Interview

Pornostar Mick Blue: „Man muss nicht alle fünf Minuten miteinander schnackseln“

Was ist Liebe? Ist sie eine Kunst? Gibt es Liebe auf den ersten Blick? Antworten und Gedanken zur wichtigsten Sache der Welt von Austro-Pornostar Mick Blue.

Drucken

Schriftgröße

Im Pornogewerbe ist Mick Blue, 46, eine globale Größe. Der gebürtige Grazer, der seit 2007 in Los Angeles lebt, gewann dreimal in Folge den AVN Award als bester männlicher Darsteller, das Äquivalent zum Kino-Oscar. 2017 wurde Blue, der seinen bürgerlichen Namen nicht gedruckt sehen will, in die Hall of Fame der Pornoindustrie aufgenommen. Auf der Bühne des Wiener Burgtheaters war er 2004 in einer Inszenierung von Christoph Schlingensief zu sehen, er hat mit dem britischen Komiker Sacha Baron Cohen („Who Is America?“) und der schwedischen Regisseurin Ninja Thyberg („Pleasure“) gearbeitet. Ein Zoom-Gespräch mit neunstündiger Zeitverschiebung zwischen Wien und Los Angeles über die Liebe, die wichtigste Sache der Welt.

Herr Blue, wie ist das Leben und Lieben in Los Angeles?
Blue
Das Leben ist gut. In Los Angeles ist das Wetter in der Regel besser als in Österreich, auch wenn es zuletzt etwas kälter und regnerischer war.
Und was ist mit der Liebe?
Blue
Ach, die Liebe! Ebenfalls wunderbar. Ich bin seit neun Jahren verheiratet und Vater zweier Kinder.
Große Frage zu Beginn: Was ist Liebe?
Blue
Liebe ist eine so schöne wie rätselhafte Materie, die sich im Leben jedes Menschen ständig verändert, dabei gewisse Abstufungen und Ausformungen durchläuft. Liebe ist das Fundament, das in Beziehungen und anderen zwischenmenschlichen Verwicklungen immer wieder neu zu erleben ist. Liebe ist auch der Überbegriff für eine Unzahl anderer Dinge und Geschehnisse. Wir können unsere Haustiere und unsere Kinder lieben. Manche lieben ihr Auto und ihren Sport. Liebe lässt sich nicht auf einen Nenner bringen.
Denken Sie oft über die Liebe nach?
Blue
Über die Liebe muss man nicht nachdenken. Man muss sie pflegen und hegen.
„Love“ ist in den USA eines der mit Abstand beliebtesten Wörter.
Blue
„Love“ hat hier wesentlich weniger Bedeutung als im Rest der Welt. In Amerika sagt man bei jeder passenden und unpassenden Gelegenheit „I love you“. Im Prinzip könnte man statt „Guten Morgen!“ einfach „I love you!“ sagen, es käme auf dasselbe heraus. Ich verabschiede mich von meiner Frau nicht jedes Mal mit „Honey, ich liebe dich“. Da bin ich noch zu sehr Europäer.
Ein „Love you!“ rutscht Ihnen nur selten heraus?
Blue
Ich verwende es ab und zu, um gewisse soziale Aspekte zu wahren. Mit dem Wort „Love“ sollte man nicht zu leichtfertig und inflationär umgehen.
Sie arbeiten seit Jahrzehnten im Pornogeschäft, das man eher weniger mit Gefühlen und Emotionen verbindet. Sind Sie dennoch Romantiker geblieben?
Blue
Auf jeden Fall. Meine Frau bekommt zum Valentinstag und zu Geburtstagen selbstverständlich Blumen und Süßigkeiten geschenkt. Egal wie lange Menschen in Paarbeziehungen stecken, diese Dinge sind enorm wichtig! Es schadet auch nicht, wenn man seiner Frau ohne jeden Anlass Blumen schenkt.
Weinen Sie bei romantischen Kinokomödien?
