Kultur

20 Jahre Irak-Krieg: Pop im Widerstand

Vor genau 20 Jahren begann die US-geführte Invasion des Irak. Krieg und Besatzung waren international höchst umstritten. Sie prägten das kulturelle Leben beider Nationen. Von lautem Aufbegehren, Zensur und Hinrichtungen.

Drucken

Schriftgröße

____

Von Tyma Kraitt

____

"Wir schämen uns dafür, dass der Präsident der Vereinigten Staaten aus Texas kommt. "Dieser Satz wurde Sängerin Natalie Maines und ihrer Country-Band The Dixie Chicks einst zum Verhängnis. Die Kritik an US-Präsident George Walker Bush, der sich mitten in Kriegsvorbereitungen befand, setzte etwas in Gang, das wir heute "Cancel Culture" nennen. Im Jänner 2003 noch intonierten die Dixie Chicks die amerikanische Hymne im Rahmen des populären American-Football-Finales, des Super Bowl, Wochen später weigerten sich viele Radiostationen, die Songs der Band zu spielen, und Countryfans zerstörten öffentlich deren Platten. Im konservativen Country-Genre werden kritische Stimmen, vor allem weibliche, eben schnell tabuisiert. An dem Trio wurde ein Exempel statuiert. Damit hatte der Krieg bereits vor seinem offiziellen Beginn die amerikanische Popkultur erreicht.

Trotz der Kontroverse um die Dixie Chicks (seit 2020 heißt das Musikerinnenkollektiv nur noch The Chicks) wagte sich immer mehr Musikprominenz-von Green Day, System of a Down und Pink bis zu Tom Waits und Bruce Springsteen-an Irak-Themen. Rapper Eminem lieferte im Oktober 2004, am Zenit seiner Karriere, mit "Mosh" einen der explizitesten Protestsongs jener Zeit, in der er zur Revolte gegen das Weiße Haus aufrief. Mit Textzeilen wie "Kein Blut mehr für Öl/wir müssen unsere eigenen Schlachten auf unserem eigenen Boden schlagen" sprach er die sich über Parteigrenzen hinaus ausbreitende Kriegsmüdigkeit der Gesellschaft an. Eminem gelang damit auch eine Art politischer Vorgriff: Denn die Idee des Isolationismus, der Abkehr von einer aktiven Außenpolitik zugunsten der Bewältigung innenpolitischer Herausforderungen, ist in den USA mittlerweile äußerst beliebt; sie gehörte zu den Gründen für den Erfolg Donald Trumps.

Die zweite Supermacht

Die Frage nach der Legitimität des Irak-Feldzugs entzweite die US-Gesellschaft. Eine globale Anti-Kriegs-Bewegung entstand, die am 15. Februar 2003 zu Protesten gegen die drohende Invasion aufrief. An jenem Tag gingen Hunderttausende Amerikaner auf die Straße. Weltweit waren es Millionen. In der "New York Times" schrieb Chefkorrespondent Patrick E. Tyler angesichts der überwältigenden Menschenmassen, dass da zwei Supermächte gegeneinander anträten: die Vereinigten Staaten gegen die weltweite öffentliche Meinung. Rückblickend mag diese Front überzeichnet erscheinen, doch anhand dieser Demonstrationen zeigte sich erstmals das immense globale Potenzial des Internet; es konnte schnell kommunizieren, effizient vernetzen und politisch mobilisieren.

Unter den Bush-Kritikern auf der Straße fanden sich zahlreiche Stars wie die Schauspielerin Susan Sarandon oder ihr Kollege Martin Sheen, der in der Serie "The West Wing" gerade den fiktiven US-Präsidenten Josiah Bartlet darstellte. In der Unterhaltungsindustrie hielt man sich mit herber Kritik nicht mehr zurück. Der linke Filmemacher Michael Moore ließ es sich, als er 2003 einen Oscar für sein Werk "Bowling for Columbine" erhielt, nicht nehmen, George W. Bush in seiner Dankesrede zu attackieren: "Wir sind gegen den Krieg. Mr. Bush! Schämen Sie sich!"Als Reaktion erntete der Regisseur nicht nur Applaus; zahlreiche Buhrufe waren aus dem Publikum zu vernehmen, die den zögerlichen Umgang der US-Filmindustrie mit dem Irakkrieg verdeutlichten.

Die großflächige Aufarbeitung des Vietnamkrieges etwa setzte erst Jahre nach dem Abzug der amerikanischen Truppen ein, hinterließ aber-mit Kinoklassikern wie "Apocalypse Now" (1979), "Full Metal Jacket" (1987) oder "Platoon" (1986)-zweifellos monumentale Spuren in der Filmgeschichte. Hollywoodproduktionen, die sich mit den Ereignissen im Irak ab 2003 befassen, sind hingegen selten geblieben. Kathryn Bigelows sechsfach oscargekröntes Werk "The Hurt Locker" (2008) gehört zu diesen Ausnahmen, ist aber-auch durch die stereotype Darstellung der irakischen Figuren-weit davon entfernt, die Besatzungszeit mutig auszuleuchten.

