Ex-Kanzler Christian Kern und Finanzminister Markus Marterbauer auf eine digitalen Kollage vor dem Parlament in Wien.
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Debatte um SPÖ-Vorsitz: Wie realistisch Kern oder Marterbauer sind

SPÖ-Chef Andreas Babler versucht den Befreiungsschlag. Los wird er Ablösegerüchte nicht so schnell. Wie gefährlich ihm sein Vor-Vorgänger oder der eigene Finanzminister werden können.

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„Ich habe erst kürzlich mit Christian Kern telefoniert, der die Gerüchte auch als absoluten Blödsinn bezeichnet hat.“ SPÖ-Chef Andreas Babler versucht im profil-Interview einen Befreiungsschlag. Er wischt Gerüchte um eine Ablöse durch seinen Vor-Vorgänger Christian Kern weg, erklärt, warum die Umfragen so mau sind und mahnt zur Geduld, bis die Regierungsarbeit greift. Doch die Wucht, mit der die Vorsitz-Spekulationen über ihn hereinbrechen, muss ihm zu denken geben.

Comeback-Kid Kern?  

Am häufigsten wurde zuletzt Christian Kern (59) genannt. Er war Vorstandsmitglied im Verbund, Vorstandsvorsitzender der ÖBB, roter Bundeskanzler von 2016 bis 2017 und ist seither wieder als internationaler Manager tätig. Aktuell ist er Geschäftsführer des Lok-Leasing-Unternehmens ELL Austria. Er wird medial als „Kandidat der Länder“ gehandelt. Durch seine Wirtschaftskompetenz verkörpert Kern für sie die Breite, die sie bei Babler vermissen.

Viele rote Landesparteien standen beim Kampf um den Parteivorsitz im Lager des burgenländischen Landeshauptmanns Hans Peter Doskozil. Wien und die Gewerkschaft, die zuvor schon Pamela Rendi-Wagner gegen Doskozils Angriffe verteidigten, drückten am Ende Andreas Babler gegen Doskozil durch. Den lachenden Dritten. 

Der Ball liegt beim roten Wiener Burgherrn

Doch dieses Mal wollen die Länder keinen Kandidaten-„Putsch“ mehr gegen Wien versuchen, ergeben profil-Recherchen. „Man kann die Burg erobern, aber ohne Wien nicht halten“, sagt ein führender Roter. Sie spielen den Ball zu SPÖ-Bürgermeister Michael Ludwig. Er müsste Kern also akzeptieren. Doch dafür müsste Kern im Rathaus sehr laut Mea Culpa sagen und zu Kreuze kriechen. Denn für die Wiener ist Kern ein rotes Tuch, seit er den Parteivorsitz nach seiner Wahlniederlage gegen Sebastian Kurz beleidigt hingeschmissen hatte. Wenn alle Länder lange genug sagen, sie wollen Kern: Wird Ludwig irgendwann weich? Und will Kern selbst überhaupt? 

Im Frühjahr ist definitiv nicht mit Kern zu rechnen. Er hat wichtige andere Pläne, erfuhr profil. Das heißt, Babler muss nicht mit ihm als Gegenkandidat beim Parteitag am 8. März rechnen. Einen solchen könnte eine Mehrheit im Parteivorstand noch nominieren. Befreit ist Babler nicht. Denn für die Zeiten danach gibt es keine Signale, dass Babler sich an der Kern-Front entspannen könnte. Trotz seines Telefonats.

Marterbauer ist loyal, zu Babler und zur Partei

Wer Markus Marterbauer kennt, kann sich vorstellen, dass es dem 60-Jährigen fast körperlich unangenehm ist, als Herausforderer seines Chefs und Förderers, Andreas Babler, gehandelt zu werden. Der frühere Ökonom beim Wifo und der Arbeiterkammer gilt als durch und durch loyaler Mensch. Dass er in den Babler-Planspielen überhaupt genannt wird, hat mehrere Gründe. 

Er ist der beliebteste Regierungspolitiker. Marterbauer punktet durch seine Gabe, seine (Spar)-Politik erklären zu können, auch wenn sie unangenehm ist. Je schwächer Babler in Umfragen, desto heller scheint Marterbauer in den Rankings auf. Dazu kommt: Er wäre aus heutiger Sicht der logischste Kandidat der Wiener und der Gewerkschaft – sollte Kern für sie tabu bleiben. Zu beiden Partei-Machtzentren unterhielt Marterbauer als Chefökonom der Arbeiterkammer und ideologischer Verfechter des roten Wiens eine natürliche Nähe. Mit dem Doskozil-Lager streifte er nicht ansatzweise an.

Manche halten Marterbauer für fachlich top, aber zu wenig politisch für die Nummer 1. Das könnte eine Fehleinschätzung sein. Als der Finanzminister in der Debatte um teure Regierungs-Karossen auf einen Skoda umsattelte, verstand es sein Team geschickt, seine erste Ausfahrt im Boulevard zu platzieren. Seine Loyalität gilt nicht nur Babler, sondern auch der Partei. Ruft sie ihn, wäre es nicht auszuschließen, dass er dem Ruf folgt. Aber wohl nur, wenn sich sein Förderer Babler vorher freiwillig zurückzieht.

Wenn Andreas Babler etwas kann, dann ...

Babler kann kämpfen. Das bewies er bei der Übernahme der Partei gegen seine Vorgängerin Pamela Rendi-Wagner und den burgenländischen Landeshauptmann Hans Peter Doskozil. Das bewies er, als er (ausgerechnet) Markus Marterbauer als Finanzminister gegen die mächtige Wiener SPÖ durchbrachte. Das bewies er durch den Aufstieg vom Traiskirchner Bürgermeister zum Vizekanzler, SPÖ-Chef, Medienminister, Kulturminister, Wohnminister und Sportminister.

Multi-Minister Babler ist stolz darauf, „mehr Termine als so manche meiner Vorgänger“ zu absolvieren und wird sich seine Politiker-Karriere nicht so schnell nehmen lassen. Deswegen wird er sich genau überlegen, wie gefährlich ihm seine Kontrahenten werden können.

P.S.: Wir könnten jetzt noch rätseln, wie sich die SPÖ neu aufstellen müsste, wenn Sebastian Kurz als ÖVP-Chef zurückkommt. Aber das wäre zu viel der Spekulation. Vor allem für einen Montagmorgen.

Danke fürs Mitspekulieren und einen erfolgreichen Tag!
 

Clemens Neuhold

Clemens Neuhold

ist seit 2015 Allrounder in der profil-Innenpolitik. Davor „Wiener Zeitung“, Migrantenmagazin biber, Kurier-Wirtschaft. Leidenschaftliches Interesse am Einwanderungsland Österreich.