Leitartikel

Robert Treichler: Die drei ??? und der Skandal

Was kann unser Protest gegen den Angriff auf eine profil-Journalistin in Ungarn bewirken?

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Auch ein Skandal fängt manchmal komisch an.

profil-Redakteurin Franziska Tschinderle kontaktiert zu Anfang der Woche die Pressestelle der ungarischen Regierungspartei Fidesz. Sie recherchiert gemeinsam mit ihrer Kollegin Siobhán Geets eine Story über die geplante Bildung einer neuen rechten Fraktion im EU-Parlament. Tschinderle sendet per Mal drei Fragen an die Fidesz-Partei. Die Pressestelle fühlt sich durch die drei – durchwegs harmlosen – Fragen so provoziert, dass sie, anstatt sie zu beantworten, damit zum staatlichen Fernsehsender „M1“ läuft.

Dass eine Pressestelle petzen geht, anstatt ihren Job zu machen, ist comedytauglich. So was hatten wir noch nie, und ungarische Kollegen berichten uns, dass das selbst in ihrem medienpolitisch exotischen Land eine Novität darstellt.

Politiker und Parteien haben in einer Demokratie viele Möglichkeiten, auf ihnen unangenehme Anfragen zu reagieren. Sie können ausweichend antworten; sie können allfällige Prämissen, die in den Fragen enthalten sind, zurückweisen; sie können die Bitte um Antworten schlimmstenfalls auch ignorieren. Aber eine Partei, deren Medienabteilung auf Anfrage lediglich ihre Hypersensibilität unter Beweis stellt, betritt kommunikationspolitisches Neuland.

Allerdings endet die Geschichte hier noch lange nicht.

Die Partei Fidesz stellt mit Viktor Orbán seit 2010 den Ministerpräsidenten Ungarns und verfügt mit ihrer Liste über eine Zweidrittelmehrheit im Parlament. Sie verfolgt vielfältige Strategien, Medien unter ihre Kontrolle zu bringen, und das mit Erfolg. Was also macht im konkreten Fall die Nachrichtenredaktion des öffentlich-rechtlichen TV-Senders? Sie fabriziert aus der Gekränktheit der Fidesz einen dreiminütigen TV-Beitrag, in dem sie empört die „provokanten“ Fragen anprangert. Dazu wird Tschinderles Foto eingeblendet und die Journalistin unter anderem als „amateurhaft“ runtergemacht.

Wenn ein öffentlich-rechtlicher Sender im Staatseigentum so agiert, ist über die Regierung, die Medienfreiheit und den Sender selbst alles gesagt.

Doch eine wesentliche Frage ist noch offen: Warum diese Attacke auf eine ausländische Journalistin? Dass unabhängige ungarische Medien eingeschüchtert und ihrer ökonomischen Grundlagen beraubt werden, ergibt in der Logik einer Gleichschaltung der Presse Sinn. Aber eine profil-Redakteurin einschüchtern zu wollen, die drei Fragen stellt und die als Angestellte des profil vor jeglicher Einflussnahme geschützt ist?

Die wahrscheinlichste Begründung für die seltsame, skandalöse Attacke ist deren beabsichtigte Wirkung nach innen. Orbán und seine Fidesz müssen einen bösartigen Außenfeind konstruieren, um sich im eigenen Land als Verteidiger der Nation darstellen zu können: die „linksliberalen Kräfte“. Zu diesen gehören alle nicht regierungstreuen Medien und die ausländischen sowieso, der ungarischstämmige jüdische Milliardär George Soros und mittlerweile sogar die Europäische Volkspartei, aus der die Fidesz-Partei jüngst austreten musste.

Wenn nun Orbán versucht, mit anderen rechten Parteien ein Bündnis zu schmieden, baut seine Medienabteilung bereits für den Fall des Scheiterns vor: Dann nämlich wird es daran gelegen haben, dass die „linksliberalen Kräfte“ das Projekt sabotiert haben – etwa mittels zerstörerischer Fragen, die im E-Mail-Account der Fidesz-Partei eingegangen sind.

Wie sollen wir mit einer solch abstrusen Situation umgehen? Verstärken wir den Effekt, den sich die Fidesz-Partei wünscht, wenn wir die Öffentlichkeit darauf aufmerksam machen, wenn wir, die Zivilgesellschaft und unsere Regierung protestieren?

Ja, und dennoch ist eine entsprechende Reaktion unumgänglich. Diese wird auch in Ungarn wahrgenommen, wo immer noch aufrechte Journalistinnen und Journalisten versuchen, unter widrigen Umständen ihre Aufgabe zu erfüllen. Ihnen gilt unsere Solidarität. Gleichzeitig gibt es langfristig nur einen Weg, um Medienfreiheit wiederherzustellen: Die ungarische Öffentlichkeit muss diese einfordern. Ihr muss klar werden, dass sie am allermeisten unter einem Medienmonopol der Regierung leidet, weil ihr Recht auf unabhängige Information dadurch verletzt wird.

Deshalb weisen wir – und andere Medien – eindringlich auf diesen Skandal hin, und deshalb ist es auch zu begrüßen, dass Außenminister Alexander Schallenberg seinen ungarischen Amtskollegen darauf hingewiesen hat, dass der Umgang mit Franziska Tschinderle „unvertretbar“ sei.

Am Ende kommt es jedoch darauf an, wie die ungarische Bevölkerung auf den permanenten Abbau der freien Medien und auch der Justiz reagiert. Im kommenden Jahr finden Parlamentswahlen statt.

Wir werden selbstverständlich weiterhin Fragen an die Fidesz-Partei richten, nicht aus Provokation, sondern aus dem simplen Grund, dass ihre Antworten – oder ihre Weigerung, zu antworten – Informationen darstellen, die in unsere Berichterstattung einfließen.

Und manchmal lesen wir einander die drei bösen Fragen vor, denn, was soll’s, so ein Skandal hat manchmal eben auch etwas Komisches.

Robert   Treichler

Robert Treichler

Ressortleitung Ausland, stellvertretender Chefredakteur