Warum die leise Revolution siegen wird

Missstände aufzuzeigen ist die ureigenste Aufgabe von Medien. All das Positive bleibt dabei üblicherweise unterbelichtet – das ist jetzt einmal anders.

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Klimakrise, Wirtschaftskrise, Migration, durchgeknallte Führer von Weltmächten, die mit einem Fingerschnippen (Handels-)Kriege auslösen können – und es auch tun. Derzeit überschlagen sich die schlechten Nachrichten. Ich gestehe, manchmal habe ich selbst keine Lust mehr, die Zeitung zu lesen. Und das, obwohl ich danach süchtig und der festen Überzeugung bin, dass es vorrangigste Aufgabe von Medien ist, Missstände aufzuzeigen. Es braucht Korrektive, um die Balance zu halten. Dazu muss man den Finger auch da hinlegen, wo es wehtut.

Momentan ist die Nachrichtenlage aber überdurchschnittlich schmerzhaft. Die Pein verstärken elektronische und soziale Medien, durch die uns schlechte Nachrichten nun immer und überall erreichen können. Da saß ich vor Kurzem beim Essen mit Freunden – Handys piepen. Eilt-Meldung: Der Krieg zwischen Israel und Gaza soll eine weitere Eskalationsstufe erreichen, Israels Präsident Benjamin Netanjahu will Gaza-Stadt einnehmen. Sofort flammten Diskussionen auf. Und Emotionen – zu den Geiseln, deren Überlebenschance schwindet. Zu den Zivilisten in Gaza, die zuhauf sterben. Das eine wurde mit dem anderen aufgewogen. Der Appetit war uns allen vergangen, die gute Stimmung war dahin. Ein lang geplanter Abend mit Freunden war plötzlich ruiniert – und zwar durch etwas, das uns ungefragt erreichte und nicht einmal unmittelbar betroffen hat. Ich hab mir nachher gedacht: Was soll das eigentlich?

Es ist schwer, sich abzugrenzen, um nicht den ganzen Tag ungefragt mit dem Elend der Welt konfrontiert zu werden. Manche schaffen das nicht und radikalisieren sich – wie man durch Wut- und Hassausflüsse im echten und digitalen Leben sieht. Andere schalten aus Ohnmachtsgefühl ganz ab und ignorieren die News.

Die Krux: Beides ist keine Lösung, ändert nichts zum Positiveren. Das tun Optimismus und Zuversicht, die die Kraft verleihen, sich weiter um das Richtige zu bemühen. Nur wenn genug Menschen auf der richtigen Seite sind, wird die Welt besser. Klingt pathetisch, aber ist so.

Dafür muss man aber auch Fortschritte sehen, die leisen Revolutionen, den Scheinwerfer auf die kleinen Erfolge richten. Sich von Menschen inspirieren lassen, die sich nicht kleinkriegen haben lassen und durch Beharrlichkeit schier Unmögliches möglich gemacht haben. Manchmal muss man den Fokus erweitern, um das ganze Spektrum zu sehen – wer das tut, der sieht, dass Krisen im Laufe der Geschichte kommen und gehen. Und – das soll nicht zynisch klingen – durchaus positive Spuren hinterlassen.

Ein paar jüngere Beispiel: Die Coronapandemie hat großes Leid über die Menschheit gebracht – aber diese ist auch zur Höchstform aufgelaufen. Die Forschung hat einen Turboboost bekommen. Die Entwicklung und Verteilung der mRNA-Impfstoffe hat funktioniert, viele Leben gerettet – und wird noch viele weitere retten.

Der Klimawandel ist real – aber eine gute Entwicklung dabei: Trotz geopolitischer Unsicherheiten wächst die Nutzung von erneuerbaren Energien weltweit. Die künstliche Intelligenz verunsichert – aber betrachten wir den technologischen Fortschritt seit der Jahrtausendwende: Durch Digitalisierung können wir mit Freunden auf der ganzen Welt sprechen. Statt Zettel auf der Bank auszufüllen, gehen Banküberweisungen in wenigen Sekunden. Wie viele Familienstreitereien wurden erspart, weil man Wege nun nicht mehr mit Landkarten suchen muss, sondern Google Maps den Weg einfach und richtig ansagt?

Gut, das sind kleine Annehmlichkeiten, die das Leben verbessert haben. Auch im Großen hat sich viel getan: Die extreme Armut ist weltweit massiv gesunken – das belegen aktuelle Daten der Weltbank. Das ist das Ergebnis langfristiger Arbeit, an der viele Menschen beteiligt sind.

Und genauso werden wir die Demokratie aus der Krise ziehen, die ihr Hoch aus den 80ern derzeit hinter sich zu haben scheint. Im Rückblick und in der Vorausschau der Geschichte wird sich zeigen, dass sie doch die beste Form für Gesellschaften ist, zusammenzuleben. Bisher hat es noch keine Diktatur oder Autokratie geschafft, mehr Wohlstand für alle zu bringen. Manche Entwicklungen brauchen Zeit, um wirksam zu werden. Wer nur auf kurzfristige Rückschritte schaut, verliert das Gesamtbild aus den Augen.

Diese Ausgabe ist ein Versuch, diese Balance herzustellen: Sie zeigt, dass es neben Herausforderungen auch Erfolge gibt, die Mut machen – ohne die Schwierigkeiten kleinzureden.

Anna Thalhammer

Anna Thalhammer

ist seit März 2023 Chefredakteurin des profil und seit 2025 auch Herausgeberin des Magazins. Davor war sie Chefreporterin bei der Tageszeitung „Die Presse“.