Kennen Sie Food Noise?
Food Noise war eines der großen Themen bei der gestern zu Ende gegangenen Adipositas-Konferenz (European Congress of Obesity) im spanischen Malaga, bei der sich Forschende aus ganz Europa austauschten. Talkshow-Ikone Oprah Winfrey war eine der ersten, die das Phänomen öffentlich beschrieb: „Stell dir vor, du bist auf einer Party und siehst ein Tablett voller Brownies. Allein der Anblick lässt dich die ganze Nacht lang grübeln: Soll ich einen nehmen? Vielleicht nur die Hälfte. Wer würde einen mit dir teilen? Na ja, vielleicht doch gleich den ganzen. Verdammt, der Brownie war gut. Soll ich noch einen nehmen? Im Ernst, diesmal nur die Hälfte. Aber … es ist eine Party … Und so weiter. Kommt dir das bekannt vor? Das ist die Kakophonie von Food Noise.“
Zu Tränen gerührte Patientinnen
Johanna Brix, Leiterin der Adipositasambulanz der Klinik Landstraße und des Diabeteszentrums Wienerberg, kennt Food Noise von ihren Patientinnen und Patienten. „Viele haben das Gefühl, kontinuierlich zu versagen“, sagt Brix im Gespräch mit profil in Malaga. Einer der ersten Sätze, die sie ihren neuen Patienten sagt, rührt diese häufig zu Tränen: „Sie sind nicht schuld. Adipositas ist eine Krankheit. Einem an Übergewicht leidenden Menschen zu sagen, er soll einfach weniger essen, ist, wie einem Menschen mit einer Fehlfunktion der Schilddrüse zu sagen, er solle sich einfach mehr anstrengen, dann wird das schon wieder“, sagt Brix. Leider gibt es in ganz Europa immer noch viele Ärztinnen und Ärzte, die Betroffenen Faulheit und mangelnde Willenskraft vorwerfen – darüber berichten hier in Malaga viele.
Dünne ohne Food Noise
Auch Oprah Winfrey dachte ihr Leben lang, dünne Menschen hätten mehr Willenskraft als sie selbst. In ihrem Podcast sagt sie: „Sie aßen besseres Essen. Sie holten sich nie Nachschlag. Sie aßen nie Kartoffelchips.“ Als Winfrey das erste Mal die Abnehmspritze verwendete, herrschte plötzlich Stille in ihrem Kopf. „Mir wurde gleich bei der ersten Einnahme klar, dass dünne Menschen gar nicht viel übers Essen nachdenken. Sie essen, wenn sie hungrig sind, und hören auf, wenn sie satt sind.“
Medizinerinnen und Mediziner bezeichnen die 2018 in Europa zugelassenen Abnehmspritzen als Durchbruch in der Adipositas-Therapie. Bei den Wirkstoffen Semaglutid und Tirzepatid (bekannt unter den Markennamen Wegovy und Mounjaro) handelt es sich um Sättigungshormone, die der Darm natürlicherweise bildet. Diese natürlichen Hormone wirken bei Menschen mit Adipositas nicht ausreichend. Die Medikamente aber verlangsamen die Magenentleerung, fördern das Sättigungsgefühl und reduzieren den Heißhunger. Ozempic (Wirkstoff Semaglutid), das bekannteste Medikament, ist zur Behandlung von Typ 2-Diabetes zugelassen und wird in dieser Indikation von den Kassen auch erstattet.
Medizinischer Durchbruch, aber teuer
Mit monatlich zwischen 140 und 541 Euro (je nach Präparat und Dosis) sind die Medikamente allerdings sehr teuer. Von den Kassen werden von Adipositas Betroffene Großteils im Stich gelassen. Seit Kurzem können immerhin stark übergewichtige Kinder von der Spritze namens Saxenda (Wirkstoff Liraglutid) profitieren sowie Erkrankte im Vorfeld einer Magenverkleinerung.
Noch sind die Abnehmspritzen also ein Medikament der Reichen. Das soll sich schleunigst ändern, darin waren sich beim Kongress in Malaga alle einig.