AUSSTELLUNG: 150 JAHRE GUSTAV KLIMT

NFT-Kunst: Kuss und Krypto

Ist NFT-Kunst nur eine Nische für Gauner und Schwindler? Oder bietet sie aufregende neue Chancen? In Museen und Auktionshäusern begegnet man dem aktuellen Hype mit gemischten Gefühlen.

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"In meinen Augen sind NFTs das Äquivalent zu toxischer Männlichkeit, weil sie viel zu viel Aufmerksamkeit bekommen." So schimpfte die deutsche Medienkunst-Professorin Hito Steyerl unlängst über die Krypto-Kunst. Diese sei ein "Replikat der hässlichsten Teile der existierenden Kunstwelt, abzüglich der Kunst". Auch ihr Malerkollege David Hockney, der zwar seit Langem digitale Bilder herstellt und dessen Ausstellung im Wiener Kunstforum diese Woche eröffnet, hält nichts davon. Die NFT-Kunst, erklärte er, sei bloß etwas für Gauner und Schwindler. Auf seiner Website warnt er diese davor, seine Werke als NFTs zu verkaufen, und droht ihnen vorsorglich mit rechtlichen Schritten.

Alles Blödsinn also? Oder hat die Redaktion der britischen Kunstzeitschrift "Artreview" recht? Diese erstellt jährlich ein viel beachtetes Ranking der 100 Mächtigsten im Kunstbetrieb ("Power 100"). 2021 führte dieses das NFT an.

Nach dem erstaunlichen Rekord eines Grafikers namens Beeple, der im März 2021 eine Ansammlung von 5000 Bildchen für 69 Millionen Dollar verkaufte, geriet die Kunstwelt in Aufruhr. Kaum jemand aus Galerien, Museen und Auktionshäusern hatte zuvor mit der NFT-Technologie zu tun gehabt. Und plötzlich stand Beeple, von dem niemand im Kunstbetrieb zuvor je gehört hatte, auf Platz zwei der teuersten lebenden Künstler. Dabei waren schon vor einem Jahr weder NFTs noch digitale Kunst etwas Neues. Sogar der Erwerb von Digitalkunst mittels Krypto-Währung war bereits durchexerziert worden.

Schon 2015 hatte das Wiener Museum für angewandte Kunst (MAK) eine Animation des Künstlers Harm van den Dorpel mit Bitcoins erworben. "Event Listeners" ist ein Bildschirmschoner - angewandte Kunst im eigentlichen Sinn also. MAK-Kuratorin Marlies Wirth, die den Kauf damals initiierte, beobachtet den aktuellen Hype um Millionenpreise für NFTs differenziert. "Es gibt jene, die NFT-Kunst als Investment sehen, und jene, die schon länger Videokunst oder digitale Kunst sammeln und sich jetzt auch dafür interessieren", sagt sie. "NFTs sind ja nur das Ergebnis einer Technologie. Die Blockchain als dezentraler und kollaborativer Informationsverarbeitungsprozess birgt noch viel mehr spannendes Potenzial."

Dennoch bieten NFTs für die Kunstwelt eine Neuigkeit: Sie machen Digitalkunst zum Unikat. Denn auch wenn die Datei eines Bildes, einer Animation oder eines Videos unendlich oft kopiert werden kann, so lässt sich diese untrennbar mit der Blockchain verknüpfen und wird damit zum - für den Verkauf weitaus attraktiveren - Original. "Dem sakrosankten Verständnis vom Original können nun endlich auch nicht-physische Kunstwerke gerecht werden, denn ihre Verknüpfung mit der Blockchain dient als Echtheitszertifikat", schreibt der Kurator Fabian Müller im Katalog zur Ausstellung "Proof of Art. Eine kurze Geschichte der NFTs", die voriges Jahr das Francisco Carolinum Linz zeigte. Alfred Weidinger, der als Geschäftsführer der oberösterreichischen Landes-Kultur Gmbh für das Museum zuständig ist, befasst sich schon seit Längerem mit künstlerischen Entwicklungen im virtuellen Raum. "NFTs haben in der Kunstszene so viel bewegt wie schon lange nichts mehr", findet er. Auch in Österreich gebe es mittlerweile "überraschend viele bedeutende Sammler von Kunst-NFTs".

Einen Effekt hat der Hype um die Krypto-Technologie in der Kunst gewiss: Digitale Kunst wird verstärkt wahrgenommen. Messen wie die Art Basel Miami oder auch die Wiener Spark Art Fair widmen der Krypto-Kunst eigene Sektionen. Die Spark Art Fair gestaltete MAK-Expertin Wirth. Ihrer Ansicht nach erhöhen NFTs das Interesse an zeitgenössischer digitaler Kunst: "Das wurde 2022 auch höchste Zeit. Spannend ist, was jenseits des momentanen Hypes mit der zugrunde liegenden Technologie möglich wird." Sie nennt eine Reihe Kunstschaffender, die sich seit Längerem in diesem Umfeld bewegen - etwa Jonas Lund, Banz & Bowinkel, Oliver Laric, LaTurbo Avedon. "Als Kuratorin interessieren mich NFTs als kulturelles Phänomen. In der Kunst finde ich sie nur dann sinnvoll, wenn es um qualitativ hochwertige Arbeiten geht." Am MAK könne man sich durchaus vorstellen, weitere digitale Arbeiten zu kaufen, auch NFTs. In Linz kann man bereits auf eine "kleine exquisite NFT-Sammlung österreichischer Kunstschaffender" (Alfred Weidinger) verweisen, darunter etwa Arbeiten der Gruppe Crypto-Wiener.

