Fußballspielerin Vanessa Rauter inder leeren Tribüne im Allianz Stadion

Ungleicher Rasen: Warum Frauen-Fußball anstrengender ist

Das mediale Interesse an der Frauenfußball-EM ist größer als früher, doch noch immer wird den Spielerinnen vorgeworfen, langsamer und langweiliger zu sein als Männer. Dabei übersehen die Kritiker:innen die unterschiedlichen körperlichen Voraussetzungen.

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Die Tribüne des Allianz-Stadions in Wien-Hütteldorf ist ungewöhnlich leer – nur ein Platz ist besetzt. In ihrem Puma-Trikot sitzt die 26-Jährige Vanessa Rauter auf einem grünen Klappstuhl. Gleich beginnt ihr Krafttraining, es ist eine von vielen Vorbereitungen auf die anstehenden Spiele. Seit über einem Jahr spielt Rauter im Sturm der ersten Frauenmannschaft des SK Rapid – viel länger wäre es auch gar nicht möglich gewesen, schließlich gibt es das Rapid-Frauenteam erst seit Februar letzten Jahres. 

Frauenfußball hat einen sehr geringen Stellenwert und ist weniger präsent, auch medial. In den letzten Jahren hat sich viel verbessert, aber es gibt immer noch viel zu tun, um Frauen- und Männerfußball auf die gleiche Ebene zu bringen.

Vanessa Rauter

Stürmerin bei Rapid

Zwar hat in den letzten Jahren Frauenfußball an Popularität gewonnen: Die Preisgelder steigen von niedrigem Niveau, die Spiele der Europameisterschaft werden in Österreich im öffentlich-rechtlichen Fernsehen übertragen, auch ein Public Viewing der drei finalen Spiele gibt es in Wien. Doch davon merken Spielerinnen wie Rauter wenig. Sie ist Stürmerin beim Frauenteam von Rapid, das in der zweithöchsten Liga kickt. Die Hobbysportlerin, die hauptberuflich Lehrerin ist, sagt: „Frauenfußball hat einen sehr geringen Stellenwert und ist weniger präsent, auch medial. In den letzten Jahren hat sich viel verbessert, aber es gibt immer noch viel zu tun, um Frauen- und Männerfußball auf die gleiche Ebene zu bringen.” 

Die Kritik an Frauenfußball nimmt zwar ab, aus bleibt sie dennoch nicht: Nur wenige Wochen vor seinem Tod äußert sich der Extremsportler Felix Baumgartner in einem Facebook-Post, er bezieht sich auf ein Zitat der schweizerische Nationalspielerin Alisha Lehmann. „Einbildung ist auch eine Bildung”, schrieb Baumgartner, „natürlich machen Fußball-Spielerinnen nicht denselben Job wie ihre männlichen Kollegen”. Grund für Baumgartners Aufregung: Lehmann thematisiert in einem Interview die Gehaltslücke zwischen weiblichen und männlichen Fußballspieler:innen. Es wäre unfair – sie würden den gleichen Job machen und Männer würden tausendmal mehr verdienen, argumentiert die Schweizerin.

Nicht nur ökonomische Unterschiede

Anders als bei anderen Mannschaftssportarten gelten im Fußball dieselben Regelungen für beide Geschlechter: In Basketball, Handball, Volleyball und Eishockey gibt es Anpassungen wie einen leichteren Puck oder einen kleineren Ball. Das wirft eine Frage auf: Wie sehr beeinflussen körperliche Unterschiede zwischen den Geschlechtern den Spielverlauf – wenn gleiche Rahmenbedingungen gelten?

Als Frau ist einem sehr bewusst, dass man benachteiligt ist – körperlich, aber wir arbeiten genauso hart wie Männer und versuchen, das Beste zu geben, jedoch für weniger Geld.

Vanessa Rauter

Stürmerin bei Rapid

Mit einem Gedankenexperiment verdeutlichen norwegische Forscher:innen die Ergebnisse ihrer Forschung und beschreiben ein fiktives Fußballspiel – mit Spielern, die denselben körperlichen Vorteil gegenüber Männern haben, wie Männer statistisch über Frauen: Ein durchschnittlicher Fußballspieler misst knapp zwei Meter. Im Tor steht ein rund 2,15 Meter großer Mann, mit einer ebenso großen Spannweite seiner Arme. Die Männer sind zehn Kilogramm schwerer als die derzeitigen Profis, von dem Gewicht ist der Großteil Muskelmasse. Sie sind schneller im Sprint und ausdauernder im Zweikampf. Das Spielfeld ist größer als gewohnt, gespielt wird 113 Minuten statt den üblichen 90. Mit diesen Zahlen verdeutlichen die Wissenschaftler:innen ihre These: Ein Vergleich zwischen Frauen- und Männerfußball ist weder sinnvoll noch fair, zu sehr unterscheiden sich die körperlichen Grundvoraussetzungen. 

