35. Sitzung des Nationalrates in der 28. Gesetzgebungsperiode; Parlamentsdirektion/ Ulrike Wieser Aufnahmedatum: 09.07.2025

Das Parlaments-Baby: Neun Monate Nationalrat

Nach fast neun Monaten macht der neue Nationalrat seine erste Sommerpause. Welche Gesetze noch beschlossen wurden und worüber die Abgeordneten die nächsten Wochen nachdenken.

Drucken

Schriftgröße

Selbst die „New York Times“ gratuliert zum Geburtstag. Ein Jahr alt ist das kleine Wesen, viel größer und nicht mehr ganz so süß wie letzten Herbst, als es die Herzen der Welt erobert hat. Doch Moo Deng, das thailändische Zwergflusspferd, entzückt weiter. Auch in der profil-Redaktion: An einer Wand hängt ein Kalender mit Bildern von Moo Deng, auf jedem Monat ist ein anderer markanter Gesichtsausdruck des Zwerghippos zu sehen. Mal ist das Jungtier süß, mal verschlafen, mal beißt es seinen Pfleger mit seinem noch zahnlosen Kiefer ins Knie.

Zache Zeit

Doch Moo Dengs erster Geburtstag am 10. Juli wird im profil-Kalender überschattet: Österreichs Nationalrat hat ausgerechnet diese Woche ausgewählt, um zum letzten Mal vor der Sommerpause zusammenzutreten.

Moo Deng Kalender Juli

Der Nationalrat ist derzeit fast ein eigenes Baby: Bald ist die 28. Gesetzgebungsperiode neun Monate alt, eine ganze Schwangerschaft. Und: Nun, da die letzte Sitzung vor dem Sommer beendet ist, haben die 183 Abgeordneten erstmals seit Jahren Zeit zum Durchatmen. Denn die letzten zehn Sommer waren stressig. 2015 begann die große Flüchtlingswelle, 2016 Bundespräsidentenwahl, 2017 Nationalratswahl, 2018 Einführung des 12-Stunden-Tages, 2019 Ibiza, 2020 Corona-Pandemie, 2021 Ermittlungen gegen Sebastian Kurz, 2022 Ukraine-Krieg und Teuerung. Nur 2023 war es im Sommer fast fad, bevor 2024 wieder eine Nationalratswahl anstand.

Das alles ist nicht nur für die (mehr oder weniger) politikinteressierte Bevölkerung anstrengend, es nagt auch an den Ressourcen der Abgeordneten. Nach einem monatelangen Wahlkampf ging es für ÖVP, SPÖ und Neos direkt in Regierungsverhandlungen, die ÖVP verhandelte zwischenzeitlich allein mit den Freiheitlichen weiter, in einem Endspurt einigten sich die drei ursprünglichen Parteien dann doch auf ein gemeinsames Programm. Dann mussten Ministerien besetzt, neue Rollen gefunden und – vor allem – Zusammenarbeit gelernt werden.

Bisher gelingt das, findet zumindest die Regierung selbst, in Schulnoten gemessen „Gut“. Als Betragensnote verteilte Vizekanzler und SPÖ-Chef Andreas Babler der Regierung sogar ein „Ausgezeichnet“. Diese Selbsteinschätzung spiegelt sich zwar aktuell nicht in Umfrageergebnissen wider, unabhängig von der inhaltlichen Beurteilung ist aber klar: An der Mitarbeit mangelt es bei ÖVP, SPÖ und Neos nicht.

Schlusssprint vor dem Sommer

Ihr Tempo haben die drei Parteien auch in der letzten Woche vor der Sommerpause bewiesen. Gut, die ist traditionell vollgepackt, da auch die Politik mit der Prokrastination nicht fremdelt. Dennoch: Beschlossen wurden gleich mehrere Punkte, die Österreich nachhaltig verändern.

37. Sitzung des Nationalrates in der 28. Gesetzgebungsperiode, Das Rednerpult des Nationalrats aus Sicht des Redners/der Rednerin

Hier die wichtigsten Punkte in Kürze:

Messenger-Überwachung

Österreichs Staatsschutz darf künftig die Messenger-Dienste von mutmaßlichen Terroristinnen und Terroristen überwachen. Das haben ÖVP, SPÖ und Neos beschlossen. Um die Messenger-Überwachung, auch Bundes-Trojaner oder Gefährder-Überwachung genannt, wurde aufgrund des starken Eingriffs in die Privatsphäre lange gerungen. Expertinnen und Experten bezweifeln allerdings, dass es derzeit überhaupt ein Programm gibt, das den rechtlich definierten Datenschutz technisch einhalten kann.

Neue Teilpension

Ab 2026 gibt es quasi Teilzeit-Pensionist:innen: Wer bereits pensionsberechtigt ist, kann einen Teil der Pension beziehen und nebenbei weiterarbeiten. Gleichzeitig wurden Einschränkungen bei der Altersteilzeit beschlossen. Ziel ist, das tatsächliche Pensionsantrittsalter zu erhöhen, damit das Pensionssystem nicht kippt. Reichen die derzeitigen Maßnahmen nicht, soll ein neuer „Nachhaltigkeitsmechanismus“ zusätzliche Maßnahmen forcieren. Beschlossen wurde das Gesetzespaket von den Regierungsfraktionen, die Grünen haben auch der Teilpension zugestimmt.