Sprießt die Digitalkunst also gerade an allen Ecken und Enden? Und wird der Hype dazu führen, dass digitale Kunst höhere Präsenz am Kunstmarkt und in Museen bekommen wird?

Wirth relativiert: "Es könnte sogar das Gegenteil passieren - nämlich dann, wenn die Öffentlichkeit glaubt, digitale Kunst sei ohnehin nur minderwertiges Pixelzeug." Anfragen in den Bundesmuseen, die wie das MAK auch Gegenwartskunst sammeln, ergeben: Weder Albertina noch Belvedere oder Mumok besitzen NFT-Kunst. Auch ihre aktuelle Bedeutung am Kunstmarkt erscheint überschätzt. Martin Böhm, Geschäftsführer des traditionsreichen Wiener Auktionshauses Dorotheum, bezweifelt nicht, dass eine Entwicklung im Gang sei, die man nicht verpassen dürfe, und sich ein Markt ausbilden werde. Bisher sehe er diesen aber noch nicht: "Die meisten Auktionshäuser verkaufen ja noch gar keine NFTs."

Zwar kooperieren Sotheby's und Christie's mit NFT-Plattformen. Doch das Angebot digitaler Kunst in Auktionshäusern ist in Relation zu anderen Sparten gering. Das Dorotheum hätte durchaus Interesse an virtuellen Werken, berichtet Böhm. "Im Frühjahr 2021 gründeten wir eine Arbeitsgruppe, um eine größere Auktion mit digitaler Kunst zu machen. Das Team wollte ein qualitativ hochwertiges Angebot zusammenstellen." Mit überschaubarem Erfolg. Böhm: "Wir haben noch nicht genügend Material." Der Grund dafür liegt in der Vergangenheit. In klassischen Kunstsammlungen hält sich das Interesse für Video- und Digitalkunst in engen Grenzen.

Kein Wunder: Museen und Ausstellungshäuser haben die Kunst der Bits und Bytes bisher weitgehend ausgelassen. Einer der Gründe dafür mag auch sein, dass sich Präsentation wie Pflege nicht ganz simpel gestalten. "Das MAK besitzt jetzt den Bildschirmschoner von Harm van den Dorpel, der nur auf Mac-Geräten läuft. Wird das auch nach vielen Updates noch der Fall sein?", fragt Marlies Wirth. "Solange der Künstler lebt, wird er dafür sorgen, dass seine Kunst abspielbar bleibt. Danach muss sich das Museum darum kümmern."

Zwar kann "Computerkunst", wie es früher hieß, auf eine Tradition seit den 1960er-Jahren verweisen. Doch lange fristeten Pioniere und Pionierinnen wie Vera Molnár und der heute 95-jährige Herbert W. Franke, dem das Francisco Carolinum demnächst eine Ausstellung widmet, ein Schattendasein. Museumsdirektor Alfred Weidinger analysiert: "Der Malereischub der 1980er-Jahre führte dazu, dass die Kunstszene mit vermeintlich altbackener Computerkunst nichts zu tun haben wollte. Viele Museen haben diese Entwicklung verschlafen. Es ist nicht einmal möglich, ein lieferbares Buch über Herbert W. Franke zu finden. Jetzt werden sich die Museen viel mehr mit Künstlergenerationen befassen, die über Jahrzehnte zu Unrecht vernachlässigt wurden."

Derzeit versucht man in den Museen jedoch eher, in der Krypto-Sphäre Geld zu verdienen. Manche Häuser offerieren digitale Kopien ihrer Ikonen als NFT-Unikate. Neben den Florentiner Uffizien, die im Vorjahr das JPG eines Michelangelo-Gemäldes um 140.000 Euro verkauften, versucht sich nun auch das Wiener Belvedere am Krypto-Markt. Das Museum bietet ein Digitalisat von Gustav Klimts "Kuss" als Serie von NFTs an - das Werk, zersprengt in 10.000 Teile, die jeweils 1850 Euro kosten. Um diesen Preis erhält man eine zertifizierte Datei, auf der ein 3,24 Zentimeter großer Ausschnitt des Gemäldes zu sehen ist.

Den künstlerischen Diskurs bringen derartige Wertschöpfungsmaßnahmen freilich nicht weiter. Ebenso wenig wie die Bilderwelten von Beeple oder Pak, der kürzlich mit einem reichlich banalen Sujet über fast 29.000 Käuferinnen und Käufern 92 Millionen Dollar verdiente. Doch der Erfolg solcher Elaborate könnte auf lange Sicht dazu führen, dass ein ebenso spannendes wie mittlerweile auch traditionsreiches Kapitel der bildenden Kunst neue Beachtung findet.

 

Nina   Schedlmayer

Nina Schedlmayer