurden: Jeder Mitarbeiter solle mindestens sechs Facebook-Accounts aktiv sein und drei Mal pro Tag etwas posten. Auf dem Kurznachrichtendienst Twitter sollen sie 10 Accounts verwalten und 50 Mal pro Tag twittern. Dabei gilt es in erster Linie im Internet ein Bild der Welt zu schaffen, so wie es die russische Regierung gerne hätte. Doch es geht nicht nur darum, die öffentliche Meinung zugunsten Russlands zu beeinflussen. Es sollen generell spaltende Elemente in der Gesellschaft verstärkt und das Vertrauen in die etablierten und sozialen Medien untergraben werden.

Eine Untersuchung der Universität von Washington am Beispiel der BlackLivesMatter-Bewegung zeigte, dass Trolle der "Internet Research Agency" sowohl für und gegen die Bewegung Stimmung machten. Sie schnitten ihre Fake-Profile und ihre Beiträge genau auf die jeweilige Zielgruppe zu. Sie gerierten sich als authentische Angehörige der jeweiligen Bewegung, präsentierten sich als lokal verankert und vor allem als Alternative zu den "Mainstream-Medien". Ihr Ziel: Die beiden Gruppen zunehmend gegeneinander aufzuhetzen, auch mit Fake News, die die jeweiligen Accounts verbreiteten.

Facebook, Twitter, YouTube und andere soziale Medien greifen zögerlich ein. Politische Inhalte oder Akteure zu entfernen, könnte ihnen den Vorwurf der Zensur einbringen. Doch der Druck durch Politik und Medien wird immer größer. 10.000 Menschen arbeiten bei Facebook mittlerweile an der Sicherheit und gegen Desinformation. Die große Herausforderung der Zukunft wird sein, die Authentizität von Accounts festzustellen - also ob sich hinter einem Account tatsächlich die jeweilige Person verbirgt-, Account-Netzwerke zur Meinungsmache auszuschalten sowie Fake News zu enttarnen. Über eine Milliarde Fake-Accounts löschte Facebook von Oktober 2017 bis März 2018. Unter einigen Fake News-Beiträgen werden nun auch Korrekturen von Faktencheckern eingeblendet.

"Schönfärberei" meint Andre Wolf von den Faktencheckern "Mimikama". Er kämpft gemeinsam mit Tom Wannenmacher und ihrem Team gegen Online-Fakes. Sie untersuchen Links und Postings, die ihnen von Usern zugeschickt werden und enttarnen Falschmeldungen. Von Facebooks Bemühungen, gegen Fake News vorzugehen, halten sie nicht viel: "Facebook ignoriert das natürlich zu einem Großteil. So ein Hass-Bild zum Beispiel schürt ja auch Wahnsinns-Interaktionen und davon leben die", meint Andre Wolf. "Das Problem dabei ist auch, dass eine Richtigstellung nie so viele Menschen erreichen wird, wie der Fake. Und der Fake wird indessen immer weiter verteilt, solange er nicht gelöscht wird", so Wannenmacher. Das Ziel der Fakes: "Besonders etablierte Medien sollen so hingestellt werden, als ob sie falsch berichten, indem man ganz viel verschiedene Falschmeldungen bringt, so dass der User am Ende sagt: ‚Jetzt glaub ich gar nichts mehr.’"

Um russische Falschmeldungen zu enttarnen, gibt es mittlerweile sogar eine Einsatztruppe der EU. Für den Leiter der "East Stratcom Task Force", Giles Portman, ist klar nachweisbar, dass die Propaganda zentral gesteuert sei. Ziel der im März 2015 eingerichteten Task Force ist es vor allem in Osteuropa Falschinformationen über die EU entgegenzuwirken und unabhängige Medien zu stärken.

