Schattenkrieg

Haben Sie schon einmal versucht, in einer Extremsituation bewusst Chaos zu säen? Absichtlich Verwirrung zu stiften? Wahrscheinlich nicht. Aber was dann passiert, kann man sich leicht vorstellen: Alle rennen in unterschiedliche Richtungen.

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Genau das versucht Wladimir Putin mit den Mitteln hybrider Kriegsführung: Trollfarmen, Cyber-Attacken, Sabotage-Aktionen, Propagandawellen, Desinformations-kampagnen, Störmanöver bei Wahlen und Manipulation der öffentlichen Meinung. Hinter dem brutalen militärischen Überfall auf die Ukraine verbirgt sich ein viel breiter angelegter feindseliger Angriff auf den Westen: der russische Schattenkrieg.

Den sehen allerdings nicht alle so. Immer noch ordnen erstaunlich viele Deutsche und Österreicher Putin als starken Mann ein, der uns nicht schaden will. Der will ja nur die aufsässige Ukraine bestrafen, weil die sich nicht fügen und ins russische Reich zurückkommen will. Das ist allerdings eine fatale Fehleinschätzung, die Fakten sprechen eine völlig andere Sprache.

Welche Mittel werden im Schattenkrieg eingesetzt? Beim Gegner mit nichtmilitärischen Mitteln absichtlich ein Durcheinander zu schaffen, ist uralte Taktik. Der mächtige russische Geheimdienst KGB, heute FSB, hat es in dieser Disziplin des Bösen zur Meisterschaft gebracht. Jede interne Uneinigkeit ist eine bösartig ausbeutbare Bresche in der Mauer der Abwehr. Nur die Vorstellungskraft begrenzt die Wahl der Mittel. Gemacht wird, was funktioniert, oft maßgeschneidert für das jeweilige Land. Hauptsache heimlich: Hier die Unterstützung von Sezessionisten, dort Sabotage in einem Rüstungsunternehmen, anderswo Bestechung, gesteuerte Narrative im Web, Infiltration in Institutionen, Lahmlegung kritischer Infrastruktur oder Drohnen auf Flughäfen. Kostet wenig und bringt hohe gesellschaftliche Verunsicherung. Wirksam auch wegen der perfiden Mischung aus Wahrheit und Lüge, meist im Verhältnis von 60:40.

Was will Putin? Ganz einfach: den Westen schwächen. NATO und EU auseinanderdividieren. Gezielt alles fördern, was die Einigkeit der EU und die Schlagkraft europäischer Demokratien vermindert. Verhindern, dass sich das Lager der Freiheit vergrößert, etwa um die Ukraine, Moldawien, Georgien, Serbien und andere. Tatkräftig separatistische Bewegungen wie in Katalonien und rechtsnationalistische Parteien unterstützen. Marine Le Pen hat offen zugegeben, 2014 von einer russischen Bank Kredite zur Parteienfinanzierung erhalten zu haben.

Was tun dagegen? Spielentscheidend: die eigene Wahrnehmung schärfen. Diejenigen klar benennen, die es nicht gut meinen mit uns. Ohne Paranoia, aber mit umso mehr Hausverstand. Die berühmten „grünen Männchen“ auf der Krim und in der Ostukraine waren nicht vom Himmel gefallene Außerirdische, sondern altgediente Geheimdienstleute, meist russische Staatsbürger, jahrzehntelang kampferprobt von Afghanistan über Tschetschenien bis Ex-Jugoslawien.

Die russische Einmischung im US-Wahlkampf 2016 ist mittlerweile legendär. Wie die vom damaligen Kreml-Intimus Yevgeny Prigozhin gesteuerte „Internet Research Agency“, auch bekannt als „Glavset“ und „Trolls from Olgino“ oder Kremlinbots. Die Manipulatoren verwenden Spitzentechnologie, aktuell etwa Algorithmen, die massive Injektionen russischer Staatspropaganda in KI-Datenbasen von Apps wie ChatGPT vornehmen. Das führt zu einer – für den Nutzer schwer zu entlarvenden – Schlagseite zugunsten Russlands.

Wehrhaftigkeit braucht die Bereitschaft und Fähigkeit zur Verteidigung eigener Interessen. Jeder Nutzer sozialer Medien, jeder Betrieb, jedes Amt, jede Gemeinde tut gut daran, hybriden Attacken allein und gemeinsam mit Partnern auf nationaler und europäischer Ebene gegenzuhalten. Die gute Nachricht: Das Netzwerk offizieller und zivilgesellschaftlicher Aufdecker wird immer dichter. Etwa im EU-Parlament der EUDS-Ausschuss „Democracy Shield“ zum Schutz vor Propaganda. Und im Auswärtigen Dienst der EU, wo vor zehn Jahren die Taskforce StratCom gegründet wurde. Inzwischen sind zahlreiche Werkzeuge verfügbar. Unabdingbar natürlich die enge Zusammenarbeit der Geheimdienste, national und international.

Demokratie ist bekanntlich kein Zuschauersport, der Schutz vor hybriden Angriffen kein Selbstläufer. Also Augen auf! Die Empfehlung des deutschen Parlamentarischen Kontrollgremiums gilt auch für uns: „Es reicht nicht aus, die hybriden Angriffe einzeln zu betrachten. Vielmehr muss die ganzheitliche Strategie dahinter erkannt werden. Die bisherigen Mittel der nachrichtendienstlichen Bearbeitung reichen nicht mehr aus.“

Ursula  Plassnik

Ursula Plassnik

Ursula Plassnik war österreichische Außen- und Europaministerin von 2004 bis 2008.