Kultur im Korsett

Während die USA eine Politisierung von Popkultur erlebten, waren die Folgen des Krieges für die Kunst im Zweistromland verheerend. Die drastische Einschränkung künstlerischer Freiheiten hat dort Tradition. Während der Diktatur Saddam Husseins wurden unzählige Kunstschaffende aus Literatur, Theater und Musik inhaftiert, bisweilen auch-wie im Fall des Sängers Sabah al-Sahel-hingerichtet (man warf ihm Anfang der 1990er-Jahre üble Nachrede gegen den Präsidenten vor).

Dieses Korsett wurde mit dem Sturz Husseins geringfügig gelockert. Der Herrschaft des Schnauzbärtigen folgte jene der Vollbärtigen. Unter Aufsicht des US-Militärs gewannen ausgerechnet islamistische Parteien und deren Milizen an Einfluss. Grund dafür waren Fehlkalkulationen seitens der Bush-Administration. Mit der Entscheidung, den alten irakischen Sicherheitsapparat aufzulösen, wurden Tausende Männer über Nacht arbeitslos und schlossen sich dem bewaffneten Widerstand gegen die Besatzer an. Das Land schlitterte in eine schwere Krise, in der es zu einer Welle von Plünderungen des reichen kulturhistorischen Erbes kam: Allein aus dem Nationalmuseum wurden 15.000 Objekte gestohlen.

Um das Sicherheitsvakuum zu füllen, setzten die USA auf die Zusammenarbeit mit den Milizen. Viele dieser Gruppen waren unter Saddam Hussein verfolgt worden und ins Nachbarland Iran geflüchtet, das ihnen zur politischen und ideologischen Heimat wurde. Bis heute zeichnen sich bewaffnete Verbände wie die mächtigen Badr-Brigaden durch eiserne Loyalität zur Islamischen Republik Iran aus. Der Irak wurde zur Spielwiese der Extremisten. Zum wachsenden Einfluss radikaler religiöser Parteien und Paramilitärs gesellte sich Al Qaida (aus der später der "Islamische Staat" im Irak hervorgehen sollte):ein toxischer Mix, der das kulturelle Leben erdrückte.

Todesdrohungen gegen Metal-Musiker

Durch den Austausch mit US-Soldaten kamen vor allem junge Menschen mit westlichen Musikgenres in Berührung. Neue Subkulturen entstanden, von religiöser Seite stark missbilligt. Dies galt vor allem für die Musikrichtung Heavy Metal. So wenig der aggressive Metal mit der nahöstlichen Klangwelt gemein hat, eignete er sich doch bestens als Soundtrack einer im Krieg sozialisierten Generation.

Die Repression durch schiitische Milizen ließ nicht auf sich warten, Bands und ihre Fans wurden verfolgt. Die Gruppe Acrassicauda, die 2007 im Dokumentarfilm "Heavy Metal in Baghdad" porträtiert wurde, musste den Irak aufgrund von Todesdrohungen verlassen. Ab 2009 kam es zu Übergriffen und Morden an jungen Männern, die mit der irakischen Indie-Rockszene in Verbindung gebracht wurden. Ihr Vergehen: lange Haare und Skinny Jeans-aus Sicht islamistischer Banden ein unmännliches, homosexuelles Erscheinungsbild. Menschenrechtsorganisationen berichteten 2012 von einer regelrechten Kampagne gegen nonkonforme Jugendliche. Angesichts der grassierenden Gewalt zog sich das kulturelle Leben weitgehend ins Private zurück. Die sozialen Medien boten neue Möglichkeiten. Wo Ausstellungs-und Auftrittsmöglichkeiten fehlen, sind virtuelle Räume eine sichere Alternative. Ideal für die junge irakische Rap-Szene, die seit den Anti-Regierungs-Protesten 2019 floriert.

Das Milieu lebt stark vom Austausch mit den Diasporagemeinden in Schweden und Großbritannien. Ein kultureller Anknüpfungspunkt ist die Dichtkunst, die in ihrer gesprochenen Form im Irak hohes Ansehen genießt: Mit ironisch-sozialkritischen Texten verbinden Rapper wie Khalifa OG oder MC Anhar irakische Tradition mit US-Hip-Hop.

Der Hauch einer Annäherung zeichnet sich ab: So verbreitet die politische Ablehnung des Westens auch sein mag, seiner Popkultur will man sich trotzdem nicht entziehen.

 

Tyma Kraitt, geboren 1984 in Bagdad, ist Erwachsenenbildnerin und Autorin mit Fokus auf den Nahen und Mittleren Osten. Zuletzt veröffentlichte sie das politische Sachbuch "Sunniten gegen Schiiten. Zur Konstruktion eines Glaubenskrieges" (Wagenbach Verlag, 2021).