Rechtsextreme im "Infokrieg"

Im "Infokrieg" wähnen sich auch rechtsextreme Gruppen. Sie haben sich die Strategien der russischen Trolle abgeschaut und weiterentwickelt und befehligen ganze Troll-Armeen. In geschlossenen Gruppen verabreden sich täglich zu Online-Attacken auf politische Gegner, Medien und Institutionen. Bekanntes Beispiel ist die "Reconquista Germanica" (Übersetzt Rückeroberung Deutschlands), ursprünglich 2017 gegründet, mit dem Ziel, die AfD in den Bundestag zu bringen. Ihre Mitglieder treffen sich auf der Chat-App Discord, die eigentlich für die Kommunikation zwischen Gamern entwickelt wurde. Für die Doku "Lösch dich" tauchte ein Team um den deutschen YouTuber Rayk Anders und den Journalisten Patrick Stegemann verdeckt in die Trollnetzwerke ein. Sie fanden sich in fast militärisch organisierten Abläufen wieder – mit Generälen, Offizieren und täglichen Befehlen. Das "Oberkommando" gibt den bis zu 5000 Menschen am Server Anweisungen, welche Inhalte mit negativen Kommentaren und Bewertungen geflutet werden sollen. Das Ziel: Die Stimmung auf Social Media Plattformen zu manipulieren, Gegner einzuschüchtern und nicht zuletzt, wie die Journalisten in einem Sprachchat mithörten: Das Alte zerstören, die EU und die Bundesrepublik Deutschland. Sie glauben, die Stimme der Mehrheit zu sein – diese "Mehrheit" schaffen sie mithilfe gefälschter Accounts.

Im Organigramm der Gruppe scheint auch die Identitäre Bewegung auf. Der Österreicher Martin Sellner, einer ihrer führenden Köpfe, äußert sich in der Doku: Der Infokrieg mache den Leuten auch "Spaß". Es sehe die Bewegung als "Wirbelsturm", der "immun geworden ist, gegen jedes moralische Dogma".

Viele machen sich Sorgen, dass dieser Wirbelsturm auch über die EU-Wahlen hinwegfegen könnte. Rechte Parteien wissen das Internet für sich zu nutzen. Jahrelang hat die FPÖ in den sozialen Medien dominiert. Auch heute ist sie noch ganz vorne dabei, was die Interaktionen angeht. Auch auf YouTube zählte die FPÖ im Vorfeld der Nationalratswahl zu den Parteien, deren Videos am meisten gesehen wurden. Ob die FPÖ online tatsächlich die beliebteste Partei ist, ob die Reichweiten vor allem gekauft sind oder gar Fakeprofile dahinterstecken, kann man nicht genau sagen. Die Wahlergebnisse zeigen jedenfalls: Die FPÖ ist offline nicht so stark, wie es online scheint.

Zerrspiegel soziale Medien

Die sozialen Medien sind ein Zerrspiegel der politischen Realität. Eine Minderheit dominiert die Debatte. Im Digitalreport 2018 zeigen die Digital-Expertin Ingrid Brodnig und ihr Team auf: Im Vorfeld der Nationalratswahl 2017 stammten 73 Prozent aller Kommentare auf den Seiten der Partien und ihrer Spitzenkandidaten von nur 20 Prozent der User, die mitdiskutierten. Die meisten Leute posten wenig und ganz wenige posten viel. Sich das bewusst zu machen, hilft, die Debatte besser einzuschätzen. Handelt es sich bei manchen Usern vielleicht um Fake-Profile? Stimmt die reißerische Nachricht, die man gerade gelesen hat, so wirklich?

Eine Gegenposition einzubringen und Richtigstellungen weiterzuverbreiten, kann helfen eine andere Perspektive aufzuzeigen. Denn kritische Stimmen zum Schweigen zu bringen sei ja das eigentliche Ziel der Trolle, so Extremismusforscherin Julia Ebner: "Man sollte sich in seinen Einstellungen und seinem Verhalten nicht beeinflussen lassen." Werden Einzelpersonen Opfer von Trollen, wirkt es ermutigend, sich auf ihre Seite zu stellen, so Claudia Schäfer, Geschäftsführerin des Vereins Zivilcourage und Anti-Rassismus-Arbeit (ZARA): "Wichtig ist es auch, nicht zu resignieren, und Hass und Hetze ständig zu thematisieren". Es kann also Sinn machen, aktiv zu werden und das alte "Internetgesetz" "Füttere nicht den Troll – Don’t feed the troll" über Bord zu werfen.

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