Eine ähnliche Auffassung teilt Vanessa Rauter: „Als Frau ist einem sehr bewusst, dass man benachteiligt ist – körperlich”, so die Stürmerin von Rapid, „aber wir arbeiten genauso hart wie Männer und versuchen, das Beste zu geben, jedoch für weniger Geld“.

Ein ungleicher Vergleich 

Für den Forscher Arve Vorland Pedersen erschien es schon vor Beginn der Forschung aus dem Jahr 2019 logisch, dass es aufgrund der unterschiedlichen Stärke, Größe und Geschwindigkeit einige Unterschiede im Spiel geben wird. Die Unterschiede im Spiel und vor allem in der Strategie sind dem Forscher schon länger bekannt, in seiner Freizeit trainiert der Norweger ein Mädchenteam.  Dort entwickelte Pedersen eine These, die er Jahre später in Zusammenarbeit mit Ragne Stalsberg und Ingvild Merete Aksdal, einer damaligen Bachelor-Studentin, überprüfte. Unter einem Sonnenschirm mit Stift und Papier begann der Professor seine ersten Berechnungen. 

Ausgehend von Unterschieden zwischen durchschnittlich weiblichen und männlichen Körper sowie deren Funktionen berechnete das Forschungs-Trio die Differenzen im Fußballsport –  von der Größe, Geschwindigkeit, Stärke, Schusskraft bis hin zur Fußgröße der Fußballspieler:innen. Trotz unterschiedlichen körperlicher Bedingungen spielen Frauen und Männer mit den gleichen Regeln, auf demselben Feld und Torwärter:innen verteidigen gleich große Tore. Folglich unterscheidet sich auch die Spielweise, argumentieren die Wissenschaftler:innen. Im Frauenfußball fallen mehr Tore durch Distanzschüsse, Schüsse auf das Tor sind häufig Ergebnis mannschaftlicher Kombination und es wird langsamer gespielt – eine Tatsache, die auf die Größe des Felds rückführbar ist. Frauen sind im Verhältnis zu ihrem Körper genauso gut wie Männer, erklärt Pedersen in einem Gespräch mit profil. 

Die Regeln des heutigen Fußballs wurden ursprünglich auf die männlichen Körper und dessen Funktionen angepasst, jedoch stammen die ursprünglichen Regelungen aus dem späten 19. Jahrhundert – die damalige männliche Durchschnittsgröße ähnelt jener einer Frau von heute. Doch während die europäische Bevölkerung größer wird, ähnelt die Tor- und Feldgröße den über zweihundert Jahre alten Maßen. Deshalb unterscheidet sich Frauenfußball ein wenig von Männerfußball, argumentiert Arve Vorland Pedersen. Wie einflussreich die Maße auf das Spiel sind, zeigt ein Experiment des SRF – Schweizer Radio und Fernsehen aus dem vergangenen Monat. Auf Basis der norwegischen Forschungsarbeit spielten männliche Jugendliche – konkret aus U17- und U19-Teams auf einem übergroßen Feld, mit einem schweren Ball und einem größeren Tor und auf längere Zeit. Die Skalierung basiert auf den Ergebnissen der Forschung, die neuen Regelungen spiegeln die Realität weiblicher Spieler:innen wider. Respekt an Frauenfußball, meinte einer der Jungs in einem Interview nach dem Spiel. Es fielen viele Tore, bei denen der Torwart nicht einmal in die Nähe des Balls kam und die Erschöpfung war den Fußballspielern deutlich anzusehen.

Neue Maße, neues Glück?

Eine Änderung der Regelungen scheint für niemanden ein Ziel zu sein. Zudem gelten die Regelwerke der FIFA und IFAP als weltweite Rahmenbedingung, eine Anpassung ist somit nur auf internationaler Ebene realistisch. Im österreichischen Fußball sieht man es pragmatisch: „Auch wenn die Thematik der physischen Unterschiede immer wieder diskutiert und aufgegriffen wird, sind Anpassungen derzeit kein intensiver Bestandteil sportpolitischer Reformbestrebungen. Vielmehr liegt der Fokus auf strukturellen und infrastrukturellen Maßnahmen zur Entwicklung, Förderung des Frauen- und Mädchenfußballs“, erklärt der Österreichische Fußballbund, kurz ÖFB, auf eine profil-Anfrage. Neue Maße für Frauenfußball seien nicht die Lösung, findet auch die Stürmerin Vanessa Rauter: „Wenn man Fußball vergleichen möchte, müsste man die Bedingungen anpassen, aber noch besser wäre es, wenn es nicht so viele Vergleiche gäbe. Ich würde nichts verändern, wir haben uns alle daran gewöhnt und wir spielen einfach.“ Anstatt Regelungen zu ändern, konzentriert sich der Fußballsport auf strukturelle Verbesserung, auch europaweit: So will die UEFA mit der Strategie „Unstoppable” Frauenfußball bis 2030 noch weiter vorantreiben. 

Hanna Kastner

Hanna Kastner

ist seit Juli 2025 Volontärin bei profil.