Dick-Pic-Verbot

Ab 1. September ist das unerwünschte Übermitteln menschlicher Genitalaufnahmen (da die Absender meist Männer sind: „Dick-Pics“, also Penis-Bilder) strafbar. Justizministerin Anna Sporrer (SPÖ) spricht von einem endemischen Problem, gerade junge Frauen seien häufig von dieser „sexueller Belästigung im digitalen Raum“ betroffen. Sporrer hofft auf die abschreckende Wirkung des Verbots, das bis zu sechs Monaten Haft oder einer Geldstrafe von 360 Tagessätzen vorsieht. Denn zusätzliche Ressourcen für die Verfolgung von „Dick-Pics“ erhält die Justiz kaum. Dem neuen Verbot haben ÖVP, SPÖ, Neos und Grüne zugestimmt.

Eheverbot unter 18

Wer ab 1. August heiraten will, muss über 18 Jahre alt sein und darf nicht zu eng verwandt sein. Bisher waren in Österreich Ehen ab 16 möglich – und nur in direkter Blutlinie (also Großeltern, Eltern, Geschwister, Kinder, Enkelkinder) verboten. Ersteres musste ohnehin aufgrund von Vorgaben im internationalen Kampf gegen Kinderehen verschärft werden. Bei Zweiterem wollte die Politik nun nachschärfen: Künftig dürfen auch Cousins, Cousinen, Onkel, Tanten, Neffen und Nichten einander nicht mehr heiraten. Sexuelle Handlungen dürfen sie aber weiterhin setzen (sofern sie einvernehmlich sind und alle Altersgrenzen eingehalten werden), denn Inzest (im Gesetzbuch „Blutschande“) gilt weiterhin nur in der direkten Blutlinie. Den Verschärfungen im Eherecht haben alle Fraktionen zugestimmt.

Neue Social-Media-Richtlinien für die Politik

Die Büros von Ministerinnen und Minister, Landesrätinnen und Landesräten dürfen nun auch Partei-Accounts betreuen. Das haben ÖVP, SPÖ, Neos und Grüne beschlossen. Der Unabhängige Parteien-Transparenzsenat (UPTS) hatte diese Verwendung von Ministeriums-Mitarbeitern für Parteizwecke bisher als unzulässige Parteispenden gewertet. Arbeitet das Kabinett am Social-Media-Account des Ministers oder der Ministerin mit, muss dies aber klar gekennzeichnet sein und sich von parteipolitischen Inhalten unterscheiden. Die rund 220.000 Euro an bereits ausgesprochenen Strafen für ÖVP, Neos und Grüne müssen die Parteien dennoch zahlen. Ursprünglich hatte das Gesetz vorgesehen, diese Strafen rückwirkend zu erlassen, nach öffentlicher Kritik wurde der Gesetzesentwurf aber vor Beschluss abgeändert.

Weniger Geschmack für Tabak

Zigaretten und Drehtabak dürfen schon länger keine ausgefallenen Geschmacksrichtungen wie Menthol haben. Sogenannte „Klick-Tschicks“ sind daher hierzulande seit 2020 verboten. Bei Sticks, die den Tabak erhitzen, gab es hier bislang eine Lücke. Diese wurde noch vor der Sommerpause geschlossen, künftig darf auch ihr Tabak nicht aromatisiert sein.

Vorerst kein von der FPÖ eingesetzter U-Ausschuss

Eigentlich ist die Einsetzung eines Untersuchungsausschusses ein Minderheitenrecht im Nationalrat: Ein Viertel der Abgeordneten kann die Einsetzung verlangen. Die FPÖ hat dafür genügend Stimmen und würde gerne die Ermittlungen rund um den Tod des ehemaligen Justiz-Spitzenbeamten Christian Pilnacek sowie den Umgang mit Corona-Demonstrationen untersuchen. Doch ÖVP, SPÖ und Neos sehen darin keinen „bestimmten abgeschlossen Vorgang im Bereich der Vollziehung des Bundes“, den ein U-Ausschuss untersuchen darf. Die FPÖ könnte nun vor den Verfassungsgerichtshof ziehen – oder einen neuen Antrag einbringen.

Mit diesen Beschlüssen geht es für den Nationalrat also in die Sommerpause – aber die Abgeordneten werden bis zur nächsten regulären Sitzung im September nicht nur an Moo Deng denken. Einige rechtliche Vorhaben wie das Elektrizitätswirtschaftsgesetz (ElWG), das die Stromversorgung in Österreich nachhaltig regeln soll, oder das von Klimaminister Norbert Totschnig (ÖVP) eigentlich schon vor der Sommerpause angekündigte Klimaschutzgesetz drängen zeitlich. Andere wie die Bundesstaatsanwaltschaft als unabhängige Weisungsspitze der Staatsanwaltschaften sind politisch wichtige Anliegen einzelner Regierungsparteien, auf deren genaue Ausgestaltung sich die Koalition noch einigen muss. Und bei vielen Themen braucht die Regierung die Zustimmung von FPÖ oder (wahrscheinlicher) den Grünen.

Im Hintergrund startet die EU ihr Defizitverfahren gegen Österreich, US-Präsident wirft Donald Trump mit neuen Zöllen um sich, die künstliche Intelligenz des reichsten Mannes der Welt nennt sich selbst „MechaHitler“, Russland setzt seinen Angriff auf die Ukraine unbeirrt fort und der Nahe Osten befindet sich in einer offenbar unaufhaltsamen Gewaltspirale.

Was macht noch einmal Moo Deng?

Max Miller

Max Miller

ist seit Mai 2023 Innenpolitik-Redakteur bei profil. Schaut aufs große Ganze, kritzelt gerne und mag Grafiken. War zuvor bei der „Kleinen Zeitung“.