Wie rechte Parteien von der Wohnungsnot profitieren
Wer in der EU auf der Suche nach einer neuen Wohnung ist, muss sich auch neue Spezialfähigkeiten zu eigen machen, denn die Jagd nach dem leistbaren Zuhause gerät zur Expertenmission. Nicht fehlen dürfen Bewerbungsmappen mit tadellosem Lebenslauf, Einkommensnachweis und Strafregisterauszug sowie die nötige Geduld fürs stundenlange Anstehen bei Besichtigungsterminen. Am Ende winkt, mit viel Glück und dem einen oder anderen kreativen Trick, ein befristeter Mietvertrag zum Wucherpreis.
Ein Blick auf die Fakten: In den vergangenen 15 Jahren sind die Mietkosten im EU-Schnitt um 27,8 Prozent gestiegen, rund 40 Prozent des Einkommens gehen mittlerweile an die Vermieter. Die Preise für Wohneigentum sind von 2015 bis 2024 um 53 Prozent gestiegen, am stärksten in Ungarn (209 Prozent), Litauen (135) und Portugal (124); in Österreich waren es immerhin 63 Prozent.
Wohnen wird immer teurer, und davon profitieren neben Immobilieninvestoren vor allem rechtsextreme und rechtspopulistische Parteien. Sie haben einen Schuldigen für die horrenden Preise ausgemacht: Migranten und Asylwerber, die den Einheimischen die Wohnungen wegnehmen.
Das stimmt zwar nicht, die Preise sind nämlich ausgerechnet in jenen Ländern am stärksten gestiegen, in denen sich Migranten und Asylsuchende am seltensten niederlassen wollen (in Ungarn zum Beispiel). Aber was kümmern einen die Fakten, wenn sich mit dem Elend der Menschen Stimmen gewinnen lassen.
Richtig ist, dass Zuwanderung grundsätzlich die Mietpreise steigen lässt, weil dann eben mehr Menschen eine Wohnung brauchen. Tatsache ist aber auch, dass seit der Finanzkrise von 2008 im EU-Schnitt weniger gebaut wird, die Coronapandemie für eine weitere Flaute gesorgt hat und immer mehr Wohnraum in der Hand privater Investoren liegt. Sie haben keinen Anreiz, an einer Bewältigung des Problems mitzuwirken, weil sie von den hohen Preisen profitieren. Gleichzeitig ist die Zahl sogenannter Kurzzeitvermietungen, Stichwort Airbnb, vor allem in Touristenhochburgen explodiert. Auf den Urlaubsinseln Balearen etwa stiegen die Mieten in den vergangenen zehn Jahren um rund 160 Prozent. Das hat sich auf die Regionalwahlen von 2023 ausgewirkt, bei denen die rechtspopulistische Vox fast sechs Prozentpunkte dazugewonnen hat.
In Spanien treibt das Thema leistbares Wohnen immer mehr junge Leute nach rechts. Laut Umfragen wollen fast 40 Prozent der Menschen zwischen 18 und 34 Jahren der Vox bei den nächsten Wahlen ihre Stimme geben, den höchsten Anstieg verzeichnet die Partei bei jungen Frauen. In Portugal profitiert die rechtsextreme Chega-Partei von der Wut über soziale Missstände, und in den Niederlanden gewann der Rechtspopulist Geert Wilders die Parlamentswahlen Ende 2023 mit der Behauptung, Migranten und Asylwerber würden den Einheimischen die Wohnungen wegnehmen.
In Österreich fordert die FPÖ einen „sofortigen Stopp der Vergabe von Gemeindewohnungen an Nicht-Staatsbürger“, und in Deutschland punktet die AfD, die in Umfragen gleichauf mit der regierenden CDU liegt, mit dem Slogan „Abschieben schafft Wohnraum!“.
Wenn die Mieten erhöht werden, dann steigt der Zuspruch für Deutschlands rechten Rand. Aus einer Studie des Mannheimer Zentrums für Europäische Sozialforschung geht hervor, dass die Unterstützung für die AfD unter Menschen mit niedrigem Einkommen um bis zu vier Prozentpunkte wächst, wenn die durchschnittlichen Mieten in der Umgebung um einen Euro pro Quadratmeter steigen.
Europas Rechte hat die Wohnungsmisere in ihr Narrativ vom Kulturkampf integriert, wie sie das mit allen Krisen tut.
Jahrzehntelang machten Menschen, die sich leistbare Wohnungen wünschten, ihr Kreuz bei den Sozialdemokraten. Heute wählen sie rechts.
Europas Rechte hat die Wohnungsmisere in ihr Narrativ vom Kulturkampf integriert, wie sie das mit allen Krisen tut. Die wahren Ursachen für soziale Probleme sind komplex. Viel einfacher und schlagzeilentauglicher ist es, Migranten die Schuld zuzuschieben.
Fakten spielen in diesem Kampf keine Rolle, und es ist unwahrscheinlich, dass die Konfrontation mit Tatsachen etwas an der Gesamtlage ändern würde. Darauf hinzuweisen, dass gescheiterte Wohnbaupolitik, die Gier von Investoren und unregulierter Massentourismus für die Krise verantwortlich sind, wird sich kaum rechnen. Den Regierungen wird nichts anderes übrig bleiben, als sich kluge Lösungen für komplexe Probleme zu überlegen. Helfen könnten womöglich Erfahrungen aus der Wohnungssuche: Geduld und kreative Ideen.