Blue
Das kommt vor, aber selten bei Liebesfilmen. Kullert die eine oder andere Träne, hat das meistens mit einem momentanen Glücksgefühl zu tun. Das sind dann eher Happy-Tränen.
Liebe kann auch wehtun, behauptete die britische Band Nazareth.
Blue
Natürlich. Jede Liebe kann schmerzen. Soll man gleich aufgeben, nur weil es zwickt? Niemals. Fragen Sie Hermann Maier, wie seine Knochen und Muskeln schmerzten, als er 1998 in Nagano nach seinem Sturz Doppel-Olympiasieger wurde! Seine Liebe zum Sport brannte wie die Hölle, dieselbe Liebe ließ ihn wieder auf die Ski steigen, was ihn unsterblich machte.
Wie lautet Ihre Anatomie der Liebe?
Blue
Grundvoraussetzung der Liebe ist die Selbstliebe. Wer sich selbst nicht liebt, kann sein Gegenüber nicht lieben, zumindest kann er es nicht vollkommen lieben. Die wichtigste Liebe im Leben ist die Selbstliebe. Nur wer sich selbst ganz akzeptiert, ist zufrieden mit sich selbst – und kann Liebe geben, physisch und psychisch. Ein großes Herz schließt andere mit ein.
Der deutsch-amerikanische Psychoanalytiker Erich Fromm konstatierte, es sei eine Kunst, zu lieben.
Blue
Liebe ist auf jeden Fall eine Kunst, weil sie sich eben ständig verändert. Die ersten Monate einer Beziehung sind Honeymoon. Die Zeit bleibt stehen. Das einzige Feeling, das es auf der Welt gibt, heißt: Liebe. Zugleich ist diese erste Beziehungszeit genau genommen keine Liebe, weil reine Euphorie im Status einer sich anbahnenden Beziehung mit im Spiel ist. Liebe entwickelt sich mit der Zeit. Die Liebe ist ein Medium, das sich wandelt durch Erfahrungen, die man miteinander erlebt. Die Liebe wird dadurch stärker – oder sie zerbricht. Man muss gemeinsam an der Liebe arbeiten. Was die Liebe nicht zerstört, macht sie nur stärker.
Gibt es Liebe auf den ersten Blick?
Blue
Ganz sicher. Bei meiner Frau war es jedenfalls so. Liebe auf den ersten Blick heißt doch nur, dass alles passt, ein Heißlaufen der Synapsen: „Dieser Mensch ist absoluter Wahnsinn!“
Machen Sie in Ihrem Beruf als Pornodarsteller eigentlich auch Liebe, wenn Sie drehen? Oder ist das nur Sex?
Blue
Was die Liebe betrifft, ist es in meinem Beruf nicht anders als in jeder anderen Branche. Wir verlieben uns, wir trennen uns. Es wäre allerdings höchst naiv, zu glauben, dass Mr. Blue, der vor einer Kamera mit einer Dame Sex hat, dabei in irgendeiner Weise Liebesgefühle entwickelt! Es ist längst erwiesen, dass Sex nichts mit Liebe zu tun haben muss – das gilt für Mann, Frau, Divers.
Was ist Sex?
Blue
Sex ist ein Bedürfnis, sich gegenseitige Befriedigung zu verschaffen, was letztlich nichts mit Liebe zu tun hat. Warum funktioniert Prostitution, das buchstäblich älteste Gewerbe der Welt, bis heute? Weil sie eine Servicestelle für Befriedigung ist, die äonenweit von Liebe entfernt ist.
Inwieweit unterscheidet sich, was die Liebe betrifft, der private Mick Blue vom professionellen?
Blue
Die privaten Erlebnisse sind intensiver und auf einem ganz anderen Level. Gehe ich zur Arbeit, bedeutet das die Befriedigung eines sexuellen Bedürfnisses, nichts darüber hinaus. Das kann Spaß machen – oder auch nicht. Liebe ist dabei sehr, sehr weit weg.
