Kolumne

Aufmachen, hier ist die Strompolizei!

Während sich über Europas Wirtschaft Apokalyptisches zusammenbraut, diskutiert Österreich leidenschaftlich darüber, ob Heizschwammerl noch tragbar sind.

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Franz Schellhorn

Der Direktor des Thinktanks Agenda Austria schreibt regelmäßig Gastkommentare für profil.

Österreich hat einen neuen Aufreger: Während die Regierung die Bevölkerung ermahnt, die Heizung auf erfrischende 19 Grad runterzudrehen und möglichst kurz zu duschen, wird in den Schanigärten der Wiener Innenstadt die Luft mit Strom geheizt. Angesichts der drohenden Stromknappheit haben mit Ausnahme der FPÖ alle Parteien des 1. Wiener Gemeindebezirks an die Gastronomen appelliert, die Heizschwammerl gar nicht erst anzudrehen. Klimaschutzministerin Leonore Gewessler würde die stromfressenden Dinger lieber heute als morgen landesweit verbieten.

Aber wie groß ist das Problem wirklich? Die Redaktion der Wiener Stadtzeitung „Falter“ liefert gemeinsam mit der Energieagentur die Antwort. Demnach gibt es in Wien 167 Betriebe mit geschätzten 1700 Heizgeräten, die im Jahr 2,5 Gigawattstunden Strom verbrauchen. Das klingt nach einer ganzen Menge, entspricht aber gerade einmal 0,058 Promille (!) des Gesamtenergieverbrauchs der Stadt Wien. Nimmt man nur den reinen Stromverbrauch der Bundeshauptstadt, sind es 0,3 Promille des Verbrauchs. Oder 0,03 Prozent, also de
facto nichts.

Nun kann man natürlich der Meinung sein, dass glühende Heizschwammerl zu keiner Zeit wirklich notwendig sind. Wenn der Aperol-Spritzer trinkenden Szene in der City zu kalt wird, soll sie eben ins Innere flüchten oder sich mit Wolldecken wärmen, wie das Klimaschutzministerium empfiehlt. Stimmt. Dennoch halte ich es in dieser Frage mit „Falter“-Chefredakteur Florian Klenk, der auf Twitter schreibt: „Man sollte den Leuten einfach diese kleinen Freuden lassen. Die Zeiten sind hart genug“.

Heizschwammerl stehen für 0,3 Promille des Wiener Stromverbrauchs.

Umweltbewegte Städter lassen sich von derartigen Argumenten nicht erweichen. Die Heizschwammerl müssen weg, und zwar jetzt. Täglich schwärmen ehrenamtliche Umweltpolizisten aus, um die verantwortungslose Ressourcen-Prasserei mit ihren strombetriebenen Handykameras zu dokumentieren und damit die elektrifizierte Social-Media-Crowd auf Touren zu bringen. Am besten machen sich glühende Drähte in völlig leeren Gastgärten. Es ist längst zum digitalen Breitensport geworden, andere für deren unsolidarisches Verhalten an den medialen Pranger zu stellen. Waren es gestern Flugreisende, sind es heute Menschen, die unter geheizten Schirmen ein paar unbeschwerte Stunden verbringen wollen. Man kann sich vorstellen, was los sein wird, wenn die Skifahrer ihre ersten Schwünge über künstlich beschneite Hänge ziehen. Wärmesensoren, die die Raumtemperatur der Nachbarwohnung messen, sollten heuer jedenfalls unter keinem Christbaum fehlen.

In der Zwischenzeit braut sich über Europas Wirtschaft Apokalyptisches zusammen. Bleiben die Energiepreise auf dem aktuellen Niveau, wird von der produzierenden Industrie bald nicht  mehr viel übrig sein. Aber genau das dürfte viele Heizschwammerl-Gegner kaum beunruhigen. Für sie ist die drohende Deindustrialisierung Europas nicht das Problem, sondern die Lösung. Denn nur eine radikale Schrumpfung der Wirtschaft könne das drohende Klima-Armageddon verhindern, wie von Klimaexperten immer wieder zu hören ist. Was das für die privaten und öffentlichen Haushalte bedeutet, scheint den meisten nicht klar zu sein. Die produzierende Industrie wird nach Möglichkeit in jene Regionen der Welt ausweichen, in denen Strom und Gas zu wettbewerbsfähigen Preisen zu haben sind. Neben Asien bieten sich vor allem die USA an. Und für jene, die hierbleiben, werden die Steuerzahler einmal mehr Milliarden lockermachen müssen, um die von stillstehenden Produktionen betroffenen Arbeitnehmer in Kurzarbeit zu halten.  

Österreich verliert sich nicht nur in einer kleinlichen Symboldebatte, es leistet sich auch den Luxus, einen im Weinviertel schlummernden Gasvorrat möglicherweise enormen Ausmaßes unangetastet zu lassen. Selbst der teilstaatliche Mineralölkonzern OMV will nicht wissen, wie viel Gas unter den Weinbergen nördlich von Wien schlummert. Politisch interessiert sich sowieso niemand für das Thema. Die Bevölkerung braucht zwar dringend jeden Kubikmeter Erdgas, aber die Politik im Land keinen Wirbel. Das hat System. Seit Jahren wird der Ausbau der Erneuerbaren gepredigt – aber die dafür nötigen Stromnetze fehlen. Weil gegen jedes Windrad, gegen jedes Wasserkraftwerk und gegen jede Stromleitung Bürgerinitiativen Sturm laufen und die Politik keine Gelegenheit auslässt, einzuknicken. Die Kämpfe bei der Errichtung der 380-kV-Leitung in Salzburg sind bereits legendär. Dazu passt, dass der Bau einer weiteren Staustufe in der Salzach nahe Werfen seit Jahren verhindert wird. Das wäre sauberste Ökoenergie für 20.000 Haushalte. Ende August brachte die Landesumweltanwaltschaft Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof ein, nachdem zuvor zehn Jahre lang naturschutzrechtlich geprüft worden war. Vielleicht wäre es ja gar keine schlechte Idee, wenn wir uns schön langsam der Frage widmen würden, wie wir das Energieangebot schleunigst erweitern können. Statt eine Petitesse wie die Heizschwammerl zur ökologischen Fahnenfrage zu erheben.