profil-Morgenpost

Die Grenzen zwischen richtig und falsch

Seit acht Jahren hyperventiliert die heimische Innenpolitik im Dauer-Aufregungsmodus. Umso wichtiger, den Blick auf die Fakten nicht zu verlieren.

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Teuerung, Energiekrise, Krieg: Der Sommer 2022 war kein ereignisloser Sommer wie damals, als das nervenzerfetzendste innenpolitische Ereignis des Monats aus Beamtengehaltsverhandlungen oder ähnlich vergleichsweise betulichen Ereignissen bestand. Das klingt ein wenig sehnsüchtig, nicht ohne Grund – denn seit acht Jahren gibt es keine innenpolitischen Sommerlöcher mehr, im Gegenteil. Im Stakkato-Tempo wird jeden Sommer wieder im Dauer-Aufregungs-Modus hyperventiliert: 2015: Syrien-Krieg, Flüchtlingswelle. 2016: Verfassungsgerichtshof hebt Bundespräsidentenwahl auf, beim Zweitversuch kleben Wahlkuverts nicht. 2017: Reinhold Mitterlehner weg, Sebastian Kurz steigt auf, Große Koalition beendet, Neuwahl. 2018: Türkis-Blau, Rattengedichte, Anti-12-Stunden-Tag-Großdemos. 2019: Ibiza, Expertenregierung, Neuwahl. 2020: Corona. 2021: Corona. 2022: Ukraine-Krieg, Energiekrise, Teuerung.

Zeit zum Durchschnaufen, Atem holen, Pause von der Erregung machen? Fehlanzeige. Immer schneller, immer hektischer dreht sich die Schleife der Daueraufregung, im permanenten Wirbel geraten die Grenzen zwischen wichtig und unwichtig ins Wanken, jene zwischen richtig und falsch ebenso.

Umso wichtiger, den Blick auf die Fakten nicht zu verlieren. Die Videos von Flüchtlingen, die über burgenländische Landstraßen nahe Nickelsdorf ziehen, die gibt es. Es sind allerdings keineswegs Aufnahmen von „Neuankömmlingen“, die der „Klima Bonus“ nach Österreich zieht – wie FPÖ TV weismachen will. Sondern Bilder aus jenem Jahr 2015, als Flüchtlinge über Ungarn nach Österreich drängten, und die Sommer der Daueraufregungen begannen. Das Video, das die FPÖ zeigt, um die vermeintlichen Schrecken des Klimabonus zu verdeutlichen, ist also Jahre alt – wie Sebastian Hofer, Jakob Winter und Katharina Zwins, das famose Faktencheck-Team von profil, herausfand. 

Ihr Urteil über die FPÖ-Behauptung fällt eindeutig aus: Falsch. Wer mehr derartige Beurteilungen des Faktencheck-Teams sehen will, kann das übrigens jeden Montag um 12.30 Uhr auf ORF III tun, in der neuen Sendung „Fakten mit profil“. Unaufgeregt und faktenbasiert.

Zur Aufregung des Wochenendes gehörte der angebliche Richtungsstreit, den die schrille Politikerin Laura Sachslehner mit ihrem Rücktritt als ÖVP-Generalsekretärin auslöste – eine hyperventilierte Übertreibung. Sachslehner war schlicht mit dem Job als Generalsekretärin heillos überfordert und schaffte es im Rücktritt noch, ÖVP-Parteiobmann Karl Nehammer zu beschädigen. In der Tat laboriert die ÖVP allerdings an Orientierungslosigkeit, auch wegen der zahlreichen Korruptionsaffären, die sich um (ehemalige) ÖVP-Politiker ranken.

Nun könnte eine erste Anklage ins Haus stehen: Die frühere Familienministerin Sophie Karmasin-Schaller (Dezember 2013 bis Dezember 2017, nominiert von der ÖVP) könnte sich demnächst vor Gericht verantworten müssen, wie die profil-Investigativ-Spezialisten Stefan Melichar und Michael Nikbakhsh recherchierten. Demnach hat die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) einen Teil ihrer Ermittlungen gegen die Ex-Politikerin abgeschlossen, ein „Vorhabensbericht“ der WKStA liegt mittlerweile bei der übergeordneten Oberstaatsanwaltschaft Wien.

Wiewohl der Inhalt des Vorhabensberichts (wie in solchen Fällen immer) geheim ist, spricht einiges dafür, dass Karmasin-Schaller alsbald wegen des Verdachts des Betrugs und der Manipulation von Ausschreibungen angeklagt werden soll. Ihre langjährige Vertraute Sabine Beinschab könnte in dem Verfahren erstmals als Kronzeugin der Anklage auftreten. 

Haben Sie einen möglichst unaufgeregten Donnerstag!

Eva Linsinger

Eva   Linsinger

Eva Linsinger

Innenpolitik-Ressortleitung, stellvertretende Chefredakteurin