Die Liebe zu Ihrem Beruf ist ungebrochen?
Blue
Natürlich. Aber das ist wieder eine andere Liebe. Das ist die Liebe zu dem, was man macht. Man muss Liebe zu seinem Beruf entwickeln.
Connie Francis sang, die Liebe sei ein seltsames Spiel. Ist sie das?
Blue
Sowieso. Die Liebe treibt einen dorthin, wo man nicht sein möchte. Egal was die Liebe mit einem anstellt: Am Ende ist sie wichtig und erstrebenswert, auch wenn sie im ersten Augenblick manchmal nicht so glorios erscheint.
Haben Sie sich bei Ihrer Arbeit schon öfter verliebt?
Blue
Es bestand für mich nie die Gefahr, mich bei der Arbeit am Set zu verlieben. Meine Arbeit ist nicht gerade so, wie wenn der Chef während der Arbeit heimlich Sex mit der Sekretärin hat. Beides passiert am Arbeitsplatz, der Chef hat jedoch die viel größere Chance, sich in die Sekretärin zu verlieben, als ich mich in eine meiner Filmpartnerinnen.
Wie oft gehen Sie zur Arbeit?
Blue
Seit ich einen Exklusivvertrag mit der kanadischen Porno-Produktionsgesellschaft Brazzers unterschrieben habe, arbeite ich pro Monat eine gewisse Anzahl von Tagen. Früher war ich durchschnittlich bis zu 25 Tage pro Monat auf Sets.
Das klingt nach Schwerarbeit.
Blue
In unserer Branche agiert das Spitzenpersonal wie Athletinnen und Athleten. Olympiasportler und Abfahrtsläuferinnen richten ihr Leben auch nach ihrer jeweiligen Profession aus. Als Pornodarsteller lebt man wie ein Sportler, anders geht es nicht. Der Körper gewöhnt sich daran. Man entwickelt eine gewisse Fitness über die Jahre, mental und physisch.
Sind Sie ein Experte für das mitunter schwierige Verhältnis zwischen Liebe und Sexualität?
Blue
Liebe und Sex gehören zusammen – und dann auch wieder nicht. Es ist wichtig, dass man mit seinem Partner, seiner Partnerin die gemeinsame Sexualität erforscht, jene Form der Kommunikation findet, die für beide passt. Das muss nicht zwingend mit Liebe zu tun haben, das spielt sich auf dem Feld offener Sexualität ab, bei der man eigene Bedürfnisse in die gemeinsam erlebte Leidenschaft mischt. Andererseits wächst die Liebe durch das Miteinander, gegenseitigen Austausch und Respekt, wechselseitiges Vertrauen. Dinge, die nicht unmittelbar mit Sex zu tun haben. In dem Augenblick, in dem Sex über die Liebe regiert, wird vieles verschleiert.
Wie darf ich das verstehen?
Blue
Ein grauslicher Kaffee wird durch Zucker trinkbar, weil nur mehr zu erahnen ist, wie schlecht er eigentlich schmeckt. Ist der Kaffee derart schlecht, dass er fast nicht mehr zu trinken ist, kommt zusätzlich Milch dazu. Es geht also rein ums Koffein, mit Kaffee hat das Ganze nur mehr am Rande zu tun. Liebe im Zusammenhang mit Sex ist manchmal auch so: Der Sex kann so grandios sein, dass man die Fehler in der Liebe nicht spürt. Jahre später dann, wenn der Honeymoon-Sex vorbei ist, ist nur mehr ein trauriges Restchen Liebe da. Verbindet man Selbstliebe, Liebe und Sex, ergibt das Super-Liebe.
Sie sind mit der US-Pornodarstellerin Anikka Albrite verheiratet. Gibt es viele Abende im Hause Blue, an denen Sie gemeinsam mit Ihrer Frau in Jogginghosen vor dem Fernseher lümmeln?
