Kultur im Ausnahmezustand

#allesdichtmachen? Bringt nichts.

Kunstschaffende berichten von ihren Lockdown-Erfahrungen. Teil 21: Nikolaus Habjan, Regisseur, Puppenspieler und Kunstpfeifer.

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Vor ein paar Jahren hätte ich mir beim besten Willen nicht vorstellen können, dass Hippies mit Neonazis gemeinsam auf eine Demo gehen. Ich habe mit eigenen Augen auf einem Transparent einen Judenstern mit der Aufschrift "Impfen macht frei" gesehen. Ein vernünftig denkender Mensch dürfte doch eine freiwillige Schutzimpfung selbst dann, wenn er von der Qualität des Impfstoffs nicht überzeugt ist, nicht mit der Ermordung von Millionen Menschen gleichsetzen. Die NS-Zeit und ihre Auswirkungen auf heute sind in vielen meiner Arbeiten ein zentrales Thema. Man kann gerade nicht nur beobachten, dass wir diese Zeit nicht ausreichend aufgearbeitet haben - wir sind sogar wieder dabei, alles zuzuschütten.

Deshalb fand ich auch die Schauspieler-Aktion #allesdichtmachen so daneben. Jan Josef Liefers hat als "Tatort"-Ermittler eine enorme Reichweite, und da benutzt er das Alle-Medien-sind-gleichgeschaltet-Narrativ dieser Verschwörungs-Demonstranten. Und distanziert sich danach schmerzhaft naiv oder ignorant von Rechten und Querdenkern. Ich verstehe Kolleginnen und Kollegen, die genervt sind, weil sie nicht arbeiten können. Ich finde es auch schade, dass die Hygienekonzepte, die die Theater ausnahmslos hatten, ignoriert wurden.

Es ist absurd, dass Gottesdienste möglich sind, aber Theateraufführungen nicht, obwohl es vom technischen Ablauf keine großen Unterschiede gibt. Aber diese Schauspielervideos, die keine Lösungsvorschläge bieten, nur auf zynische Art und Weise herummeckern, bringen keinem etwas. Ich habe im Bekanntenkreis Leute, die grässlich an Corona verstorben sind. Und ich weiß von Angestellten aus Krankenhäusern, was dieser Berufsstand seit über einem Jahr leisten muss. Es ist traurig, wenn Theaterschaffende den Mund weit aufreißen, obwohl sie sich nicht richtig informiert haben. Dabei wäre es wichtig, Missstände aufzuzeigen. Wenn Razzien bei Behörden eingeschränkt werden sollen, wie das gerade in Österreich angedacht wird, dann hört nicht nur für mich der Spaß auf.


Nikolaus Habjan, 33,

ist Regisseur, Puppenspieler und Kunstpfeifer. Er studierte Musiktheaterregie an der Universität für Musik und Darstellende Kunst Wien, bereits mit 15 begann er, Klappmaulpuppen zu bauen. Erste Arbeiten im Schubert Theater wie "Schlag sie tot" oder "F. Zawrelerbbiologisch und sozial minderwertig" waren bitterböse Gesellschaftsstudien. Nach Regiearbeiten im Bereich Schauspiel (zuletzt: "Der Leichenverbrenner",Burgtheater), ist Habjan mittlerweile auch ein gefragter Opernregisseur.

Karin   Cerny

Karin Cerny