Blue
Sicher. Das ist doch auch eine Form der Liebe. Sobald Liebe zwischen zwei Menschen im Spiel ist, muss man nicht alle fünf Minuten miteinander schnackseln. Liebe ist so viel größer und gewaltiger als die Sexualität. Sex ist ein Teil der Liebe, nicht der Hauptbestandteil.
In der Austro-Komödie „Schlimmer geht’s nimmer!“ übernahmen Sie einst eine kleine Rolle abseits des Adult-Genres. Welche Pläne in diese Richtung verfolgen Sie?
Blue
Ich bin neuerdings Mitglied der Screen Actors Guild, der US-Schauspielunion, und ich versuche, Projekte in Hollywood in Angriff zu nehmen.
Das Hollywood-Kino und der Adult-Film teilen sich bekanntlich den Entstehungsort Los Angeles. Wollen Sie Kinokarriere machen?
Blue
Durchaus. Die einen werden ihre Vorurteile bezüglich meiner Adult-Karriere pflegen, andererseits leben wir in liberalen Zeiten, in denen unterschiedliche Branchen verschmelzen. Im Adult-Fach gibt es genügend Profis, die auch schauspielen können, nicht nur mit ihren Geschlechtsteilen. Meinen Künstlernamen werde ich in Hollywood weiterverwenden.
Mick Blue ist bereits eine Marke.
Blue
Eine Marke, die weit über die Adult-Branche hinausgeht. Auf meinem Pornhub-Profil habe ich 1,4 Milliarden Views …
… das sind, in Zahlen ausgedrückt, die 1,4 mit acht Nullen: 1.400.000.000.
Blue
Mich kennen ein paar Menschen, nicht nur in Österreich und Los Angeles, auch im Rest der Welt.
Bei wie vielen Pornos halten Sie derzeit?
Blue
Bei rund 3300 Filmen. Auf der Internet Movie Database, einer der größten Datenbanken zu Filmen und TV-Serien, finden sich unter meinem Namen etwas über 1800 Titel. Allerdings blockiert die Site den Zugang zu meinen Filmen. Nur auf dem Umweg der Google-Stichwortsuche „Mick Blue“ und „IMDb“ gelangt man zu meinen vollständigen Credits. Mein Name bürgt für Aufmerksamkeit, auch für den Hollywood-Mainstream. Egal ob es gute oder schlechte Kritiken hageln wird. Hauptsache, der Name wird richtig geschrieben.
Wie ernst nehmen Sie nach all den Jahren Ihre Profession als Pornodarsteller?
Blue
Man muss das Beste aus dem Leben machen. Wenn man aber nicht mehr über sich selbst lachen kann, wird es traurig. Meinen Beruf nehme ich dagegen zu 100 Prozent ernst. Ich erlaube mir auch, meine Arbeit als Auszeichnung anzusehen: Ich bin begünstigt, diesen Beruf auszuüben, weil ich den Traum einer Unmenge von Männern leben darf, die sehr viel dafür geben würden, auch nur einen Tag in meinen Schuhen zu stecken – beziehungsweise diese am Set neben allem anderen ausziehen zu dürfen.
Wie gehen Sie mit Kritik an Ihrem Beruf um?
Blue
Umgebe dich mit Menschen, die dich entweder so sehen, wie du bist, dich respektieren oder die dich lieben. Giftschleudern meide! Liebe all die zurück, die dich lieben! Die Hasser mögen aus deinem Leben verschwinden! Versuche auch nie, Letztere umzustimmen. Sie werden sich nie ändern!
Zurück zur Liebe: Die Beatles stellten fest: „All You Need is Love.“ Einverstanden?
Blue
Und wie! Wenn die Welt auf die Fab Four hören würde, gäbe es keine Konflikte und Kriege.
Wolfgang   Paterno

Wolfgang Paterno

ist seit 2005 profil-Redakteur.